»VS ist bunt«, unter diesem Slogan versammelten sich im März 2015 viele Villingen-Schwenninger und folgten OB Rupert Kubon bei einer Demo durch die Stadt. Eine Haltung, die sich die Initiatoren wie Nicola Schurr auch vom Anschlag in Berlin nicht nehmen lassen Foto: Kratt

"Das sind Menschen, vor denen wir geflohen sind". Schurr: "VS ist und bleibt bunt".

Villingen-Schwenningen - "Wir standen am Samstag noch genau an dem Anschlagsort und haben gemütlich unseren Glühwein getrunken" – fassungslos starrte Nicola Schurr wie viele andere auch am Montagabend auf die Bilder aus Berlin. Er aber tat das inmitten von Flüchtlingen in VS.

"Henning Keune, da hatten wir Glück", diese Worte tippte Nicola Schurr schon am Montagabend in einer Diskussion auf Facebook ins Internet. Zwei Tage, bevor der Lastwagen in den Berliner Weihnachtsmarkt raste, stand nämlich dort, wo das Fahrzeug jetzt Menschen unter sich begrub, noch eine Gruppe aus Villingen-Schwenningen: Die SPD der Doppelstadt – darunter auch Nicola Schurr und der Leiter des Amts für Stadtentwicklung Villingen-Schwenningen, Henning Keune. Unweigerleich drängen sich die Gedanken auf: "Was wäre gewesen, wenn am Samstag..."

"Jetzt ist es natürlich doppelt bedrückend. Nicht mit dem Gedanken verbunden, dass man Glück gehabt hat, sondern eher fühlt man sich den Opfern und ihren Angehörigen besonders verbunden, da man genau weiß, wie es vor Ort aussieht, wie es ist", versucht Schurr seine Gefühle in Worte zu fassen. Aber was fühlt der Mit-Initiator des Netzwerks "VS ist bunt" an Tagen wie diesen nach einem Terroranschlag, begangen durch einen mutmaßlich als Flüchtling eingereisten und in einem Flüchtlingsheim wohnenden Mann? Zweifelt der Mann, der im AWO Regenbogenhaus als Betreuer für 29 Unbegleitete Minderjährige Asylbewerber arbeitet, nun an seiner flüchtlingsfreundlichen Gesinnung? Möchte er am liebsten alle Flüchtlinge in den Flüchtlingsunterkunften der Doppelstadt auf Herz und Nieren prüfen?

"Nein ich zweifel’ nicht daran", sagt Schurr. Atemlos verfolgte er am Montagabend die Berichterstattung aus Berlin am Fernseher während seiner Nachtschicht – "mit einigen meiner Jugendlichen, alles junge Flüchtlinge", erzählt Schurr. Sie seien nicht minder geschockt gewesen, gibt Schurr wieder: "Wieso macht jemand so etwas?", hätten sie gefragt. Und gesagt: "Niemand, der vor Krieg flüchtet und hier ein neues Zuhause findet, würde so etwas ma chen. "Das sind die Menschen, vor denen wir geflohen sind."

"Ich stehe weiterhin zu meinem Kurs, VS ist und bleibt bunt", bekräftigt Schurr, der zu Zeiten, als der Pegida-Ableger Sbh-Gida auf die Straße ging, das Gegenprogramm mit der Initiative "VS ist bunt" gestartet hatte. Er sehe, wie es mit "seinen Jungs" voran gehe. "Sie integrieren sich, sie hinterfragen und sind froh hier zu sein und möchten etwas zurückgeben." Die anderen, das seien schlichtweg "Terroristen".

Müldner: "Dann kam dieser Safety-Check auf Facebook"

Während Nicola Schurr am Abend des Anschlags schon wieder in Villingen-Schwenningen war, war er noch dort: Rainer Müldner, Geschäftsführer der Wohnungsbaugenossenschaft wbg in Villingen-Schwenningen.

Er war am Berliner Alexanderplatz gerade auf einer privaten Geburtstagsfeier als plötzlich die schauerliche Nachricht die Runde machte. "Erst war die Rede von zwei Toten, dann wurden es mehr", relativ schnell sei dann klar geworden: "Da ist etwas Größeres passiert", schilderte er im Nachhinein. Ein Partygast, "das war ein Berliner", habe irgendwann völlig fassungslos gefragt: "Was machen die mit meinem Berlin?!"

Müldner bekam Anrufe besorgter Freunde, die sich erkundigten, ob Familie in Berlin in Sicherheit sei. "Und dann kam dieser Safety-Check auf Facebook." (siehe Foto) Komisch, wenn man plötzlich selbst in der Situation ist, anderen Auskunft zu geben, dass man selbst in Sicherheit ist. Und die Geburtstagsparty? Sie habe eine besondere, nachdenkliche Prägung bekommen, erinnerte sich Müldner gestern, am Tag seiner Abreise aus Berlin. Während er mit dem Schwarzwälder Boten telefoniert, blickt er aus dem Fenster. "Es ist furchtbar neblig draußen". Im Hotel sei es "merkwürdig", irgendwie "still" – "man hat das Gefühl, es schlägt sich auf die Stimmung nieder".