„Tatort“: Sebastian Bootz (Felix Klare) versucht, eine Supermarktkundin zu schützen Foto: SWR

Todesschüsse in einem Supermarkt bringen Lannert und Bootz in Bedrängnis. „Eine Frage des Gewissens“ ist der bisher vielleicht beste „Tatort“ aus Stuttgart.

Stuttgart - Wie war das noch jüngst im Konstanzer „Tatort“ „Winternebel“? Jochen Greve (Buch) und Patrick Winczewski (Regie) ließen Roland Koch als Schweizer Kommissar Matteo Lüthi reichlich Zweifel-Spielraum – und Koch nützte ihn zu einem fulminanten Solo, ohne dass es Eva Mattes als Kommissarin Klara Blum wirklich berührt hätte. Der Grund für Lüthis Zweifel an sich selbst, aber noch mehr an dem, was er für Realität halten muss: Er hat geschossen. Nach einer eher mauen Hetzjagd durch den Wald zum Ufer des Bodensees. Notwehr soll es gewesen sein, der Tote aber hatte gar keine Waffe. Sicher ist nur: Der Tote soll an einer Kindesentführung mit tödlichem Ausgang beteiligt gewesen sein. Hat Lüthi im Winternebel Rache geübt?

Noch schlimmer erwischte es Lena Odenthal in Ulrike Folkerts Jubiläums- „Tatort“. „Blackout“ hieß er – und zeigte genau dies. Lena Odenthal, die gehetzte Frau, bricht zusammen. Dass die Kommissarin zu spät kommt, um einen Selbstmord zu verhindern, dient den langjährigen Odenthal-Autoren Eva und Volker A. Zahn in der Eingangsszene als Tropfen in das längst schon überlaufende Fass der inneren Zerrissenheit ihrer Figur.

Und nun erwischt es auch das Stuttgarter Duo Lannert und Bootz. Die Kommissare sind zufällig in der Nähe, als ein Notruf eingeht – Überfall mit Geiselnahme in einem Supermarkt. Till Endemann (Regie) und Jürgen Carle (Kamera) setzen in der Eingangssequenz konsequent auf die Blickwinkel von Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare). Ein selbst panisch wirkender Mann hat einen Wachmann als Geisel genommen und droht, ihn zu erschießen.

Vorsichtig nähern sich die Ermittler. Wir sehen mit Bootz, wie Lannert auf den Geiselnehmer zugeht, sehen mit Lannert, wie die Situation auch für den Geiselnehmer immer auswegloser wird. Für einen Moment scheint die Szene fast eingefroren, plötzlich aber taucht eine Frau auf, erstarrt kurz und stellt sich dann in die Schussbahn. Wir sehen mit Bootz noch einmal Lannert mit vorgehaltener Waffe, dann zieht Bootz die Frau schützend auf den Boden. Ein Schuss fällt. Das nächste Bild zeigt den Geiselnehmer tot auf dem Boden. Der Wachmann ist unversehrt.

Der vielleicht bisher beste Stuttgarter Tatort

Lannert hat geschossen. Hat, wie er in der angeordneten Anhörung sagen wird, den „Rettungsschuss abgegeben“. Bootz stützt die Angaben gegenüber der Staatsanwaltschaft und einem Opferanwalt. Eine Falschaussage, wie die Fernsehzuschauer wissen. Bootz kann nichts gesehen haben. Dies wird Ausgangspunkt des Porträts eines von Selbstzweifeln Geplagten. Das kann schiefgehen, kann sich verlieren. Endemann und Carle aber können sich auf ein Drehbuch (Sönke Lars Neuwöhner und Sven Poser) stützen, das bei aller Konzentration auf den unter Scheidung und unter zeitweiliger Trennung von seinen Kindern leidenden Kommissar Bootz spannungsvolle Wendungen des Falles bereithält – bis hin zum Opferanwalt und der von Bootz geretteten Frau.

So wird „Eine Frage des Gewissens“ der bisher vielleicht beste Stuttgarter „Tatort“. Auch deshalb, weil es nicht, wie so oft im deutschen Fernsehen, ein Auseinanderfallen von Außen- und Innenaufnahmen gibt und weil die Schnitte (Sabine Garscha) räumlich und zeitlich erlebbare Übergänge schaffen, statt bloßer Szenenreihungen.

Bootz hat gelogen. Bootz, der einstige Mustermann. Die Wohnung vermüllt zunehmend, der Ermittler trinkt zu oft zu viel. Felix Klare bekommt viel Raum für seine Verlorenheit – und nützt ihn, ohne zu überziehen. Auch weil Richy Müller parallel seinem Lannert neues Gewicht gibt. Die Kamera stützt die Souveränität der Regie mit Stuttgart-Bildern, die Ortskundigen unzusammenhängend erscheinen können, für sich aber überzeugen.

Stuttgart-„Tatort“: „Eine Frage des Gewissens“, Sonntag, 20.15 Uhr, ARD