Er sollte die wichtigste Karte der Deutschen werden. Doch zwei Jahre nach der Einführung des neuen Personalausweises gibt es kaum Anwendungsmöglichkeiten für die Online-Funktion. Und die komplizierte Technik überfordert die Verbraucher. Foto: dpa

Am 1. November 2012 wurde er eingeführt, die wichtigste Karte sollte er laut Eigenwerbung werden. Doch noch verzichten mehr als zwei Drittel der Deutschen beim neuen Personalausweis auf die Online-Funktion. Ein Selbstversuch zeigt: Sie ersparen sich damit jede Menge Frust.

Stuttgart - Mit der Zahnbürste in der rechten Hand bucht Marie mit links im Internet einen Flug. Sie braucht dafür nicht mehr als einen Klick – und ihren neuen Personalausweis. Mit Hilfe der Online-Funktion kann sie sich eindeutig identifizieren und ihre Daten übermitteln. Im Werbespot des Bundesinnenministeriums für den Ausweis, den es seit zwei Jahren gibt, sieht das so einfach und praktisch aus, dass man es ihr auf der Stelle nachmachen möchte.

Der Antrag

Der Antrag

Alte Personalausweise können jederzeit bei den zuständigen Ausweis-Stellen gegen das neue Modell im Scheckkartenformat umgetauscht werden. Es braucht dazu nur ein biometrisches Passbild, 28,80 Euro – und eigentlich eine ganze Menge Vorwissen. Denn der Mitarbeiter beim Stuttgarter Bürgerbüro kann nicht erklären, wozu es sinnvoll wäre, die Fingerabdrücke auf dem Dokument zu speichern – also lässt man es. Als die Antragstellerin ein „Ja“ bei der Online-Funktion ankreuzt, schaut er skeptisch und murmelt etwas von den wenigen Einsatzmöglichkeiten. Offenbar kennt er Marie noch nicht.

Drei Wochen später kommt ein Brief mit der Geheimnummer für die Online-Nutzung, dann die Abholbenachrichtigung. Schön sieht der Ausweis nicht aus mit dem riesigen biometrischen Bild auf der kleinen Karte. Aber es geht ja schließlich um die vielen Möglichkeiten, die er schon bald eröffnen wird.

Die Zusatz-Ausrüstung

Die Zusatz-Ausrüstung

Der Laptop hat zwar eine kleine Öffnung für die Speicherkarte der Digitalkamera, nicht aber für den Personalausweis. Wie also sollen die digitalen Daten vom Chip auf dem Ausweis überhaupt an den Rechner und von dort an die Fluggesellschaft übermittelt werden? Ein Klick zu Marie zeigt: Sie nutzt dafür ein kleines Lesegerät.

Im Internet werden jede Menge solcher Geräte angeboten, die Käuferin muss sich nur noch entscheiden, ob sie 9 oder 160 Euro ausgeben möchte. Ein wenig Recherche ergibt: Die günstigen Modelle, bei denen die PIN-Nummer für den Ausweis über die Computertastatur eingetippt wird, gelten als unsicher – zu leicht könnte eine Schadsoftware hier die Daten auslesen. Also wird ein Gerät mit eigener Tastatur bestellt, das vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik empfohlen wird (www.ausweisapp.bund.de). Der neue Ausweis wird diese weiteren 70 Euro durch seine Zusatzfunktionen hoffentlich aufwiegen.

Die Software

Die Software

Der Treiber für das schwarze Lesegerät, das aussieht wie das Nummernfeld auf einem Bankautomaten, lässt sich problemlos installieren. Der Urlaubsplanung scheint nichts mehr im Weg zu stehen – außer einer Fluggesellschaft, die ihren Kunden das Buchen mit Hilfe der Online-Funktion im Personalausweis anbietet. Denn anders als Marie das seit zwei Jahren im Video zeigt, ist das noch immer nicht möglich.

Überhaupt sind die Anwendungen ziemlich übersichtlich, die das Bundesinnenministerium auf einer eigenen Internetseite (www.personalausweisportal.de) auflistet. Es gibt einige Städte, bei denen Führungszeugnisse oder Sperrmüllkarten beantragt werden können (Stuttgart gehört nicht dazu), und mehrere Versicherungen, die auf diesem Weg eine einfache Registrierung im Kundenportal anbieten (die Versicherungen der Autorin gehören nicht dazu). Bleibt das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Flensburg, wo der Punktestand abgefragt werden kann. Das ist weniger schön, als einen Urlaubsflug zu buchen, aber ganz nützlich.

Handbuchdicke Installationsanleitung

„Sie benötigen dafür einen neuen Personalausweis mit freigeschalteter Online-Ausweisfunktion (ja!), ein Kartenlesegerät (ja!) und eine Ausweis-App (?)“, steht auf der Seite des KBA. Noch immer sind nicht alle Bedingungen erfüllt, ein weiteres Programm muss installiert werden.

Die sogenannte Ausweis-App bringt eine handbuchdicke Installationsanleitung mit. Kurz gesagt ist sie dazu da, dass der Anbieter – also etwa das KBA – nur die Daten vom Ausweis auslesen kann, die er tatsächlich braucht. Und der Ausweisbesitzer muss für jede einzelne Angabe nochmals seine Erlaubnis erteilen. Aus Datenschutzgründen klingt das gut. Statt der Ausweis-App öffnet sich aber nur ein Fehlerfenster mit dem Hinweis, die Verbindung zum eID-Server könne nicht aufgebaut werden.

