Wie viele Reisende passen problemlos auf die Bahnsteige im neuen Tiefbahnhof? Foto: Aldinger & Wolf

Ein Gutachten im Auftrag des Verkehrsministeriums bescheinigt dem geplanten Tiefbahnhof Vorteile gegenüber dem Kopfbahnhof. Und das schon seit drei Monaten. Veröffentlicht worden ist die Untersuchung aber erst am Mittwoch nach Druck von außen.

Stuttgart - Seit Jahren zweifeln Kritiker an der sogenannten Personenstromanalyse, die ein Büro im Auftrag der Deutschen Bahn 2009 angefertigt hat. Der Tenor: Es stimme nicht, dass der geplante Durchgangsbahnhof mehr Reisende komfortabel abwickeln könne als der bisherige Kopfbahnhof. Ein Gutachten der Karlsruher Verkehrsplaner PTV im Auftrag des Stuttgarter Verkehrsministeriums widerlegt diesen Vorwurf jetzt.

Es sieht zwar bei den Bahnsteigen und Treppen des Tiefbahnhofs an einigen Stellen Schwächen, kommt aber zum Fazit, dass das Gutachten der Bahn korrekt erstellt worden ist. Und nicht nur das: „Werden für den Kopfbahnhof die Prognosezahlen des Durchgangsbahnhofs angesetzt, schneidet der Durchgangsbahnhof besser ab. Er ist unter Ansatz gleicher Verkehrsmengen komfortabler als der Kopfbahnhof.“ Ein abschließender Vergleich sei allerdings nur schwer möglich.

Veröffentlicht worden ist das Gutachten am Mittwoch – nachdem Medien darüber berichtet und den Vorwurf erhoben hatten, es werde seit drei Monaten unter Verschluss gehalten, weil das Ergebnis Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) nicht gefalle. Diesen Vorwurf weist Hermann zurück: „Wir haben keinerlei Interesse daran, Gutachten oder Ergebnisse zu verheimlichen“, sagt er. Allerdings sei die Ende 2012 in Auftrag gegebene und gut 38 000 Euro teure Untersuchung durch diverse Planänderungen inzwischen überholt. Man habe sich deshalb noch weiter mit den Gutachtern abstimmen wollen.

In einer schriftlichen Stellungnahme des Ministeriums heißt es: „Die Ende Dezember 2013 vorgelegte Untersuchung ist noch nicht abschließend ausgewertet, möglicher ergänzender Untersuchungsbedarf ist noch nicht geklärt.“ Man habe vor einer Veröffentlichung erst noch „mögliche Kritikpunkte an der Methodik ausräumen“ wollen.

Klärungsbedarf besteht nach Meinung des Ministeriums in mehreren Punkten. So bilde die jetzt untersuchte Analyse aus dem Jahr 2009 nicht den derzeitigen Stand beim Brandschutz ab. Aufgrund von Mängeln sind inzwischen Fluchttreppenhäuser geplant. Die Bahn hat angekündigt, das neue Konzept im April vorzustellen. Außerdem geht das Gutachten noch von 29 Zügen in der Spitzenstunde aus – im Stresstest hat die Bahn aber 49 Züge angegeben. Das müsse man berücksichtigen. Erst dann könne man „die Debatte versachlichen“.

Den Hinweis auf den Stresstest lassen Bahnexperten allerdings nicht gelten. „Die Personenstromanalyse zur Bewertung der Zugangsanlagen und der Stresstest zur Dimensionierung der Gleise haben nichts miteinander zu tun“, sagt einer. Man gehe bei der Personenstromanalyse von zwei Zügen gleichzeitig am Bahnsteig mit größtmöglichem Passagieraufkommen aus. Deshalb sei es dafür unerheblich, wie viele Züge innerhalb einer Stunde in den Bahnhof einfahren.

Überrascht zeigt man sich beim Koalitionspartner der Grünen. Im SPD-geführten Finanz- und Wirtschaftsministerium war das Gutachten bisher nicht bekannt. Staatssekretär Ingo Rust, bei der SPD für das Thema Stuttgart 21 zuständig, bestätigt, dass er erst vergangene Woche gerüchteweise von dem Vorgang erfahren habe und den genauen Inhalt der Untersuchung nicht kenne. Das Projektbüro Stuttgart 21 will sich an diesem Donnerstag äußern.

Der jetzige Streit um die Veröffentlichung eines Gutachtens ist nicht der erste. Bereits im Juli 2012 waren die Projektpartner anlässlich des Filder-Dialogs zur Anbindung des Flughafens aneinandergeraten. Stadt, Region und Bahn einerseits sowie das Verkehrsministerium andererseits warfen sich gegenseitig vor, die Unwahrheit zu sagen. Damals hatte Hermanns Ministerium eine Untersuchung zur Anbindung der Gäubahn veröffentlicht, zwei weitere Analysen aber nicht.

Das Gutachten findet sich im Internet unter http://mvi.baden-wuerttemberg.de.