Martin Lienhart ist freiwillig Gefängnisseelsorger in Villingen. Foto: Kauffmann

Gefängnisseelsorger Martin Lienhart will Insassen wieder eine Perspektive geben.

Villingen-Schwenningen - Pastoralreferent Martin Lienhart ist freiwillig Gefängnisseelsorger in Villingen. Jeder Mensch sei "Gottes geliebtes Kind", auch Verbrecher. Ihre Taten sind für ihn aber gar nicht so wichtig. Das hat einen ganz bestimmten Grund.

Tageslicht erleuchtet das kleine Besucherzimmer im Villinger Gefängnis. Durch das geschlossene Fenster sehen Insassen die katholische Kirche St. Fidelis, aber auch meterhohen Stacheldraht. Wie widersprüchlich ist dieser Blick, der immerhin einen Hauch von Freiheit vermittelt und gleichzeitig drastisch verdeutlicht, was es heißt, gefangen zu sein. Die Gefangenen kennen diese Aussicht. Zum Beispiel, wenn sie dem katholischen Gefängnisseelsorger Martin Lienhart gegenüber sitzen.

"Ich wälze auch die Personalakte nicht"

Geduldig wartet er dort auf den Gefangenen. Ein Wärter führt ihn herein. Danach fällt die Tür ins Schloss – aber die Blickrichtung zeigt zum Fenster. "Man sieht jemandem nicht an, wenn er Verbrecher ist", sagt Martin Lienhart. "Ich frage auch nicht danach. Ich wälze auch die Personalakte nicht." Jeder sei frei das preiszugeben, was er möchte. Er wolle den Insassen vorurteilsfrei begegnen. Außerdem: "Jeder ist Gottes geliebtes Kind." Und deshalb begrüße er alle seine Gesprächspartner gleich: mit Lächeln und Handschlag.

Hauptaufgabe des Seelsorgers ist, den Gefangenen eine Perspektive zu geben. "Wie können sie trotz der Mauern leben? Und nicht verzweifeln? Was ist ihre Perspektive nach der Haft?" Wichtig ist ihm, den Gefangenen zu vermitteln: "Sie sind nicht nix, weil sie ein Verbrechen begangen haben." Viele betrachteten die Insassen sehr negativ, aber er gehe ins Gefängnis, um sie als Mensch zu betrachten, sie zu resozialisieren.

Zu richten sei schließlich nicht seine Aufgabe: "Das ist der Job der Gerichte, nicht meiner." Die Situation sei eigenartig: "Ich bin kein Vertreter des Systems Strafvollzug, aber ich bin doch so tief drin, dass ich den Vollzug unterstütze." Lienhart weiß, er komme da wieder raus.

"Das Personal ist sehr nett, ich fühle mich da willkommen", freut er sich. "Ich gehe mit dem tiefen Gefühl aus dem Gefängnis, dass ich etwas Wichtiges mache." Es fühle sich kein bisschen komisch an, wenn er das Gefängnis betritt: "Man gewöhnt sich dran." Wichtig sei ihm, die Distanz zu wahren: "Mir hat ja niemand was angetan, ich habe nichts zu vergeben, das Verbrechen hat mit mir direkt nichts zu tun."

Obwohl Stacheldraht, hohe Mauern und Gitterstäbe auf den ersten Blick jede Vorstellung von Freiheit zunichte machen, stellt Lienhart klar: "Jeder hat die Freiheit nach oben." Sei jemand gläubig, wisse er, dass er nicht alleine ist. Gerade in dieser Extremsituation sei die Gewissheit um Gottes Beistand wichtig.

Was er mit den Insassen konkret bespricht, bleibt geheim. Auch auf Nachfrage des Schwarzwälder Boten verweist er auf das juristisch verankerte Zeugnisverweigerungsrecht und das Seelsorgegeheimnis. Zudem will er das Vertrauen zu seinen Gesprächspartnern in der Öffentlichkeit nicht belasten.

Endet das Gespräch mit dem Gefangenen, geht Lienhart zum Haustelefon und drückt eine Nummer. Danach wartet er, bis ein Wärter die Tür öffnet. Die Zelle ist für den Bestraften schon gerichtet. Was bleibt, ist der Eindruck von Freiheit – und das Gefühl, ein Mensch zu sein.