Foto: dpa

Bundeskanzlerin bekommt in Stuttgart Eugen-Bolz-Preis für Zivilcourage der Stadt Rottenburg. Mit Video

Rottenburg/Stuttgart - Man merkt, dass Angela Merkel (CDU) unter Freunden ist. Zur Verleihung des Eugen-Bolz-Preises hat am Mittwoch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) für den würdigen Rahmen gesorgt. Im Speisesaal des Neuen Schlosses in Stuttgart überreicht Rottenburgs Oberbürgermeister Stefan Neher (CDU) den Preis an die Bundeskanzlerin für deren Flüchtlingspolitik.

Diese nimmt die Preisverleihung zum Anlass, um für das vereinte Europa einzutreten: "Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass wir mit dem Zauber der Freiheit so oft in Berührung kommen. Damit er zum Wirken kommt, kommt es auf jeden von uns an." Die Kanzlerin mahnt, hartnäckig um ein vereintes Europa als "die beste Versicherung für ein gemeinsames Leben in Frieden und Freiheit" zu kämpfen. Merkel holt aus: "Wenn man bedenkt, welche Gräben die Gründer der Europäischen Union damals überwunden haben, müsste es in einer Situation heute, die viel besser ist, auch möglich sein, die EU zusammenzuführen." Es lohne der Blick zurück: "Gerade, wenn wir uns manchmal überfordert fühlen. Wenn wir sehen, mit welcher Courage die Mütter und Väter des Grundgesetzes im Wohle Deutschlands hingewirkt haben, dann sollten wir diese Courage auch heute einbringen. Und nicht immer nur fragen: Ist der Erfolg schon sicher? Sondern einfach tun." Ein Satz, der langen Applaus auslöst.

Die 62-Jährige bezeichnet die Lage Europas als "schwierig". Und fährt fort: "Die gemeinsame Erfahrung in der EU ist zwar wichtig, aber zu wenig, um die EU zusammenzuhalten. Das Votum für den Brexit war und ist ein tiefer Einschnitt." Europa durchlebe schwierige Zeiten. Nicht zu vergessen seien das Währungsrisiko, die angespannte Lage in der Ost-Ukraine, die vielen Flüchtlinge und die mangelnde Solidarität in der EU sowie die Gefahren des internationalen Terrorismus. Aber, glaubt Merkel: Entscheidend sei, ob in Europa überzeugende Antworten auf diese Herausforderungen gefunden würden. "Das geht aber nur, wenn wir sie gemeinsam finden. Europa ist nur so stark, wie wir es auch zusammenhalten können", ist die Kanzlerin überzeugt.

Dann ist es so weit: Rottenburgs Oberbürgermeister Stephan Neher (CDU), Vorsitzender des Stiftungsrats der Eugen-Bolz-Stiftung, überreicht der Kanzlerin den mit 5000 Euro dotierten Preis. Und Kretschmann lobt – wie bereits vor der Landtagswahl am 13. März 2016 – noch einmal das "Wir schaffen das!" der Kanzlerin: "Sie haben in einer Extremsituation gehandelt und geholfen. Das ist Ausdruck einer humanitären Handlung – die Sie gegen härteste Widerstände durchgehalten haben. Sie haben deutlich gemacht, dass Asylrecht als Grundrecht nicht qualitativ begrenzt werden kann." Kretschmann versichert der Kanzlerin die Unterstützung seiner Landesregierung. Bei der Einigung der Europäischen Union aus "innerstem deutschen Interesse. Als Antwort auf Nationalismus und als Antwort auf eine Welt, in der wir unsere Werte nur gemeinsam einbringen können."

Der Ministerpräsident bleibt grundsätzlich wie aktuell: "Auch den Widerstand gegen Protektionismus können wir nur gemeinsam führen. Indem wir als überzeugte Europäer eintreten, wenn die westliche Werteordnung mit Füßen getreten wird. Das ist die Lehre aus der Geschichte und von aufrechten Demokraten wie Eugen Bolz."

Reinhard Kardinal Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, verweist auf Merkels christliche Verwurzelung: "Der christliche Glaube will den Blick weiten. Letztlich richten sich die populistischen Bewegungen gegen das Konzept einer offenen, freien und pluralen Gesellschaft. Ein Rückzug auf das Nationale ist keine christliche Option."

Und Bischof Gebhard Fürst von der Diözese Rottenburg-Stuttgart betont: "Als Bischof schmerzt es mich, zu sehen, dass Religion immer wieder missbraucht wird, um Gewalt, Hass und Ausgrenzung zu rechtfertigen."

Auch Neher lobt seine Parteikollegin: "Deutschland ist nach den schrecklichen Ereignissen der Weltkriegsjahre ein tolerantes, weltoffenes und erfolgreiches Land geworden." Aus dieser Erfahrung heraus müsse heute jeder politisch Verantwortliche europäische, humanitäre und christliche Werte im Handeln für die Bürger beachten. "Sie, Frau Bundeskanzlerin, tun dies auch gegen harte Widerstände in unserem Land und in Europa."

Kein Wunder, dass Merkel noch ein Lob für alle ausspricht. Es sei für sie ungewöhnlich, so viel Gutes über ihre Politik zu hören: "Es ist ein bisschen komisch, weil man es gewöhnt ist, den ganzen Tag immer wieder so im Kampf zu verbringen."

Beim anschließenden Empfang zeigt sich die 62-Jährige locker: Sie herzt sogar kurz Nehers Tochter. Plauscht mit Charlotte Knobloch, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, und Robert Antretter, Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken. Sie tauscht sich mit Alt-Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) aus. Und schließlich macht die Bundeskanzlerin Fotos mit den Schülern der Eugen-Bolz-Schulen im Südwesten.

Info: Widerstandskämpfer Eugen Bolz

Preis

In Erinnerung an den 1945 von den Nazis hingerichteten Politiker Eugen Bolz verleiht eine nach ihm benannte Stiftung seit 1997 eine Auszeichnung für Zivilcourage. Bereits seit 1949 gibt es einen Verein, der das Andenken des früheren württembergischen Staatspräsidenten und Widerstandskämpfers wachhält. Seit 2007 übernimmt diese Aufgabe die in seiner Geburtsstadt Rottenburg (Kreis Tübingen) angesiedelte Eugen-Bolz-Stiftung.

Namensgeber

Eugen Bolz, der 1881 als zwölftes Kind einer katholischen Handwerkerfamilie zur Welt kam, gehörte zum Kreis der Eingeweihten um das geplante Attentat auf Adolf Hitler, das am 20. Juli 1944 scheiterte. Wegen "Aufforderung zum Hochverrat und Feindbegünstigung" verurteilte ihn der Volksgerichtshof in Berlin am 21. Dezember 1944. Vollstreckt wurde das Todesurteil am 23. Januar 1945 im Gefängnis Berlin-Plötzensee mit einem Fallbeil.