Über Kirchentellinsfurt im Landkreis Tübingen zerteilen Blitze die Nacht. Foto: Grohe

Unwetter verursachen Millionenschäden. 38 Verletzte, Stromausfälle und Verkehrsstörungen.

Oberndorf - Blitze zucken im Sekundentakt, orkanartige Sturmböen wirbeln Äste und Zelte durch die Luft, golfballgroße Hagelkörner knallen auf die Erde: Heftige Sommergewitter haben im Südwesten getobt und viel Unheil angerichtet.

Schwere Gewitterstürme haben Baden-Württemberg heimgesucht und 38 Menschen verletzt, elf von ihnen schwer. Nach Angaben des Innenministeriums richtete das Unwetter in der Nacht zum Sonntag einen Schaden von mehreren Millionen Euro an. Bäume und Masten stürzten auf Straßen und Gleise und blockierten den Verkehr. Viele Bahnverbindungen waren unterbrochen, Blitze führten zu Stromausfällen, Rettungskräfte mussten zu Tausenden Einsätzen ausrücken. Die Aufräumarbeiten dauern noch lange.

Kein Durchkommen mehr auf Schwarzwaldhochstraße

Besonders schlimm erwischte es den Kreis Freudenstadt. Es kam zu Erdrutschen, die die Fahrbahnen blockierten – auf der Schwarzwaldhochstraße saßen Menschen in ihren Autos fest. Ein Mann wurde von der Feuerwehr aus seinem Auto befreit, das durch einen umstürzenden Baum eingedrückt wurde. Er und seine Beifahrerin kamen leicht verletzt ins Krankenhaus.

Baiersbronn wurde schwer getroffen. Nachdem das Ausmaß der Schäden gestern sichtbar wurde, fühlten sich viele Anwohner an Orkan Lothar erinnert. 180 Kräfte von Feuerwehr und Technischem Hilfswerk waren in der Nacht zum Sonntag allein in der Tourismusgemeinde im Einsatz.

Der Sturm mähte ganze Waldstücke nieder, der Starkregen ließ Keller volllaufen und überschwemmte Straßen. Umgestürzte Bäume und Erdrutsche blockierten viele Straßen und den Zugverkehr auf der Murgtalbahn, die am Sonntag auf einem Teilstück gesperrt war. Passagiere mussten in Busse umsteigen. Auch das Vorzeigehotel Traube Tonbach blieb nicht verschont. Dort wurde ein Dach abgehoben, Wasser drang in Zimmer ein. Die Gäste mussten umquartiert werden.

Sigmaringen Open-Air wird kurz abgebrochen

Tausende Besucher eines Open-Air-Festes in Sigmaringen wurden von auch von Unwettern überrascht. Die Veranstaltung musste unterbrochen werden. Popstar Tim Bendzko (»Muss nur noch kurz die Welt retten«) konnte seinen Auftritt nach Angaben der Polizei Sigmaringen allerdings fortsetzen, als die Unwetterfront weiter Richtung Norden gezogen war.

In Bubsheim (Kreis Tuttlingen) fing der Dachstuhl eines Wohnhauses Feuer, die Polizei vermutet infolge eines Blitzeinschlags. Verletzt wurde niemand, der Sachschaden beträgt jedoch 100.000 Euro; das Haus ist nicht mehr bewohnbar. Ein weiterer Blitzschlag setzte einen Strommast in Brand, örtlich fielen Hagelkörner bis zur Größe eines Ein-Euro-Stückes. Die Feuerwehr warnt vor dem Betreten von Waldgebieten, bevor diese nicht durch die Forstbehörden kontrolliert wurden. Es bestehe Gefahr durch abgerissen Äste, die noch in den Baumkronen hängen und herabstürzen können.

Seite 2: Jugendliche retten sich aus Zeltlager in schützende Halle


Glück im Unglück hatten 250 Jugendliche eines Zeltlagers in Balingen-Weilstetten (Zollernalbkreis), die zu einem Kleinfeldhandballturnier angereist waren. Gegen 19 Uhr rollte das schwere Unwetter an. Im Sekundentakt schlugen Blitze ein, heftige Sturmböen wirbelten Zelte durch die Luft, Hagelkörner flogen durch die Luft. Die Jugendliche konnten sich in ein großes Festzelt und eine Halle retten.

