Auch Tarnen steht auf dem Ausbldungsprogramm: Ukrainische Soldaten und ein US-Ausbilder auf dem Truppenübungsplatz Jarowiw in der Westukraine. Foto: DPA

Seit kurzem bilden US-Fallschirmjäger in der Westukraine Soldaten der Nationalgarde aus. Moskau reagiert empört. Doch das US-Engagement verändert das Kräftegleichgewicht im Osten nicht zugunsten der Ukraine.

Jarowiw - Zwei ukrainische Soldaten liegen auf dem Bauch, ihre AK-74-Schnellfeuergewehre im Anschlag. „Linke und rechte Flanke sichern und niemals die Sicherung nach hinten aus den Augen verlieren“, ruft ein US-Militärausbilder mit lauter Stimme – auch für den im sonnigen Kiefernwald stehenden Trupp ukrainischer Soldaten sofort von einem Übersetzer ins Ukrainische übersetzt.

Dem militärischen Gegner einen Hinterhalt stellen, das ist eine der Lektionen an diesem Tag für Soldaten der ukrainischen Nationalgarde, mehr als 1000 Kilometer vom Kriegsgebiet entfernt. Viele von ihnen haben monatelang an der Front in der Ostukraine gekämpft.

Die Ausbilder auf dem riesigen ukrainischen Truppenübungsplatz Jarowiw im Westen der Ukraine sind 300 US-Fallschirmjäger der 173. Luftlandebrigade aus dem norditalienischen Vicenza. Die „173.“ ist eine 3600 Mann starke Eliteeinheit, die derzeit in elf Ländern im Einsatz ist.

Operation „Furchtloser Hüter“ (Fearless Guardian)

Es ist Woche vier der Operation „Furchtloser Hüter“ (Fearless Guardian): Sechs Monate lang sollen rund 900 Ukrainer in jeweils achtwöchigen Kursen eine Art späte Grundausbildung erhalten: alles vom Schießen über die rechtlich einwandfreie Behandlung von Gefangenen bis zum Aufspüren von Sprengfallen. Die Betonung liegt eher auf defensivem als auf offensivem Vorgehen. Das kostet den US-Steuerzahler umgerechnet 17 Millionen Euro.

Während andere westliche Staaten vor einer derartigen militärischen Ausbildung zurückschrecken – nur Großbritannien, Kanada und Polen unternehmen ähnliche Anstrengungen –, reagiert Russland aufgebracht auf die Arbeit der Amerikaner. Dieses Vorgehen könnte „die Lage destabilisieren“, verlautete aus dem Kreml. Diesen Vorwurf weist Generalleutnant Ben Hodges, Kommandeur des US-Heeres in Europa (Usareur) mit Dienstsitz in Wiesbaden, klar von sich.

Die Amis sind eingeladen, die Russen nicht

Der Drei-Sterne-General besuchte Anfang der Woche Jaworiw, die stellvertretende Abteilungsleiterin aus dem US-Verteidigungsministerium Evelyn Farkas im Schlepptau, um sich selbst ein Bild davon zu machen, wie die Ausbildungsbemühungen laufen. „Ich weiß nicht, wie man das als möglicherweise destabilisierend betrachten kann. Der große Unterschied ist, dass wir uns auf Einladung der Regierung hier befinden. Die Russen sind aber von niemandem in die Ukraine eingeladen worden“, sagt der US-Offizier entschieden.

Die russische Regierung leugnet, was ihr von der Regierung in Kiew und auch von der Nato immer wieder vorgeworfen wird: dass Moskau Soldaten und modernstes Kriegsgerät in die Ukraine schickt, um den prorussischen Separatisten im Kampf gegen das ukrainische Militär zu helfen. Ein Konflikt, in dem trotz eines Mitte Februar in Minsk geschlossenen Waffenstillstandes im Osten fast täglich Kämpfer und Zivilisten sterben. Seit April 2014 wurden mehr als 6100 Menschen getötet. Russland verneint auch jetzt noch seine Einmischung, obwohl die Regierung in Kiew am Montag erklärte, dass sie zwei russische Soldaten gefangen nehmen konnte.

