Foto: Eich Foto: Schwarzwälder-Bote

Winfried Kretschmann spricht vor 250 Besuchern im Theater am Ring

Von Cornelia Spitz

Ein grasgrüner VW-Bus hält vor dem Theater am Ring. Auf der Folierung steht, wer drinnen sitzt: Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Es ist das "Papa-Mobil" eines Landesvaters, der sich an diesen Titel erst einmal gewöhnen musste.

Villingen-Schwenningen. Winfried Kretschmann auf Wahlkampftour, gestern in Villingen. Leibwächter und eine Polizei-Eskorte zeugen von dem hohen Besuch. Doch kaum fällt die Tür hinter Kretschmann zu, menschelt es auch schon. Eine offenbar langjährige Bekannte fällt ihm um den Hals. Der Gastgeber, der Kreisvorsitzende der Grünen Wolfgang Kaiser, bleibt "beim gewohnten Du" mit Winfried Kretschmann, den er seit 36 Jahren kennt.

W und K steht nicht nur auf dem Nummernschild des grünen Busses, sondern an diesem Donnerstagmittag zwischen 12 und halb zwei Uhr auch für vieles andere: Winfried Kretschmann, Wolfgang Kaiser, Wahl-Kampf, und in diesen eingebettet irgendwie auch für die Grünen-Kandidatin in der Region, Martina Braun. Alle drei sitzen auf dem Podium – und vor ihnen 250 Besucher.

Im Eingangsbereich liegt Werbematerial aus. Waldmeisterbrause, Narzissen im Töpfchen, die noch nicht ihre Blütenköpfe, dafür aber das Konterfei von Martina Braun zeigen, oder Windräder mit der Aufschrift "Zeit, dass sich was dreht". Doch Kretschmann will in zumindest einer Hinsicht eigentlich nicht, dass sich etwas dreht. Er will Ministerpräsident bleiben. Deshalb ist er hier.

Und dass er hier ist, war gar nicht so einfach zu bewerkstelligen für die Grünen im Kreis, lässt Wolfgang Kaiser, der die Fragen stellt, in der Anmoderation durchblicken. Kretschmanns Terminkalender ist vor der Wahl "extrem dicht". In dieser Talkrunde hat er trotzdem die Ruhe weg. Er lächelt, lehnt sich entspannt zurück und nippt zwischendurch an seiner Tasse Tee. Was der Ministerpräsident trinken möchte, wollte vor Beginn einer der Helfer wissen. "Tee" – "Schwarztee?" – "ja, Schwarztee – oder Grüner Tee." Grüner Tee – was sonst?!

Abwarten und Tee trinken, das war aber während der zu Ende gehenden ersten Legislaturperiode nicht sein Ding. Immer wieder lässt Kretschmann in die Antworten einfließen, was geleistet worden ist. Sogar in der Verkehrspolitik, die ihm seine Gegner schon ankreideten, ehe er mit dem Regieren überhaupt begonnen hatte. Ein Grüner, der investiere nicht in Straßen, nur in Radwege, unkten sie. "Da muss ich meiner Opposition aber sagen, dass sie sich langsam ein anderes Thema suchen muss. Dieses Argument zerschellt an den Fakten", stellt Kretschmann klar. So habe man in seiner Ära 40 Prozent mehr in die Landesstraßensanierung investiert als zuvor. Noch nie habe eine Landesregierung so viel für den Straßenbau ausgegeben. Allerdings, räumt Kretschmann ein, habe man die Positionen ein wenig gedreht – zwei Drittel fließen in Erhaltung und Sanierung, nur ein Drittel in Neubau. "Das macht ja auch Sinn!" Unsinnig sei es, ein riesiges neues Straßennetz zu bauen, das man später nicht unterhalten könne. "Der Bund macht im übrigen bei den Bundesstraßen dasselbe."

Kretschmann: "Das Gras wächst nicht schneller, wenn Du dran ziehst!"

Und dass die Kanzlerin auch in anderer Hinsicht seinen Respekt genießt, zeigt er beim Thema Flüchtlingskrise. "Wir schaffen es, das ist schon richtig", wiederholt er Angela Merkels arg umstrittenes Zitat, "aber wir schaffen es nicht alleine, sondern nur in Europa. Wenn Europa an der Flüchtlingskrise zerbricht, meine Damen und Herren, das wäre eine epochale Katastrophe (...)! Wir müssen schauen, dass Europa solidarisch wird." Nicht minder klar seine Absage an die "Alternative für Deutschland" (AfD): "Wenn solche Demagogen wie von der AfD Oberwasser bekommen, geht es echt dagegen!"

In ruhigerem Fahrwasser als anfangs sei man mittlerweile hingegen in der Bildungspolitik unterwegs – auch wenn ihm die Schulpolitik, und hier vor allem die Einführung von Gemeinschaftsschulen, schon harsche Kritik einbrachte. Und dafür zeigte der Ministerpräsident sogar Verständnis: "Wissen Sie, ich bin ja von Haus aus Lehrer", und als solcher habe er es wie alle gemacht: Am Ende der Stunde gab’s Hausaufgaben, "und zwar für jeden die gleichen". Im Nachhinein aber müsse er feststellen: "Das ist nicht so intelligent – der eine schafft es in drei Minuten, der andere nie!" Von einer Gemeinschaftsschule, die schwächere Schüler fördere und auf den Einzelnen eingehe, zeigt er sich überzeugt. "Außerdem sind die Leute mit der Schulpolitik nie zufrieden. Einen beliebten Kultusminister, so etwas gibt es gar nicht." Das Publikum lacht.

Nicht nur dieses eine Mal, sondern immer wieder, wenn Kretschmann in breitem Schwäbisch scherzt oder im wohltuend vertrauten Gespräch mit Wolfgang Kaiser aus dem Nähkästchen plaudert. Einmal erzählt er, wie ihm "der Riemen gerissen ist", nachts um 11, als ihm Windkraftgegner zum x-ten Mal mit denselben Vorwänden gekommen seien. "Manchmal geht’s einem einfach auf den Zeiger". Und schließlich habe er "die Contenance verloren (...) da habe ich mich verhalten, wie sich ein Ministerpräsident in der Tat nicht zeigen darf", gesteht er.

Und auch, dass nicht immer alles von Anfang an glatt lief: Das Thema Windenergie sei nun im Lot (120 Windräder im Bau, über 200 in der Genehmigung), habe ihn aber manches Mal fast verzweifeln lassen: Da müsse man dann einfach mal einen Zyklus des Milans abwarten, um zu analysieren, wie sich die Population entwickele – "wissen Sie, es ist in der Natur ja so: Das Gras wächst nicht schneller, wenn Du dran ziehst!"

Da drängt sich Wolfgang Kaisers Eingangsfrage förmlich auf: "Macht der Job eigentlich Spaß?" Ein breites Lächeln umspielt Kretschmanns Lippen vor der gewieften Antwort: "Politik macht keinen Spaß. Politik macht Sinn!" Im übrigen sei klar, dass man als Ministerpräsident "ja auch fast jeden Tag mal Ärger" habe. Aber ein Land, das Industriestandort, aber auch Kulturlandschaft sei, "das regiert man natürlich gern". Ärger gab’s dieses Mal keinen, aber einen zufriedenen Gastgeber (Wolfgang Kaiser: "Es war eine hervorragende Veranstaltung!") und warmen Applaus für den Landesvater, der diese Rolle längst lebt: "Jetzt habe ich keine Probleme mehr mit dem Begriff".