„Auch bei uns wird über die Grenzen der Geheimdienstarbeit und über Bürgerrechte debattiert. Wir werden ganz sicher unsere Politik ändern“, sagt US-Botschafter John Emerson. Foto: Leif Piechowski

Der neue US-Botschafter John Emerson macht erst gar nicht den Versuch, die Dinge schönzureden: Die deutsch-amerikanischen Beziehungen seien zerrüttet, sagt er. Und dennoch sei die Partnerschaft weiter unabdingbar.

Der neue US-Botschafter John Emerson macht erst gar nicht den Versuch, die Dinge schönzureden: Die deutsch-amerikanischen Beziehungen seien zerrüttet, sagt er. Und dennoch sei die Partnerschaft weiter unabdingbar.
Stuttgart – - Herr Emerson, Sie sind seit August in Deutschland und seither im Krisenmodus wegen des Geheimdienstes NSA. Bereuen Sie ihr Amt schon?
Überhaupt nicht. Seit ich am 15. August aus dem Flugzeug stieg, ist es meine Priorität Nummer eins, das erschütterte Vertrauen zwischen unseren beiden Ländern wiederherzustellen. Heute muss man einräumen, dass die Beziehungen in mancherlei Hinsicht zerrüttet sind. Zwar hätte ich es mir nicht ausgesucht, neu in ein Land zu kommen und gleich mit diesem Thema konfrontiert zu werden. Aber es ist besser, dass dies gleich zu Beginn meiner Amtszeit passierte.
Warum?
Jetzt habe ich eine einzige Hauptaufgabe: In meinen Gesprächen überall im Land muss ich wieder um Vertrauen werben und die Bedeutung der transatlantischen Partnerschaft neu herausarbeiten.
Ist die NSA-Affäre auch ein Zeichen für die längerfristige Entfremdung zwischen den USA und Europa seit dem Ende des Kalten Krieges?
Das denke ich nicht. Es gibt eine lange Geschichte der Geheimdienstkooperation zwischen den USA und Deutschland und den übrigen Europäern, die am Ende des Zweiten Weltkriegs begann. Diese Geheimdienstzusammenarbeit geht weiter. Nur sind es heute andere globale Gefahren: Aus dem Atomkrieg wurden Terrorismus und und Cyberangriffe. Außerdem: Wir richten uns neu nach Asien aus, aber nicht weg von Europa, sondern gemeinsam mit Europa. Angela Merkel ist öfter nach China gereist als in die USA. Wir alle verstehen die wachsende Bedeutung besonders Chinas und Indiens für die Weltwirtschaft.
Deutschland und andere Europäer sind aber darüber verärgert, dass die USA nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden.
In Wahrheit aber spionieren auch Verbündete oft bei Freunden. Nach den Anschlägen des 11. September standen die US-Geheimdienste unter enormem Druck, es das nächste Mal richtig zu machen. Gleichzeitig bedienen sich Hacker oder Terroristen geschickt der neuen technischen Möglichkeiten. Da mussten die Dienste versuchen, vorne dranzubleiben. Der Einsatz der neuen Technologien wurde nur sehr begrenzt hinterfragt, entzog sich der Kontrolle und der größeren bürgerrechtlichen Fragen. Deshalb versucht Präsident Obama einen Dialog zu führen, um eine bessere Balance zwischen Sicherheitserwägungen und Freiheitsrechten zu erreichen, als wir sie jetzt haben.
Ist die Krise auch das Resultat eines unterschiedlichen Standpunktes? Fällt Washington eine Entschuldigung deshalb so schwer?
In der Tat haben Amerikaner eine andere Perspektive als Europäer, besonders Deutsche. Tief ins kollektive Gedächtnis der Amerikaner haben sich Bilder vom 11. September 2001, vom Unterhosenbomber und vom Marathonbomber eingebrannt. Dagegen stehen die Deutschen noch unter dem Eindruck des massiven Missbrauchs der Geheimdienste im Dritten Reich und durch die Stasi. Außerdem gibt es auch einen kulturellen Unterschied.
