Burkhard C. Kosminski (55) im Café im Schlossgarten in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der frisch gewählte Chef des Staatsschauspiels Stuttgart, Burkhard C. Kosminski (55), spricht im Interview über Stuttgart 21, Autorentheater und Claus Peymann.

Stuttgart - Nach langer Zeit kommt wieder mal ein Schauspiel-Intendant aus dem Land Baden-Württemberg. Im Interview spricht der frisch gewählte Chef des Staatsschauspiel Stuttgart Burkhard C. Kosminski darüber, was er 2018 in Stuttgart plant und wie es um seine künstlerische DNA bestellt ist.

Herr Kosminski, was konnte Sie aus Mannheim weglocken?
Meine Mutter, die 94 Jahre alt ist, hat immer gesagt, wenn du am Staatstheater Intendant wirst, hast du es geschafft. (lächelt). Aber tatsächlich ist es so, ich bin hier groß geworden, kenne die Szene gut. Und ich habe hier in der Zeit von Claus Peymann meine ersten beglückenden Theatererfahrungen gemacht.
Was war das denn?
Ich erinnere mich noch sehr gut an Peymanns „Faust“ von 1977 in Achim Freyers Bühnenbild. Es gab auch viele musikalische Arbeiten, die ich beeindruckend fand. Das Theater war ein Ort, an dem ich mich als Jugendlicher gemeint gefühlt habe.
Ist diese Art von Theater ein Vorbild für Sie?
Insofern, als für mich das Theater als Ort der Diskussion und der Begegnung ist. Natürlich würde es mir gefallen, wenn ein Theater zum Beispiel nach dem Vorbild des National Theatre in London allein schon von der Infrastruktur offen und einladend ist. Ein Ort, an dem zum Beispiel junge Leute auch mal tagsüber verweilen, weil es hier offenes Wlan gibt und die dann in der Cafeteria ihre Hausarbeit tippen oder Kaffee trinken und so selbstverständlich auch abends in die Vorstellungen kommen.
In Mannheim haben Sie eine Bürgerbühne geschaffen, um sich für die Stadt zu öffnen. Wäre so etwas für Stuttgart denkbar?
In Mannheim funktioniert das sehr gut, es sind dabei ja auch die anderen Sparten Oper, Tanz und Junges Nationaltheater involviert. Aktuell sind rund 700 Menschen bei uns im Haus aktiv. Die Erfahrung zeigt, dass Menschen, die selbst Theater spielen oder gespielt haben, hinterher auch ihre Rolle als Zuschauer ganz anders erleben.
Wie meinen Sie das?
Wir hatten zum Beispiel in der Oper ein Geräuschorchester, ein Projekt, bei dem Bürgerinnen und Bürger selbst experimentell Neue Musik entwickelt haben. Das war für die Mitwirkenden eine wunderbare Hörschule und hat Zugänge zur vermeintlich schwer vermittelbaren Neuen Musik geschaffen. Für mich war es in Mannheim sehr beglückend, mit allen Sparten gemeinsam die Bürgerbühne zu gestalten. Ich weiß allerdings nicht, ob so ein Modell in Stuttgart funktioniert. Überhaupt kann man die Städte Mannheim und Stuttgart nicht vergleichen.
Da feiern wir gerade das 65-Jahr-Jubiläum Baden-Württemberg und Sie sagen so etwas? Das müssen Sie erklären.
Um mich auf die Unterschiede der Städte zu beziehen: Stuttgart ist die Landeshauptstadt und das macht sich natürlich auch beim Renommee, der Ausstattung, bei den technischen Möglichkeiten und der Wahrnehmung eines Hauses bemerkbar. Ich hoffe auch, dass ich Künstler, die ich aus diesen Gründen nicht in Mannheim verpflichten konnte, für Stuttgart gewinnen kann. Und auch die Stadtgesellschaft ist eine andere. Mannheim ist sehr von Zuwanderung und Umbrüchen in der Industrie geprägt. Stuttgart hingegen ist stärker von Weltplayern geprägt, Daimler oder Bosch zum Beispiel. Firmen, die Zukunft gestalten, auch in Bezug auf Mobilität.
Betrifft die Mobilität auch den Bahnhof? Wird das Bauprojekt ein Thema sein im Theater?
In der Intendanz von Hasko Weber wurde das Projekt künstlerisch stark begleitet, etwa von Hausregisseur Volker Lösch. Doch ich glaube an Demokratie und das Projekt wurde in einem demokratischen Prozess befürwortet. Ich muss das nicht gut finden, aber ich muss das akzeptieren. Das Leben geht weiter.

