Sven Ulreich lebt in zwei Parallelwelten Foto: Pressefoto Baumann

Als Fußballer ist er Ulle, als Privatmensch ist er Sven Ulreich: Der Torhüter des VfB Stuttgart lebt in zwei Parallelwelten. Zuweilen sind sie nur schwer miteinander vereinbar - hier unser großes Interview.

Stuttgart - Als Fußballer ist er Ulle, als Privatmensch ist er Sven Ulreich (24): Der Torhüter des VfB Stuttgart lebt in zwei Parallelwelten. Zuweilen sind sie nur schwer miteinander vereinbar.


Sven Ulreich, in der Rangliste unserer Zeitung sind Sie nach der Hinrunde erneut der VfB-Profi mit dem besten Notenschnitt.
Das freut mich. Das empfinde ich als Auszeichnung. Und auch als Ansporn.

Sie sind inzwischen Publikumsliebling. Das macht das Leben nicht immer leichter. Wie ist es, ständig unter Beobachtung zu stehen?
Außerhalb des Platzes sind wir doch auch nur Menschen. Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn du weißt, einer guckt dir im Restaurant beim Essen zu. Das sind eben die kleinen Schattenseiten. Ansonsten führen wir aber schon ein privilegiertes Leben. Dessen bin ich mir total bewusst.

Wie gehen Sie im Privatleben mit Ihrer öffentlichen Rolle um?
Außerhalb des Fußballs will ich gern normal gesehen werden, da mache ich mir Gedanken wie jeder andere: Geht es meiner Familie gut, geht es meiner Freundin gut? Es gibt Tage, da wünscht man sich, unerkannt über das Volksfest oder den Weihnachtsmarkt schlendern zu können. Dann setze ich aber eben eine Mütze auf oder eine Sonnenbrille, obwohl ich das eigentlich nicht will.

Sie unterschreiben privat mit Sven Ulreich, als Fußballer mit Ulle. Gibt es Sie zweimal?
(Schmunzelt) Ich habe schon mal das Gefühl, dass die Leute nicht unterscheiden können zwischen dem Fußballer und dem Privatmensch. Wir geben alles für den Verein, aber in der Freizeit haben wir Bedürfnisse wie jeder andere. Wenn die Privatsphäre stets respektiert würde, hätte ich kein Problem damit, ohne Mütze auf die Straße zu gehen.

Können Sie wahre Freunde von falschen unterscheiden?
Ich merke, wenn sich einer nur meldet, wenn es gut läuft oder wenn er etwas von mir möchte. Ich habe das Glück, dass ich noch viele Schulfreunde habe. Für die bin ich der Sven aus Schorndorf und nicht der Profi Ulle. Die wissen, dass ich nicht viel über Fußball reden möchte, wenn wir uns sehen. Das brauche ich – dass ich weiß, ich kann mich dort auch zurückziehen.

Und Ihre Familie weiß das sowieso?
Meine Schwester macht eine Ausbildung, meine Freundin ist angehende Lehrerin, die haben andere Themen. Ich weiß, wie hart andere arbeiten müssen, um am Monatsende ihre Rechnungen bezahlen zu können.

Wie entspannen Sie?
Ich bin ein Familienmensch und freue mich, wenn ich abends auf der Couch sitze und meine Freundin, meine Familie oder auch meine Hunde um mich habe.

Was interessiert Sie privat?
Ich lese gerne, und ich reise gerne, ich will etwas von der Welt sehen. Miami gefällt mir gut. Aber der schönste Ort der Welt ist für mich Stuttgart, bei der Familie. Hier fühle ich mich einfach wohl, das ist meine Heimat.

Und wenn eines Tages das Ausland lockt?
Dann müsste sicher alles passen. Das wären schwierige Überlegungen, hier wegzugehen.

Die Menschen machen es Ihnen zuweilen aber nicht einfach. Neulich hat man Ihnen im Internet sogar geraten, sich das Leben zu nehmen. Sind da nicht Grenzen überschritten?
So etwas geht nicht spurlos an mir vorbei. Es gibt viele Chaoten im Netz, und ich sage auch nicht, dass niemand mich kritisieren darf, es sollte dann aber konstruktiv und respektvoll sein. Aber so was geht einfach nicht.

„Ich lese viel Zeitung“


Wie wichtig ist es für Sie als Profi, in sozialen Netzwerken vertreten zu sein?
Es schafft den direkten Weg zu den Fans.

Wie viele Facebook-Follower haben Sie?
Über 40 000.

Bei aller Hektik: Wie finden Sie Ruhe? Können Sie gut schlafen?
Normalerweise schon, aber nach Abendspielen liege ich auch mal bis halb vier wach, egal ob wir gewonnen oder verloren haben.

Wann geht ein Profi wie Sie ins Bett?
Ich versuche meistens so um 23.30 Uhr einzuschlafen. Ich habe mal gehört, dass der Schlaf vor Mitternacht für den Menschen am gesündesten ist (lacht).

