Mehr als 2,3 Millionen Verkehrsunfälle wurden im Jahr 2013 registriert. Rund 374 000 Menschen wurden dabei verletzt, 3300 getötet. Um diese Zahlen zu senken, werden immer neue Sicherheitssysteme entwickelt – unter anderem auch von Daimler und dem Stuttgarter Klinikum.

Was müssen Sie bei Kindersitzen beachten? Klicken Sie sich durch unsere interaktive Grafik. Foto: ADAC

Stuttgart - Es dämmert, Nieselregen lässt den Asphalt der Landstraße fast verschwinden. Mit moderaten 50 Kilometern pro Stunde nähert sich ein Mercedes einer weiten Rechtskurve. Da blitzen die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Autos auf. Der Fahrer ist geblendet, kommt dabei auf die Gegenspur – frontal auf den Kleinlaster zu. Es kracht. Metallsplitterwirbeln umher, die Limousine bleibt mit geknautschter Front stehen. Wenige Minuten später wird der schwer verletzte Fahrer in die nächstgelegene Klinik gefahren.

Handelt es sich dabei um das Katharinenhospital Stuttgart, kümmern sich um den verunglückte Fahrer nicht nur Ärzte und Pfleger, sondern auch eine „Study Nurse“, eine besonderen Krankenschwester. Sie erkundigt sich, ob seine medizinischen Daten bezüglich der Verletzungen zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet werden dürfen. Willigt er ein, werden diese anonymisiert an die Daimler AG weitergeleitet, genauer: an die Abteilung Fahrzeugsicherheit. Denn hier wird jedes Detail an Information verarbeitet. Ähnlich wie Detektive rekonstruieren die Experten anhand der Spuren das Geschehen und simulieren es am Computer. So können sie erkennen, was im Auto bei einem Zusammenstoß zu einer Gefahrenquelle werden kann – und wie man dies bei künftigen Automodellen verhindern kann.

Die Zusammenarbeit zwischen dem Stuttgarter Autobauer und dem Klinikum, die 2012 begann und nun in einer Studie münden soll, ist ein weiterer Baustein für einen besseren Schutz von Autofahrern: Seit 1973 helfen Unfallforscher der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) dabei, dass die  Sicherheitsstandards auf deutschen Straßen immer besser werden. Die Automobilindustrie hat seit 1999 eine eigene Datenbank, genannt GIDAS (German In-Depth Accident Study). Dort werden technische und medizinische Daten von Unfallopfern gesammelt. Für die Industrie sind die Daten entscheidend: So kann ein Bezug von den Unfällen zu den Crashtests hergestellt werden.

Aufblasbare Gurte bieten höheren Aufprallschutz

Ergebnisse sind heute schon in fast jedem Auto zu sehen: Benzintanks liegen nicht mehr vorne und können so bei einem Unfall auch nicht mehr so leicht explodieren. Es gibt Sicherheitsgurte – sogar solche, die sich beim Aufprall zu einem polsternden Luftschlauch aufblasen, um die bei einem Unfall auftretenden Kräfte besser zu verteilen. Nicht zu vergessen sind Airbags und Knautschzonen, die ebenfalls dazu beigetragen haben, dass die Zahl der Verkehrstoten seit den 70er Jahren von 20 000 auf ein Fünftel gesunken ist. Im Jahr 2013 zählte das Statistische Bundesamt bei 2,3 Millionen Unfälle 3338 Tote und 374 059 Verletzte.

Die Zahlen sind für Christian Knop, den ärztlichen Direktor der Unfallchirurgie und Orthopädie des Katharinenhospitals sowie Ideengeber der Kooperation mit Daimler, immer noch zu hoch. Im Schockraum des Hospitals mussten im vergangenen Jahr 153 Schwerverletzte behandelt werden, der Großteil waren Opfer von Verkehrsunfällen. „Die Verletzungen hierbei sind typisch“, sagt Knop. Meist ist die Halswirbelsäule betroffen, es gibt Knochenbrüche, Quetschungen – vor allem an den Armen und Beinen. „In Zukunft wird es darum gehen, Unfälle zu vermeiden, um dadurch effektiv Verletzte und Getötete zu verhindern“, sagt Knop.

Dabei soll die Entwicklung eines digitalen Kinderdummys helfen, den die Ingenieure zusammen mit den Ärzten des Klinikums Stuttgarts erstellen wollen. So können Unfälle am Computer simuliert und herausgelesen werden, welche Verletzungen bei Kindern vielleicht durch eine andere Bauweise der Autos vermieden werden kann – weitaus genauer als bei aufwendigen Crashtests mit richtigen Puppen. „Bislang gibt es solche virtuellen Menschmodelle mit den biometrischen Daten nur für Erwachsene“, sagt Rodolfo Schöneburg, Leiter der Abteilung Fahrzeugsicherheit.

Alkohol und Selbstüberschätzung sind die größten Unfallrisiken

Doch all die moderne Technik kann am Ende dennoch nicht das größte Risiko im Straßenverkehr kontrollieren: den Fahrer. Laut Unfallstatistik sind noch immer Alkohol und das Überschätzen der eigenen Fähigkeiten die häufigsten Ursachen für Fahrfehler. Doch es gibt noch andere Dinge, die Fahrer unaufmerksam werden lassen: So warnen Ärzte davor, krank oder allergiegeplagt ins Auto zu steigen. Die Konzentration und das Reaktionsvermögen lassen in solchen Fällen dramatisch nach. Darüber hinaus könnten Symptome wie tränende Augen oder heftiges Niesen das Fahren beeinträchtigen. Auch Gefühle wirkten sich auf das Fahrverhalten aus. Um etwa den Ärger aus dem Büro nicht mit auf die Heimfahrt zu nehmen, wird empfohlen, sich erst zu besinnen und sich dann mit Gelassenheit ans Steuer zu setzen. Ein erhöhtes Unfallrisiko geht auch mit dem Wetter einher: „Kälte ist sehr unangenehm, aber sie hält einen wach“, sagen Verkehrspsychologen vom Tüv-Süd. „Hitze hat dagegen eine stark ermüdende Wirkung.“ Deshalb seien Klimaanlagen bei hohen Temperaturen besonders wichtig. Vor allem auf monotonen Autobahnstrecken passiert es immer wieder, dass Fahrer kurz einnicken, warnen Unfallforscher der Kfz-Prüfgesellschaft Dekra. Dann hilft kein Spurassistent, dann hilft nur noch eine Pause.