Burkhard C. Kosminski in Interview

Der S-21-Kritiker Volker Lösch hat bei Ihnen auch schon inszeniert. Ebenso Elmar Goerden, den man in Stuttgart aus der Intendanz von Friedrich Schirmer kennt. Wird es ein Wiedersehen geben?
Volker Lösch hat die Intendanz von Hasko Weber sehr geprägt, deshalb bin ich vorerst etwas zurückhaltend. Ich schätze ihn aber sehr. Ein Wiedersehen mit Elmar Goerden ist sehr wahrscheinlich. Und auch mit Calixto Bieito, mit dem mich eine lange Zusammenarbeit verbindet und der in Stuttgart an der Oper herausragende Arbeiten gezeigt hat.
Ein Wiedersehen könnte es auch mit dem Schauspieler Burkhard C. Kosminski geben. Sie haben in Stuttgart 1987 schon auf der Bühne gestanden.
Das stimmt. Meine erste Bühnenrolle hatte ich im Theaterhaus Stuttgart in „Jubiläum“ von George Tabori. Dass Sie mich hier auf der Bühne erleben werden, hoffe ich für Sie und mich nicht. Ich bin in Mannheim einmal eingesprungen, bei Tracy Letts’ „Eine Familie“, weil ein Schauspieler im Zug festsaß und sagte, er schafft’s nicht zum ersten Akt. Er kam dann erst nach dem Schlussapplaus. Das ging schon und ich habe dafür viele Sympathiepunkte vom Publikum erhalten, aber ich bin sicher, der Abend wäre künstlerisch gelungener gewesen, wenn Zeit gewesen wäre, einen Schauspieler als Ersatz zu gewinnen.
Welche Art von Theater zeigen Sie in Stuttgart?
Ich möchte mich jetzt nicht auf eine ästhetische Position zurückziehen. Ich bin insofern Peymann-geprägt, als ich ein politisches Verständnis von Theater habe und relevante Themen auf der Bühne spiegeln möchte. Ich wünsche mir ein starkes Ensemble und stehe dafür, mit Künstlern auf einer langen Strecke zusammenzuarbeiten.
Und Mannheim ist dieses Jahr mit den Autoren Clemens J. Setz und Anne Lepper bei den Mülheimer Theatertagen vertreten. Werden Sie das Autorentheater mit Ur- und Erstaufführungen weiterführen?
Ja, das ist mir sehr wichtig. Das ist meine künstlerische DNA: Autoren langfristig zu fördern und auch auf der großen Bühne zu präsentieren. Mich verbindet zum Beispiel eine lange Zusammenarbeit mit Roland Schimmelpfennig und Theresia Walser…
Die man in Stuttgart bei Friedrich Schirmer sehen konnte …
Genau. Und ich hoffe, Arbeiten von ihnen in Stuttgart zeigen zu können. Aber auch die Zusammenarbeit mit anderen Autoren wird sicher fortgeführt. Auch das Modell des Hausautors, der sich eine Saison lang an ein Haus bindet – und meist darüber hinaus – finde ich lohnenswert.
Vielleicht könnten Sie dann auch Theresia Walsers Schwester Franziska und ihren Schwager Edgar Selge gewinnen, in Stuttgart im Ensemble zu bleiben? Man ist hier ja mit einem hervorragenden Ensemble verwöhnt.
(lächelt). Das wäre schön. Das Ensemble, das in der Tat hervorragend ist, ist mir sehr wichtig. Ich habe mit Armin Petras, den ich sehr schätze, vereinbart, dass ich baldmöglichst auch mit dem Ensemble sprechen kann. Wir werden sehen, wer gerne bleiben möchte, wer andere Pläne hat. Es ist ja auch immer eine Frage, ob die Regisseure und die Schauspieler zusammenpassen, sich füreinander interessieren. Ich werde sicher auch Schauspieler aus Mannheim mitbringen. Und ich hoffe, dass ich einige interessante Schauspieler nach Stuttgart holen kann, die man hier noch nicht kennt.
Ihr Vorgänger Armin Petras stand in der Kritik, weil er viel auswärts inszeniert und nicht oft genug vor Ort war. Wie werden Sie das halten?
