Stolzer Schriri-Chef beim VfB: Alfred Schütter Foto: Baumann

84 aktive Schiedsrichter – mehr als der VfB Stuttgart hat kein deutscher Fußballverein gemeldet. Der Trend in Württemberg ist sogar rückläufig.

Stuttgart - Viel Freudiges gab es für die Verantwortlichen des VfB Stuttgart auf der Mitgliederversammlung im vergangenen Juli nicht zu verkünden. Dennoch wurde Bernd Wahler fündig, als er nach einem Erfolgserlebnis suchte, mit dem er seine Rede beginnen konnte. „Wir haben den FC Bayern überholt, wir sind die Nummer eins in Deutschland“, rief der Präsident den Mitgliedern zu – und meinte die Schiedsrichterabteilung des Vereins.

Die Anwesenden ließen sich davon zwar nicht blenden, schließlich interessieren sie sich fast ausschließlich für die Erfolge oder Misserfolge der Bundesliga-Fußballer. Die Leistung der Schiedsrichterabteilung mindert dies aber natürlich nicht. Sie verzeichnet seit Jahren Zuwächse und zählt nun 84 aktive Referees (darunter vier Frauen) – so viele wie kein anderer Verein in Deutschland. Die langjährige Nummer eins, der FC Bayern, hat zwar insgesamt mehr Mitglieder – aber nur, wenn man die passiven mitrechnet. Am Rande des jüngsten Aufeinandertreffens in der Bundesliga haben die Bayern-Verantwortlichen dem VfB offenbart, dass sie viele Karteileichen in ihren Reihen hätten – und den Spitzenrang bereitwillig an die Schwaben abgetreten.

„Wir können uns kaum retten vor Neueintritten“, bestätigt Alfred Schütter. Der stellvertretende Vorsitzende des VfB-Ehrenrats steht der 1923 in der Brauereigaststätte Wulle gegründeten Schiedsrichterabteilung seit 1989 vor. Wie er sich die große Nachfrage erklärt? Nun, der Verein kümmere sich sehr gut um seine Unparteiischen, meint Schütter. Das beginne damit, dass man Neueinsteiger bei den Spielen begleite, damit diese nach möglichen Negativerlebnissen nicht gleich wieder aufhören. Und das setze sich fort in gemeinsamen Unternehmungen wie Grillabenden und dem gemeinsamen Freizeit-Kick. In anderen Vereinen führten die Referees oft ein Schattendasein, berichtet das Schiedsrichter-Urgestein. Mancherorts wisse der Vorstand nicht einmal, dass es eine solche Abteilung überhaupt gibt.

Tatsächlich hat der Württembergische Fußballverband (WFV) bei den Referees mit Nachwuchssorgen zu kämpfen. Seit 2011 ging die Zahl der offiziell gemeldeten Schiedsrichter von 6854 auf 6593 zurück. Beim VfB Stuttgart ist der Trend gegenläufig, obwohl auch hier gilt: Jeder als aktiver Schiedsrichter gemeldete Unparteiische muss pro Jahr 15 Spiele leiten, dazu kommt die Teilnahme an vier Lehrabenden. Beim Club aus Cannstatt gibt es sogar einzelne Schiedsrichter, die bei weit über hundert Partien im Einsatz sind.

Die Pfeiferei beim VfB ist klassischer Breitensport. Pro Jahr bestreiten die Schiedsrichter rund 2000 Spiele – von der D-Jugend bis in die höheren Amateurligen. „Damit sichern wir den Spielbetrieb in hohem Maße ab“, sagt Schütter, der in seiner Laufbahn selbst 2560 Spiele geleitet hat – 2245 davon zwischen 1980 und 2011 für den VfB. Die großen Talente oder die Ambitionierteren kehren dem VfB irgendwann den Rücken. Das hat wiederum mit der Bundesligamannschaft des VfB zu tun. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) lässt diese Nähe nicht mehr zu, weshalb auch der einzige Stuttgarter Bundesliga-Schiedsrichter, Markus Schmidt, nicht beim VfB, sondern beim SV Sillenbuch gemeldet ist. Der Berliner Felix Zwayer war bis vor kurzem die einzige Ausnahme – doch auch er ist mittlerweile von Hertha BSC zum SC Charlottenburg gewechselt.

Auf die Frage, was sich in seinen 25 Jahren als oberster Schiedsrichter-Betreuer beim VfB alles geändert hat, fallen Alfred Schütter als Erstes die mittlerweile überambitionierten Eltern so mancher Nachwuchskicker ein. „Da erlebt man einige unangenehme Sachen“, sagt er, „leider auch Ausdrücke, die ich in meinem ganzen Leben zuvor noch nie gehört habe.“ Gerade für die jungen Männer an der Pfeife sei das oft nur schwer auszuhalten. Umso bemerkenswerter, dass sich trotzdem immer noch so viele Anwärter finden lassen – und dem VfB seinen Status als Nummer eins sichern.