In Albstadt (Zollernalbkreis) wollten mehr als 500 Turner mit einem Massen-Kopfstand ins Guinness-Buch der Rekorde – doch auch sie mussten sich dem Unwetter geschlagen geben. Wer gestern im Lichtenbolstadion in Albstadt einen Kopfstand versucht hätte, wäre bis zur Nase im Schlamm versunken. »Deshalb haben wir jetzt den Rekordversuch abgesagt«, sagte Brigitte Kallenbach, Präsidentin des Turngaus Zollern-Schalksburg. Der Synchron-Kopfstand sollte eigentlich der Höhepunkt des Turnfests im Turngau Zollern-Schalksburg werden. Die Turner wollten sich gleichzeitig auf den Kopf stellen und mindestens 20 Sekunden lang nicht umfallen. Das muss nun wann anders nachgeholt werden.

Allein in Stuttgart zählte die Polizei 200 Einsätze. Herabstürzende Äste beschädigten rund 50 Fahrzeuge, Sturmböen deckten einige Dächer ab. 145 Notrufe gingen in Heidelberg ein, meist wegen umgestürzter Bäume. In Waiblingen (Rems-Murr-Kreis) fielen bei einem Fest Äste herab und verletzten neun Besucher, vier von ihnen schwer.

Auf dem Feldberg wurden 45 Menschen aus einer Hütte gebracht, in die ein Blitz eingeschlagen hatte. Bei Bad Urach wehte der Sturm ein Gartenhaus auf die Bundesstraße 465, die für die Räumung gesperrt werden musste. Im Stuttgarter Hafen kam bei dem Sturm ein 50-Tonnen-Ladekran in Schräglage.

Im gesamten Landkreis Tübingen kam es ebenfalls zu einer Vielzahl von Hilfseinsätzen durch Feuerwehr und Polizei. In der Mehrzahl waren umgestürzte Bäume, erheblich beschädigte Fahrzeuge, abgedeckte Dächer und teilweise überflutete Keller und Straßen der Grund.

Heftige Gewitter mit Sturmböen und Starkregen haben auch in weiten Teilen des Schwarzwald-Baar-Kreises überwiegend durch abgebrochene Äste und Hagel zu Schäden geführt. In Hüfingen wurden am Samstagabend gleich mehrere Autos durch Hagelkörner so groß wie Pingpongbälle beschädigt. Nach fünf Minuten aber war der Spuk dort vorbei.

Baum stürzt auf Auto von polizeilich gesuchtem Fahrer

Kurioses geschah in Südbaden: Ein umstürzender Baum brachte die Polizei auf die Spur eines Mannes, nach dem gefahndet wird. Eine Buche traf das Auto bei dem Unwetter am Samstagabend in Kandern (Kreis Lörrach). Allerdings ergriff der Mann die Flucht und konnte trotz eines Suchtrupps mit 40 Einsatzkräften und Hundestaffel nicht gestellt werden, teilte die Polizei gestern mit. Im Wagen blieben zwei Beifahrer zurück, die sich leichte Prellungen und Kopfplatzwunden zugezogen hatten. Warum der Mann gesucht wird, wollte die Polizei nicht sagen. Sie geht zudem davon aus, dass er das Auto ohne Führerschein gefahren hat.

Einige Bundesstraßen und Autobahnen wurden zeitweise gesperrt. Zu Stromausfällen kam es in Reutlingen, Tübingen, Waiblingen, Heidenheim, Schwäbisch Hall, Volkertshausen (Kreis Konstanz), Salem und Frickingen (beide Bodenseekreis). Ein Blitz schlug in das Stellwerk Stuttgart-Zuffenhausen ein. Die Zugstrecke Stuttgart-Heilbronn musste daher gesperrt werden. Ein Zug blieb im Schwaikheimer Tunnel auf der Strecke zwischen Waiblingen und Backnang stehen. Rettungskräfte und Notfallmanager der Bahn kümmerten sich um die Passagiere.

Zahlreiche Bäume stürzten auf Bahngleise und Oberleitungen. Die ICE-Strecke zwischen Ulm und München war bis gestern Mittag gesperrt. Wie eine Sprecherin der Deutschen Bahn in Stuttgart mitteilte, saßen in der Nacht die Passagiere in zwei Zügen in Stuttgart und Ulm längere Zeit fest. Im Bodenseekreis saß ein mit 50 Menschen besetzter Regionalexpress auf offener Strecke von Überlingen nach Sipplingen für zwei Stunden fest. Bis gestern Nachmittag gesperrt waren die Bahnstrecken zwischen Stuttgart und Aalen bei Remshalden (Rems-Murr-Kreis), zwischen Aalen und Crailsheim bei Jagstzell (Ostalbkreis), zwischen Waiblingen und Backnang (Rems-Murr-Kreis) und auf der Gäubahn Stuttgart-Singen bei Stuttgart-Vaihingen. Die Bahn leitete die Züge um oder setzte Busse ein.