Die da! Demis Volpi hat sichtbar Spaß bei der Arbeit an seinem neuen Stück „Aftermath“ Foto: Beuttenmüller

Hier die Damen, dort die Herren! Wie einst in der Stadtkirche von Freudenstadt, wo man nach Geschlechtern getrennt im Frauen- oder Herrenschiff saß, ging es in letzter Zeit bei den Proben für den neuen Abend des Stuttgarter Balletts zu. Premiere ist am Donnerstag im Opernhaus.

Hier die Damen, dort die Herren! Wie einst in der Stadtkirche von Freudenstadt, wo man nach Geschlechtern getrennt im Frauen- oder Herrenschiff saß, ging es in letzter Zeit bei den Proben für den neuen Abend des Stuttgarter Balletts zu. Premiere ist am Donnerstag im Opernhaus.

Stuttgart - Nur mit Tänzerinnen erarbeitet Demis Volpi, Haus-Choreograf des Stuttgarter Balletts, sein neues Stück „Aftermath“; die Herren proben derweil mit Edward Clug für dessen neues Werk „No Men’s Land“. „Fahrende Gesellen“ heißt der Ballettabend, der an diesem Donnerstag im Opernhaus Premiere hat und bei dem beide Uraufführungen zu sehen sein werden. Der Titel bezieht sich auf einen Pas de deux von Maurice Béjart: „Lieder eines fahrenden Gesellen“, in Stuttgart seit 20 Jahren nicht mehr getanzt, entstand 1971 für die Ballettlegenden Paolo Bortoluzzi und Rudolf Nurejew.

Ein Abend, streng nach Geschlechtern getrennt? Auch wenn es nicht vordergründig darum geht, steht die Frage nach dem Rollenverständnis – im Tanz und überhaupt – mit auf der Bühne. George Balanchine wird oft mit dem Satz zitiert, dass man die Frauen lieben müsse, um gutes Ballett zu machen. „Ballett ist eine Frau“, sagte der Erfinder des New York City Ballet. Sport, Politik? Zu Balanchines Zeiten Männersache. Aber: „Ballett ist für Frauen. Sie sind leichter, flexibler, bewegen sich schöner. Er ist nicht der König. Aber sie ist die Königin.“

Nur Männer? Edward Clug hatte keine Wahl. Zum dritten Mal arbeitet der rumänische Choreograf, der in Maribor das Ballett am Slowenischen Staatstheater leitet, in Stuttgart. Anders als bei seinem erfolgreichen Debüt „Pocket Concerto“, das ihm die Türen zu vielen anderen Kompanien öffnete, und „Ssss...“ hatte er einen klaren Auftrag: Ein Stück nur für Männer wollte Ballettintendant Reid Anderson von ihm.

Selbstverständlich nahm Clug die Herausforderung an; Einschränkung gebiert ja oft die größten Kunstwerke. Der Choreograf lacht, als er sich an den ersten Tag im Ballettsaal erinnert.„Als diese 22 Männer in einer Reihe vor mir standen, bin ich doch erschrocken.“ Schon vor der Arbeit mit den Tänzern wollte er in das einfache Konzept einen tieferen Gedanken bringen. „Ich habe viel über Männer nachgedacht. Was ist unsere Rolle heute, wo hat die Evolution uns hingebracht?“ Eine Frage, die er gleich zu Beginn an seine Tänzer weitergeben hat. „Jungs, was haben Männer alles getan? Das wollte ich von ihnen wissen. Natürlich kamen witzige Antworten. Aber in einem stimmten wir überein: Männer haben sich stets in Konfliktsituationen gebracht. Kleine Konflikte führten zu großen, große zu Katastrophen.“

Dass sich 2014 der Beginn des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal jährt, passt zu dieser Idee vom Zündstoff Mann. Auf das Niemandsland zwischen den Fronten spielt der Titel an, aber natürlich hat Clug kein Stück über den Krieg im Sinn. Es geht ihm um die Kraft, die Männer in die Selbstzerstörung treibt, auch um das kreative Potenzial solcher Konflikte. Das Drama spiele vor allem in der Musik, sagt Clug; sein langjähriger Verbündeter, der Komponist Milko Lazar, gibt sie dem Tanz mit auf den Weg.

„Diese Aggressivität auf der Bühne herzustellen war für mich gar nicht leicht“, sagt Clug. „Ich bin kein konfliktliebender Mensch; meine Waffe ist eher die Selbstironie. Aber ich erkenne auch die ästhetische Attraktivität solcher Momente körperlicher Härte, mein Stück ,Ssss...‘ erzählt in der Beziehung von Männern und Frauen davon.“ Sind Männer unter sich, das weiß Clug, droht virtuoses Auftrumpfen. „Das wollte ich auf alle Fälle verhindern. Klar gibt es starke Momente, aber wir reden auch über Schwäche.“

Nur Frauen? Demis Volpis Entscheidung hat nichts mit dem zu tun, was Balanchine in Frauen sah. Als Stuttgarter Gewächs weiß er um die Stärken der Männer. „John Cranko hat dem Bild vom fragilen Tanz entgegengewirkt, indem er Männer als Männer zeigte. Onegin ist ein Typ, den man auch in einer schicken Bar treffen könnte.“

Volpis reine Damen-Besetzung hängt mit dem Wunsch zusammen, auf Spitze zu arbeiten. Vor allem wollte der Choreograf das Risiko ausklammern, inhaltlich missverstanden zu werden. Ihm geht es in „Aftermath“ um die Rolle, die Kunst spielt. „Inspiriert hat mich ein bekannter Schlager, den wir in Argentinien oft gehört haben. Darin stellt der Sänger die Frage, was wäre, wenn er schweigen würde. Würde man eine Rose als schön empfinden, wenn sie keiner besingt?“

Um den möglichen Verlust verständlich zu machen, stellt Volpi, unterstützt vom amerikanischen Komponisten Michael Gordon, unser Verständnis von Dramaturgie auf den Kopf: „Mein Stück läuft nicht auf einen Höhepunkt zu, sondern beginnt mit ihm. Sein Titel ,Aftermath‘, den man mit Nachwirkung übersetzen kann, verweist auf dieses Danach: Was bleibt übrig, wenn der Raum für Tanz und Musik immer kleiner wird, sie am Ende vorüber sind?“

Volpis Statement für die Kunst arbeitet auch inhaltlich mit klaren Rollenverteilungen. Hier die Kunst, verkörpert von Hyo-Jung Kang, dort die Masse, getanzt von 24 ihrer Kolleginnen. Großen Spaß habe ihm diese Arbeit gemacht, sagt Demis Volpi. „Es wird nicht mein letztes Stück für eine große Frauenbesetzung sein! Ich habe eine Fähigkeit bei den Tänzerinnen entdeckt, die wir Männer nicht haben: Sie können vieles gleichzeitig tun und sind deshalb in der Lage, das eigene Tun und zugleich das der anderen im Auge zu behalten. Nur so sind die großen Kollektive wie die in ,Schwanensee‘ möglich. Ich habe viel von ihnen gelernt!“