Josef Volk war einst Bahnwärter und bewohnte das dazugehörende Häuschen, in dem es zwar eng war, aber jeder fand doch seinen Platz. Foto: Volk Foto: Schwarzwälder-Bote

Die jährlichen Freifahrten wurden kaum genutzt / Der Enkel eines Weichenwärters erzählt

Von Karl Volk

Triberg. Das Wohnen und Arbeiten im Bahnwärterhäuschen wurde oft, wenn überhaupt, nur am Rande und unter romantischen Gesichtspunkten beachtet.

Großvater hatte sechs Kinder, und alle hatten Platz, so klein das Gebäude auch gewesen sein mag, und zu essen genug. Selbstverständlich war kein großer Wohnkomfort vorhanden, den gab es früher nirgends. Aber gemütlich war es in Großmutters Stüble. Die "Wohnungsfrage" stellte sich erst bei der Pensionierung; bis dahin hatte man zur _ geringen – Miete gewohnt. Doch wurde das Problem in jedem Fall gelöst. Man kam etwa bei den eigenen Kindern unter, auch eine Mietwohnung stand irgendwo leer. Auf die Straße gesetzt wurde niemand.

Die Bahnwärterhäuschen waren aus technischen Gründen in kurzen Abständen an der Strecke gebaut, aber doch so weit auseinander, dass zur Einsamkeit veranlagte Menschen hier ihr Glück fanden. Für manche Ehefrau mag der Tag lang gewesen sein, da, wenn überhaupt, der Briefträger der einzige Besucher war. Nicht einmal immer der gemeinsame Kirchgang am Sonntag war möglich.

Die meisten Bahnwärterhäuschen waren winzige Höfchen, umgeben von Wiesen und Gärtchen, wo es die Topografie zuließ.Die Bahnwärter waren meist Bauernsöhne. Sie konnten in dienstfreien Stunden weiterhin Landwirtshaft betreiben. Gehalten wurde eine Geiß, auch zwei (die "Eisenbahnerkuh"), ein Schwein, Hühner, Tauben, Bienen. Da die Flächen entlang der Bahn oft nur schmale Streifen waren, musste auch jedes Stückchen genutzt werden, das bedeutete auch, dass von weiter her, auch auf der Krätze eine Halde herauf, Grünfutter getragen werden musste. Das war neben den langen Dienstzeiten ordentliche Arbeit, das Heuen an den Steilhalden war mühsam, Maschinen, sofern es sie schon gab, waren nicht einsetzbar.

So entstand ein Kulturstreifen inmitten von Wald, reizvolle Idyllen mit gepflegten Wohnhäuschen, von denen im Sommer die meisten mit Blumen geschmückt waren. Großmutters Freude waren ihre Hortensien. Die Bahntrasse war je nach dem Ziel auch der "Fußweg", nicht für die Streckenläufer, sondern für die Bewohner der Bahnwärterhäuschen. Der Gefahr durch Züge setzte man sich kaum aus, man kannte die Fahrpläne genau, und in den Tunneln die Nischen. Heute darf man es sagen, die Trasse war der kürzeste Weg, auch für die Briefträger, selbst für die Heidelbeersucher.

Den Bahnbediensteten standen jährlich zwei Freikarten zur Verfügung, mit denen sie innerhalb ganz Deutschlands reisen durften. Doch die nutzten sie, bis auf einige Ausnahmen, wenig. Abgesehen davon, dass in den bitteren Kriegsjahren allen die Lust am Reisen vergällt war, auch in Friedenszeiten wurden große Urlaubsreisen kaum unternommen. Der Großvater benutzte eine Freikarte, um auf dem "Sumärkt" in Haslach ein Schwein zu kaufen. Das war´s. Über Jahre fuhr er noch zu seinem Sohn, im Alter reiste er überhaupt nicht mehr gern. Übertragbar auf Kinder und Enkel war die Freikarte leider nicht. Obwohl die Gelegenheit günstig war, rauschte die große Welt so an ihnen vorbei.

Verwendet wurde der Freifahrschein vielleicht für eine Wallfahrt oder für eine Fahrt zu den eigenen Kindern. Oft blieb es dabei. Auch das muss gesagt sein: Berge und Täler empfand man nicht einfach als eine schöne Landschaft, sondern man sah nur die steilen Halden, die mühsam zu bewirtschaften waren. Auch Blumenwiesen sah man nur unter dem Gesichtspunkt des Nutzens. Im Wald waren meterdicke Bäume zu fällen, in halsbrecherischer Arbeit die Stämme ins Tal zu bringen oder mit dem Fuhrwerk aus dem Wald zu schleifen. Schöne Landschaft, nein danke! Man fand kaum an der Heimat etwas Schönes. Unglaublich, aber wahr.