Inwiefern?
Wenn Sie einem Amerikaner Bilder des Internetbilderdienstes Google Streetview zeigen, meint der: „Cool, kann ich auch mein Haus sehen?“ Das Erste, was ein Deutscher sagt, ist: „O mein Gott, wie kann ich mein Haus da wieder wegbekommen?“ Dieses tief sitzende Misstrauen der Deutschen gegenüber Technologien existiert so nicht in den USA. Aber auch bei uns wird über die Grenzen der Geheimdienstarbeit und über Bürgerrechte debattiert. Wir werden ganz sicher unsere Politik ändern, auch wenn das den Deutschen mit Blick auf den Kulturunterschied vielleicht nicht ausreichen mag.
Wie könnten die Beziehungen repariert werden? Ein Spionagevertrag hat wohl im Kongress keine Chance. Aber wie wäre es mit einer Erklärung Obamas zu Merkels US-Besuch?
Das Wichtigste im Moment ist der jüngst weiter verstärkte Dialog zwischen unseren Geheimdiensten. Da geht es darum, eine Arbeitsweise zu finden, die nicht nur die Sorge der Bürger um ihre Privatsphäre respektiert, sondern auch die Rolle Deutschlands als Freund und Verbündeter. Der Termin für den Washington-Besuch der Kanzlerin steht noch nicht fest. Obama und Merkel werden aber dann sicher nicht nur über die NSA reden, sondern etwa auch über Wirtschaftsfragen und Freihandelsabkommen.
Apropos Freihandelsabkommen. Warum ist das aus Sicht der USA so wichtig?
Unsere beiden Länder, die vom Export leben, würden von der Schaffung der größten Freihandelszone der Welt enorm profitieren. BMW sagt, sie würden umgerechnet 220 Millionen Euro im Jahr alleine durch die Abschaffung der Zölle sparen. Aber wirklich entscheidend sind Handelshemmnisse wie unterschiedliche Produktstandards. Deren Erfüllung kostet europäische und amerikanische Unternehmen viel Geld. Wenn ein Auto deutsche Sicherheitsstandards erfüllt, sollte es auch für den Verkehr in den USA okay sein. Man sollte also für eine ganze Reihe von US-Standards kein Geld bezahlen müssen. Und umgekehrt.
Gibt es auch eine politische Dimension?
Außerdem wird das Abkommen fast zu einem Megafon für westliche Werte wie den Respekt für geistiges Eigentum, den Rechtsstaat oder Transparenz im Handel. Diese wären dann eine Art Goldstandard, wenn wir mit dem Osten oder dem Süden Handelsverträge schließen. So bekommt die Freihandelszone fast eine geopolitische Dimension weit über das Ankurbeln unserer Volkswirtschaften hinaus.
Aber wie können Sie europäische Verbraucher beruhigen, dass ihre Umwelt- und Gesundheitsstandards nicht gesenkt werden? Stichwort Chlorhühnchen.
Man wird nie alle zufriedenstellen. Ich esse hier Hühnchen, obwohl ich weiß, dass es nicht gründlich gewaschen wurde. Sie finden es wahrscheinlich abstoßend, dass Hühnchen in den USA in Chlor gewaschen werden. Ich setze darauf, dass Transparenz am Ende dabei hilft, für diese Art von Streitigkeiten einen Ausweg zu finden. Wir dürfen es aber nicht zulassen, dass einzelne Fragen die gesamten Verhandlungen sprengen.
Wie finden Sie den Vorstoß von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, dass Deutschland sich weltpolitisch stärker engagiert?
Wir begrüßen es sehr, wenn Deutschland eine aktivere Rolle in der Welt spielt. Das wäre auch mehr im Einklang mit seiner ökonomischen Stärke und würde uns künftig beim gemeinsamen Vorgehen entlasten. Deutschland muss aber in seinem eigenen Tempo dorthin finden.