Szene aus „Hollow Land“ von Michelle und Uri Kranot Foto: Festival

In der Animation kennt die Fantasie keine Grenzen – das hat das Eröffnungsprogramm des 21. Stuttgarter Trickfilm-Festivals am Dienstag im Kino Gloria bestätigt. Wie in Spielfilmen wie „Gravity“ getrickst wird, verraten parallel Experten aus aller Welt beim Fachkongress FMX.

Stuttgart - In der Animation kennt die Fantasie keine Grenzen – das hat das Eröffnungsprogramm des 21. Stuttgarter Trickfilm-Festivals am Dienstag im Kino Gloria bestätigt. Wie in Spielfilmen wie „Gravity“ getrickst wird, verraten parallel Experten aus aller Welt beim Fachkongress FMX.

Schon bei der Ankunft am Strand ist klar, dass etwas nicht stimmt: Das Paar, das in „Hollow Land“ („Hohles Land“) in einer Badewanne angeschwemmt wird, hat kein gelobtes Land erreicht, sondern eines, in dem alle Bürger eine sanitäre Saugglocke auf dem Kopf tragen müssen; wer es nicht tut und vom Strahl des Wachturms erfasst wird, löst Alarm aus.

Michelle und Uri Kranot, gebürtige Israelis in der dänischen Diaspora, würdigen mit einfühlsamem, sehr charakteristischem Puppentrick all die Rast- und Heimatlosen, die das Leben vor sich herspült, weil sie Verhältnisse nicht einfach hinnehmen. „Hollow Land“ ist ein wunderbares Beispiel für die Sinnhaftigkeit und die gestalterische Kraft in vielen Trickfilmen.

Von Nesthockern und schwulen Hooligans

Das Stuttgarter Festival ist beharrlich zu einem der zentralen Kulturereignisse im Herzen der Stadt gewachsen, das Gloria 1 war wie immer überfüllt, der künstlerische Trickfilm fasziniert viele Menschen – obwohl er sie fordert. Der Kanadier Chris Landreth zum Beispiel zeigt einen Mann, der sich nicht an den Namen eines Freundes erinnert – was Landreth in „Subconscious Password“ zum Anlass nimmt, ins Gehirn des Mannes einzutauchen und sich vorzustellen, wie der Suchprozess dort ablaufen könnte: Wie eine absurde Gameshow, in der James Joyce, Yoko Ono und Salvador Dalí auftreten – eine treffende Visualisierung zerebraler Marter.

Der Niederländer Jan-Dirk Bouw zeigt in „I Love Hooligans“ einen gewalttätigen Fußball-Fan, der vor der Kamera gesteht, schwul zu sein – und sich ausgerechnet in einem zutiefst homophoben Umfeld ein Zuhause gesucht hat. Weniger tragisch, dafür schön surreal in 2-D-Computeranimation thematisiert sein Landsmann Joost Lieuwma in „Uit Huis“ das Nesthocker-Phänomen: Der erwachsene Sohn lässt sich von Mama noch die Stullen schmieren, Papa schickt ihn hinaus in die Welt, doch irrwitzige Umstände bringen ihn immer wieder zurück nach Hause.

Makellose 3-D-Computeranimation hat Moritz Schneider an der Filmakademie Baden-Württemberg produziert: In „Harald“ erzählt er nur mit Lauten und viel Witz von einem Wrestler, der Blumen liebt, von seiner gierigen Mutter aber zum Kämpfen gezwungen wird. Passend zum Weltkriegsjubiläum geht Augusto Zanovello (Frankreich) in „Lettres de Femmes“ auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs, wo ein Papierpuppen-Sanitäter verwundete Kameraden mit Liebesbriefen wieder zusammenflickt – mit ungeahnten Folgen, wie er schmerzlich erfahren muss.

Was Tricks heute in Spielfilmen ermöglichen, verhandelt parallel zum Trickfilm-Festival im Haus der Wirtschaft die Fachkonferenz FMX. Fachleute aus aller Welt reisen an, die Veranstaltung genießt international Renommee. Ein Grund: die familiäre Atmosphäre. „Wir werden größer, aber nicht, was den Umfang angeht, sondern allein inhaltlich“, beschreibt FMX-Gründer Thomas Haegele die Philosophie.

Computer sorgen für spektakuläre Filmtricks

Der Stargast 2014 ist der Schauspieler Andy Serkis, der der Trickfigur Gollum im „Herrn der Ringe“ seine Gestik und Mimik gab wie auch dem Riesenaffen King Kong. Er wird darüber referieren, wie er sich in solche Figuren einfühlt und wie seine Bewegungen im Computer mit den Trickfiguren verschmolzen werden.

Insgesamt bietet die FMX eine breite Palette an Themen, die aktuell die Diskussion bestimmen: „Es geht um Echtzeitverarbeitung, neue Geschäftsmodelle, Immersion und Robotik“, sagt FMX-Programmmacher Jean-Michel Blottière – „wir haben auch einige Roboter zu Gast.“ Die Besucher dürfen hinter die digitalen Kulissen von „Captain America“ und „Grand Budapest Hotel“ schauen, US-Filmproduzent Jon Landau enthüllt Details zu „Avatar 2“. Und die diesjährigen Gewinner des Oscars für visuelle Effekte (VFX) sprechen über den Weltraum- Thriller „Gravity“.

Den Anfang macht am Dienstag Max Solomon vom Londoner VFX-Haus Framestore, das mit den „Harry Potter“- Filmen groß geworden ist. Der Film sei komplett „cg“ („computer generated“), sagt er: „Regisseur Alfonso Cuarón wollte alle Freiheiten bei der Gestaltung und sich nicht wie viele andere um die schwierigen Dinge herummogeln. Sein Ziel war ein hyperrealistischer Weltraum-Thriller, der aussieht, als wäre er im All gedreht, mit langen Einstellungen und der Illusion absoluter Schwerelosigkeit.“ Das ist ihm gelungen – und auch der Regie- und der Kamera-Oscar gingen an „Gravity“.

Solomon zeigt die Eröffnungssequenz, in der das Raumschiff von Weltraumschrott zerstört wird, er erläutert das dafür verwendete „destruction toolset“ („Zerstörungs-Werkzeugkasten“) im Computer. Er erzählt, wie die langen, ungeschnittenen Einstellungen die Speicherkapazitäten forderten, er zeigt, wie die Schauspieler Sandra Bullock und George Clooney an Seilen und Kränen agieren, und parallel dazu, wie ihre Bewegungen später am Computer noch verändert wurden.

Die Filmzukunft hat längst begonnen, bald wird die Realität nur noch ein Zulieferbetrieb fürs Digitale sein. Ein menschlicher Faktor aber wird bleiben: „Alfonso wollte Raumanzüge, die echt aussehen“, sagt Salomon – „aber sie sollten sexier sein als die der Nasa.“