In der Winterpause haben Sie auch mal Zeit für andere Dinge. Wie verfolgen Sie in Ihrer Freizeit, was außerhalb des Fußballs passiert?
Ich lese Zeitung, viel online, natürlich auch die Stuttgarter Nachrichten (zwinkert).

Wie nehmen Sie einen Amoklauf wie jüngst in den USA wahr?
Es gibt Dinge, die man nicht begreift. Da fällt es schwer, zur Tagesordnung überzugehen. So etwas zeigt mir immer wieder, dass Fußball nicht das Wichtigste im Leben ist.

Wie bewältigen Sie solche Ereignisse? Sind Sie gläubig?
Ich glaube an Gott und bete öfter. Ich freue mich auch, an Weihnachten in die Kirche zu gehen. Unterm Jahr bleibt dafür fast keine Zeit, wir trainieren ja meist sonntagmorgens auch noch. Ich denke, dass Gott keinen Wert darauf legt, dass man in die Kirche geht, sondern dass man gläubig ist oder betet.

Wer hat Sie in dieser Hinsicht geprägt?
Meine Oma hat mir meine erste Bibel geschenkt und immer mal Psalme vorgelesen.

Kann das im Profialltag helfen?
Oft steht Tiefgründiges in Psalmen. Als es sportlich bei mir nicht lief, hat mir zum Beispiel der Spruch geholfen: Mit Steinen, die man dir in den Weg legt, kannst du auch schöne Häuser bauen. Das hat mir gezeigt, dass es im Leben immer weitergeht, dass Gott bestimmt einen Plan mit mir hat.

Sie meinen, das Leben ist vorherbestimmt?
Ein Stück weit schon.

Beten Sie vor Spielen?
Nein.

„Ich sehe kein Problem darin, für meine Überzeugung zu demonstrieren“


Und was wünschen Sie sich zu Weihnachten? Profis haben doch alles, oder?
Manche Dinge kann man nicht kaufen: Gesundheit, aber auch Zeit mit der Familie.

Ist das wahrer Luxus für Sie?
Ja, das ist wirklich Luxus. Dass ich nicht daran denken muss, morgen ist Training, ich muss jetzt ins Bett.

Können Sie dann in den Tag hineinleben?
Die Läufe in der Winterpause mache ich frühmorgens, danach kann ich den Tag entspannter angehen und genießen.

Hand aufs Herz: Ist es für Sie vorstellbar, als Profi gegen Stuttgart 21 zu protestieren?
Ich sehe kein Problem darin, für meine Überzeugung zu demonstrieren, unabhängig von Stuttgart 21.

Apropos Überzeugung: Zuletzt lautete unsere Schlagzeile „Eine Hinrunde, die Mut macht“. Was macht Ihnen Mut?
Wir haben die Qualität, in der Rückrunde den einen oder anderen Punkt mehr zu holen als in der Hinrunde. Der eine oder andere Spieler kommt zurück, dann haben wir einen breiteren Kader und werden hoffentlich noch gefestigter sein.

Sie sind Notenbester unserer Zeitung. War es für Sie selbst auch eine optimale Hinrunde?
Es war eine ordentliche Hinrunde. Natürlich waren auch Spiele dabei, in denen ich mit mir nicht ganz zufrieden war. Als Mannschaft haben wir 25 Punkte geholt. Wenn wir jetzt gegen den 1. FC Köln im DFB-Pokal weiterkommen, kann man von einer guten Hinrunde sprechen.

In welchen Bereichen würden Sie als Torwart gern besser werden?
Ich mache jetzt nicht mehr die Riesenschritte in meiner Entwicklung, aber es gibt in jedem Bereich etwas zu tun. Ob Torwarttechnik, Fangtechnik, Spieleröffnung, Flanken – man kann immer noch vorankommen, auch wenn die Schritte kleiner werden. Doch daran arbeite ich natürlich weiter.

Was denken Sie, wenn es einen Elfmeter gegen Sie gibt?
(Lacht) Hoffentlich halte ich mal wieder einen. Bisher ist mir das erst einmal gelungen, beim 6:0 gegen Werder Bremen.

Träumen Sie manchmal davon, mal auf einer anderen Position zu spielen?
Nein, ich habe mich früh entschieden, Torwart zu werden, und es nie bereut.

Warum Torwart?
Auch weil mein Vater Torwart war. Mir hat immer gefallen, dass Torhüter den Ball in die Hand nehmen dürfen und sich von anderen Spielern unterscheiden. Und es sah immer toll aus, wie die Torhüter geflogen sind. Da dachte ich: So will ich auch mal hechten.

Neulich haben Sie Ansprüche auf die Nationalmannschaft angemeldet. Hat sich Bundestrainer Joachim Löw mal gemeldet?
Nein, ich habe keine Rückmeldung bekommen, aber das wollte ich damit auch nicht beabsichtigen. Wir haben so viele gute Torhüter, dass Joachim Löw zehn Topleute nominieren könnte. Ich habe gesagt, wie ich es empfinde. Ich werde jetzt weiter beim VfB alles geben, vielleicht bekomme ich dann irgendwann eine Chance.