Ich bin inszenierender Intendant und werde dies sicher auch in Stuttgart bleiben. Inszenierungen an anderen Theatern sehe ich aktuell nicht. Ich will mich in Stuttgart voll auf die neue Aufgabe konzentrieren und mich zu 100 Prozent auf die Stadt einlassen. Das bedeutet für mich auch jederzeit ansprechbar zu sein, im Haus und in der Stadt. Auch, um mögliche Vernetzungen zu erkunden, mit welchen interessanten Partnern man Kooperationen eingehen könnte. Das ist bitte nicht als Wertung zu verstehen. Ich kann auch gut nachvollziehen, dass man auch die künstlerische Inspiration an anderen Orten sucht.
Dann inszenieren Sie auch nicht wie Armin Petras nebenan im Opernhaus? Ist Ihnen nach der Absetzung Ihres Regiedebüts Wagners „Tannhäuser“ in Düsseldorf die Lust auf Oper vergangen?
Nein. Zu der Inszenierung stehe ich. Das Konzept, Parallelen zur NS-Zeit zu ziehen und einen Abend über die Entstehung der BRD zu machen, war dem Haus bekannt und von der Leitung gewollt. Bei der Premiere gab es so viele Buhs wie Bravos - auch bei der Premierenfeier. Ich hätte auch gern nach jeder Vorstellung mit dem Publikum diskutiert, doch das Angebot wurde nicht angenommen. Ich hatte seither weitere Einladungen, Oper zu inszenieren, habe sie aber abgelehnt, weil ich ahnte, dass man einen Skandal von mir erwartet. Dazu bin ich aber nicht bereit.
Sie leiten noch bis 2018 das Schauspiel am Nationaltheater Mannheim, bereiten zugleich Ihre Intendanz in Stuttgart vor. Was tun Sie zum Ausgleich, um diese erhöhte Schlagzahl zu meistern? Machen Sie Sport, werden Sie sich eine Dauerkarte fürs Leuze besorgen? Oder werden Sie in Mannheim wohnen bleiben?
Ich mache ein bisschen Sport. Und ich habe zwei kleine Kinder, da ist für Bewegung gesorgt. Glücklicherweise trifft es sich gut, dass meine Tochter eingeschult wird, wenn die Intendanz in Stuttgart beginnt. Auch wenn der ICE nach Mannheim und Stuttgart regelmäßig fährt – selbstverständlich werden wir in Stuttgart leben.
Um zum Schluss noch einmal zu dem von Ihnen geschätzten Claus Peymann zu kommen: Die Peymann-Zeit ist auch verbunden mit viel Renommee – bis zu drei Einladungen pro Saison zum Berliner Theatertreffen, Theater des Jahres. Auch die Politik schmückt sich gern mit solchen Auszeichnungen. Wie gehen Sie damit um?
Ich frage mich, wie misst man Qualität? Es kann sein, dass eine Inszenierung gut besucht ist, wir aber eine andere Arbeit, die schwierig ist, noch mehr schätzen. Es ist schön, auch Zuspruch von außen zu bekommen, aber mir ist es vor allem auch wichtig, in der Stadt als wichtige Institution wahrgenommen zu werden. Ich mache mir keinen Druck, wird werden aber alles ‘reinschmeißen, wie man so sagt, um gutes Theater zu machen, und hoffen, dass Stuttgart so neugierig auf uns ist wie wir auf Stuttgart.

Zur Person:

Am 19. Oktober 1961 wurde Burkhard C. Kosminski im baden-württembergischen Schwenningen geboren,er wuchs in Pfullingen auf. Nach seiner Schauspielausbildung in München absolvierte er in New York ein Regie- und Schauspielstudium am Lee Strasberg-Institute und am William Esper-Studio.

In Deutschland inszenierte Kosminski unter anderem in Berlin, Frankfurt, Dortmund und Dresden.

2001-2006 war Kosminski leitender Regisseur am Düsseldorfer Schauspielhaus.

Seit 2006 ist er Schauspielchef am Nationaltheater Mannheim. 2014 leitete er in Mannheim mit Matthias Lilienthal das Festival Theater der Welt.

2016 wurde Kosminskis Vertrag in Mannheim bis 2022 verlängert. Er wird dort nun die Intendanz 2018 beenden und zur Saison 2018/2019 in Stuttgart beginnen.