Demis Volpi (3. von links, daneben Damiano Pettenella) probt „Krabat“ – im Ballettsaal agieren George Bailey am Klavier und der Tänzer David Moore Foto: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett

Otfried Preußler erzählt in „Krabat“ von einem Waisenjungen, der als Lehrling in einer Mühle vom Meister auch in die schwarze Magie eingeführt wird. Nun verwandelt Demis Volpi den Jugendbuchklassiker zum ersten Mal überhaupt in ein Ballett.

Stuttgart - Otfried Preußler erzählt in „Krabat“ von einem Waisenjungen, der als Lehrling in einer Mühle vom Meister auch in die schwarze Magie eingeführt wird. Nun verwandelt Demis Volpi den Jugendbuchklassiker zum ersten Mal überhaupt in ein Ballett.

Herr Volpi, Sie sind in Argentinien aufgewachsen. Hatten Sie als Kind überhaupt Gelegenheit, Otfried Preußlers Helden kennenzulernen?
Das Einzige, was ich kannte, waren die Filme vom Räuber Hotzenplotz. Ich ging auf die deutsche Schule; um meine Sprachkenntnisse zu verbessern, besorgte meine Mutter immer Filme. Auf „Krabat“ selbst bin ich erst vor zwei Jahren gestoßen, als ich nach einem Thema für mein erstes Handlungsballett suchte. Preußlers Buch hat mich sofort fasziniert, vor allem der Schluss, der zeigt: Nur wer wirklich selbstlos ist, kann sich auch befreien. Toll fand ich das offene Ende, das zum Nachdenken reizt: Wo gehen die Gesellen hin? Finden sie ein besseres Leben als ihr altes? Mich begeisterte, dass diese Freiheit undefiniert bleibt und jeder für sich entscheiden muss, was sie bedeutet.

Ihr Auftrag war ein Stück für junge Menschen. Beim Thema hat Ihnen Ballettintendant Reid Anderson völlige Freiheit gelassen?
Ja. Ich denke, nachdem er meinen „Karneval der Tiere“ gesehen hatte, hat er bemerkt, dass ich in der Lage sein könnte, ein breites Publikum anzusprechen. Ich selbst hatte beim „Karneval der Tiere“ eigentlich nur ein junges Publikum vor Augen. Aber wenn man Kinder ernst nimmt, funktioniert ein Stück vielleicht für alle.

Die Erzählung vom Zauberlehrling Krabat und seinem finsteren Meister ist sehr männerdominiert. Wie gehen Sie damit um? Werten Sie die Rolle der Kantorka auf?
Es ist auch ein Männerstück geworden. Die Figur der Kantorka ist für mich die schwierigste in diesem Stück überhaupt, sie steht für die reine Hoffnung. Daraus kann man auf der Bühne schwer eine glaubwürdige Frau machen, in die sich jemand verliebt. Ich musste sie dreidimensionaler gestalten; bei uns hat die Kantorka deshalb mehr Sex-Appeal. Der Gevatter, der einmal im Jahr kommt, ist bei uns übrigens eine weibliche Figur. Ich wusste, dass sie jemand verkörpern muss, der die Szene mit einem Blick, mit einer Geste beherrscht – und das kann niemand besser als Sue Jin Kang.

Im Buch bleibt vieles nur Andeutung, der Tod etwa, der die Knochen bringt. Wie konkret ist Ihre Umsetzung?
Ich will, dass das alles genauso vage bleibt und jeder sich fragen muss: Was ist da eigentlich eben passiert? Was stattfindet, ist letztendlich so deutlich wie im Buch, aber ich will manche Sachen auch nicht zeigen.

Weil sie zu gruselig sind?
Ja. „Krabat“ beruht ja auf der alten Sage „In der schwarzen Mühle“, die Preußler umgearbeitet und universeller gemacht hat. In dieser Sage verwandelt der Meister die Gesellen in Schweine, sie müssen sich gegenseitig aufessen. Preußler hat die Geschichte von diesen schlimmen Bildern befreit; er arbeitet eher mit dem Geheimnis – das freilich furchterregender sein kann als das genaue Wissen.

Von allen Extremen befreit: Was ist für Sie der Kern von „Krabat“?
Es bleibt eine Geschichte von einem Menschen, der von der Macht verführt wird und dann bemerkt, dass es einen Preis dafür gibt. Er muss sich entscheiden – dafür oder dagegen. Der einzige Weg, sich dagegen zu entscheiden, führt über die Liebe. Die Kraft dieser Geschichte ist so stark, dass sie jeden im Team und in den Werkstätten hier im Staatstheater Stuttgart fasziniert, dass jeder Teil davon sein will. Für mich und meine Ausstatterin Katharina Schlipf, mit der ich schon für den „Karneval der Tiere“ zusammengearbeitet habe, ist es unheimlich schön, dass wir schon am Beginn unserer Karrieren diese tolle Unterstützung erfahren.

Platzieren Sie die Geschichte in ihrem historischen Kontext, also zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs?
Nein. Es gibt zwar ein paar Andeutungen, aber ich will, dass nicht zu identifizieren ist, wann und wo das spielt. Doch wenn die Frauen tanzen, wird „Die Gedanken sind frei“ gesungen. Wolfgang Heinz hat das Lied für einen Chor arrangiert, der zum Teil auf Sorbisch singt, was eine Andeutung an den Ort der Erzählung ist.

„Krabat ist voller magischer Elemente. Anlass für ein Bühnenspektakel?
Ich hoffe, dass mir die richtige Mischung gelungen ist: aus Theaterschauen und dem Wundern darüber, wie etwas funktioniert. Dieses Verpacken in tolle Bilder macht die Geschichte für ein junges Publikum visuell spannend. Wie Krabat und die anderen Gesellen sich in Raben verwandeln, ist zum Beispiel wunderschön. Theater ist nicht Hollywood, aber für eine Sekunde lang wird das Publikum doch verzaubert.

Wie begleiten Sie „Krabat“ musikalisch?
Ich habe mich für drei zeitgenössische Komponisten entschieden: Philip Glass, Krzysztof Penderecki, Peteris Vasks. Uns ist, finde ich, eine sehr atmosphärische musikalische Vorlage gelungen, die wie aus einer Hand klingt und ideal durch die Geschichte führt.

Was kann die Geschichte von „Krabat“ jungen Zuschauern mitgeben?
Das Tollste, was man von „Krabat“ lernen kann, ist, dass man sich auch gegen Dinge entscheiden kann. Nicht hinzuschauen, etwas zu ignorieren ist auf eine gewisse Art und Weise auch eine Zustimmung, ein Akzeptieren der Situation.

Mehr Bilder von den Proben finden Sie auf auf der Seite des Stuttgarter Balletts.