Als der Krieg vor mehr als einem Jahr begann, hatte die ukrainische Armee mit ihren 130 000 Mann gerade einmal 6000 wirklich kampfbereite Soldaten. Und noch immer steht es mit Ausrüstung und Training nicht zum Besten. Auch die Nationalgardisten tragen alle möglichen Uniformen, die sie sich selbst beschafft haben, darunter Bundeswehruniformen oder Handwerkeroveralls. Viele der unterschiedlichen Gewehre sehen aus wie aus dem Museum. Da fallen die neuen Helme und Schutzwesten, die sie von den Amerikanern erhalten haben, richtig auf.

Es gibt nur "nichttödliche" Ausrüstung

Die Nationalgardisten, die an der Ausbildung in Jaworiw teilnehmen, werden von den USA auch mit Nachtsichtgeräten und Funkgeräten ausgerüstet. Bisher liefert Washington – allen Wünschen der Regierung in Kiew etwa nach panzerbrechenden Raketen zum Trotz – aber keine modernen Waffen, sondern nur „nichttödliche“ Ausrüstung. Auch die US-Regierung befürchtet, Waffenlieferungen könnten Russland nur dazu bringen, noch mehr Waffen und Soldaten in die Ukraine zu schicken.

Vadym Perepichka, ein schmächtiger und blasser 26-Jähriger aus der Zentralukraine, hat fast ein Jahr im Osten seines Landes an allen Frontabschnitten gekämpft. Jetzt nimmt er als Kompaniechef an der Ausbildung der Amerikaner teil. „Wir haben viele interessante Dinge gelernt“, lobt er. Bisher habe ihm am besten gefallen, was er über das Tarnen erfahren hat. „Wir lernten, uns so gut zu verstecken, dass wir in fünf Meter Entfernung an einem Mann vorbeilaufen konnten, ohne entdeckt zu werden“, berichtet er. Die zwei Monate Ausbildung reichten aus, meint Perepichka: „Das ist genug, um bereit zu sein für die Schlacht.“

Die US-Ausbilder stellen trotz der Kampferfahrung der ukrainischen Nationalgardisten spürbare Verbesserungen bei ihnen fest. Einer der US-Soldaten, Leutnant Ty Boyle, berichtet, die Ukrainer seien sehr lernwillig und hoch motiviert. „Hurry up!“, „beeilt euch“, schallt es durch den Wald. „Ich bin definitiv davon überzeugt, dass wir diese Soldaten für den Erfolg in der ATO vorbereiten“, sagt der 27-Jährige aus Minnesota. ATO steht für Anti-Terror-Operation. So nennt die Kiewer Regierung den Krieg im Osten.

Den Amerikanern ist klar, dass der Aufbau der ukrainischen Streitkräfte, genau wie der dringend nötige Neuaufbau des gesamten ukrainischen Staates, ein langfristiges Projekt ist. Es gebe gar keine einheitliche ukrainische Armee unter der starken Zentralgewalt der Regierung, meint ein Beobachter, der namentlich nicht genannt werden möchte. „Hohe Generäle sind militärische Oligarchen mit ihren Machtbereichen, genau wie die Oligarchen im zivilen Leben.“

Und ein US-Offizier, der in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten fast vier Jahre in den Kriegen im Irak und Afghanistan im Einsatz war, grübelt, ob diese Ausbildungsmission nicht zu spät komme, um die Russen wirklich abzuschrecken. Andere Experten widersprechen. „Die USA setzen damit ein Zeichen“, meint etwa der Sicherheitsexperte Ulrich Speck von der Denkfabrik Carnegie Europe in Brüssel. Doch die US-Operation „Furchtloser Hüter“ vermag es nicht, das Kräftegleichgewicht im Osten der Ukraine zu verändern. Russland bleibt militärisch klar überlegen. Doch es bleibt absichtsvoll unklar, was folgt, sollten die Russen ihre Aggression noch verstärken.

Die Fallschirmjäger der 173. Luftlandebrigade, die in den vergangenen Jahren viele Soldaten im Irak und in Afghanistan ausgebildet haben, machen auch auf die großen Unterschiede zur Situation dort aufmerksam. „Die Ukrainer haben eine viel längere Geschichte mit einem organisierten Militär“, betont Major Weisman. „Und sie sind viel fähiger“, meint Feldwebel Anthony Barba. Vielleicht sind die Anstrengungen in der Ukraine deshalb auch nicht so vergeblich, hoffen die Amerikaner.