Der IT-Experte

Der IT-Experte

Die Begeisterung über den tollen, neuen Ausweis hat längst dem Frust Platz gemacht. Wenigstens kann man diesen mit zahlreichen anderen verzweifelten Ausweis-Nutzern teilen. Die Internetforen sind voll von Fehlermeldungen. Auf der Seite des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik zur Ausweis-App gibt es seitenweise mögliche Probleme (falsche Version des Internet-Browsers, nicht unterstützte Betriebssysteme, fehlerhafte Aktualisierungen) und eine kostenpflichtige Hilfshotline. Für 14 Cent in der Minute meldet sich sofort ein junger Mann. Er ist sehr freundlich, lotst einen kompetent zu den Einstellungen des Internet-Browsers und einigen Internetseiten. Funktionieren tut es am Ende trotzdem nicht.

„Bei den elf Millionen Fehlerquellen, die es im Zusammenhang mit der Ausweis-App gibt, weiß ich jetzt auch nicht mehr, woran es bei Ihnen liegt.“ Das Problem sei das Zusammenspiel zwischen Betriebssystem, Lesegerät-Treiber und Internet-Browser. Sobald eine dieser Komponenten aktualisiert werde, müsste auch die Ausweis-App angepasst werden, die mit allen Komponenten zusammenarbeite – ein riesiger Aufwand. Außerdem sei die Ausweis-App auch zwei Jahre nach der Einführung eher eine Beta-Version denn ein marktfähiges Produkt. Der letzte Tipp des netten Mitarbeiters: „Warten Sie einfach noch ein, zwei Jahre, bis die Technik wirklich ausgereift ist.“

Die Möglichkeiten

Die Möglichkeiten

Jede Menge Zeit also, um sich weiter mit theoretischen Möglichkeiten eines Online-Ausweises zu beschäftigten. Denn neben Marie und ihrem Flug gibt es weitere Bereiche, in denen so ein Online-Ausweis dem Nutzer wirklich Vorteile bieten könnte. Das sagt zumindest Herbert Kubicek vom Institut für Informationsmanagement in Bremen. Zusammen mit anderen Wissenschaftlern und Unternehmen hat er für das Bundesinnenministerium ein Gutachten über die Einsatzmöglichkeiten der Online-Ausweisfunktion erstellt.

Er rät vor allem dazu, die Anwendungen auszubauen, bei denen die Volljährigkeit nachgewiesen werden muss. „Dabei geht es nicht nur um Pornografie oder Computerspiele, sondern etwa darum, im Internet Lotto zu spielen.“ Auch im Online-Shopping sieht er ungenutztes Potenzial. Vor allem bei teureren Einkäufen sichern sich die Anbieter bislang per Vorkasse ab, bevor sie die Ware losschicken. „Mit Hilfe des Ausweises wäre auch der Verkauf auf Rechnung eine sichere Alternative“, sagt Kubicek. Denn die Händler hätten so eine gültige Adresse und damit eine Möglichkeit, rechtliche Schritte einzuleiten, wenn die Ware nicht bezahlt wird.

Skeptisch hingegen beurteilt er die Chancen, künftig online Verträge für ein neues Girokonto oder eine Kfz-Versicherung abschließen zu können. Denn dazu braucht es eine Unterschrift, und die wird in Deutschland – im Gegensatz zu anderen Ländern – nicht bei den Ausweisbehörden digital auf dem Chip gespeichert. Dazu ist ein weiterer Antrag bei einem sogenannten Zertifizierungsdiensteanbieter nötig (Liste unter www.bundesnetzagentur.de). Und noch funktioniert nicht einmal dieser komplizierte Weg.

Das Fazit

Das Fazit

Ausweis, Lesegerät und Anruf bei der Hilfs-Hotline haben rund 100 Euro gekostet, die Testerin hat jede Menge Zeit und Nerven verloren und keinerlei Nutzen daraus gezogen. Die Technik überfordert einen normalen Computernutzer nicht nur, sie funktioniert selbst mit Hilfe von IT-Experten nicht.

Auch dem Bundesinnenministerium ist nicht verborgen geblieben, dass der neue Personalausweis noch weit davon entfernt ist, die wichtigste Karte der Deutschen zu werden. Anfang 2011 war das Ministerium davon ausgegangen, dass bei der Hälfte der neu ausgestellten Ausweise auch die Online-Funktion freigeschaltet werden würde. Noch sind es aber weniger als 30 Prozent.

Herbert Kubicek, der in dem Gutachten auch die Gründe für die zögerliche Verbreitung untersucht hat, sagt: „Es fehlen überzeugende Anwendungsmöglichkeiten, vor allem auch mit exklusivem Zusatznutzen.“ Denn solange mit der Online-Funktion nur Dinge erledigt werden können, die auch ohne sie möglich sind, seien Aufwand und Kosten für die Nutzer zu hoch.

Das Hauptproblem aber liegt seiner Meinung nach im kompletten System: Während man sich unheimlich viele Gedanken über die Sicherheit gemacht habe, sei die Nutzerfreundlichkeit auf der Strecke geblieben. „In Skandinavien braucht man kein extra Lesegerät, sondern lediglich eine zertifizierte Software auf dem Computer“, sagt Kubicek. Das sei etwas weniger sicher, aber eben auch deutlich einfacher zu bedienen.