Für zehn Stunden stand der Vortrieb in der Röhre neben dem Wagenburgtunnel still. Zeit, die unsere Leser dazu nutzen durften, das Mega-Projekt Stuttgart 21 aus nächster Nähe zu beäugen Foto: Max Kovalenko

Immer tiefer graben sich die Bagger und Tunnelbohrmaschinen in den Untergrund. Stuttgart 21 nimmt Gestalt an. Nur wenigen Menschen ist es allerdings vergönnt, einen Blick in die Herzkammern des Projekts zu werfen: in die Tunnelröhren. Doch 18 ausgeloste Leser unserer Zeitung hatten Glück.

Stuttgart - Die gelben Gummistiefel drücken ein bisschen, der weiße Schutzhelm sitzt auch nicht auf Anhieb. Doch dann sind die 18 Leser der Stuttgarter Nachrichten perfekt ausgerüstet für ihren Ausflug unter Tage. Sie dürfen der DB Projektbau am Montag ausnahmsweise beim Bau des Megaprojekts Stuttgart 21 über die Schaufel schauen – hautnah. Weit über hundert Bewerbungen verzeichnete die Redaktion für diesem Termin, am Ende entschied das Los, wer unter Tage durfte.

Neben dem Wagenburgtunnel, dort wo früher im legendären Rockclub Röhre Bands die Wände zum Wackeln brachten, übernehmen diese Aufgabe jetzt Tunnelbagger. Mit dem Unterschied, dass die Bagger die Wände gleich ganz einreißen und schon 146 Meter tief in den Berg gedrungen sind.

Dort, unter der Uhlandshöhe, entsteht bis 2019 ein Rettungsstollen hin zu den vier Röhren des Fildertunnels, dem Herzstück von Stuttgart 21. Im Falle eines Unfalls sollen durch den Stollen Rettungskräfte in Lastwagen oder Bussen in die Hauptröhren gelangen.

Bis es soweit ist, müssen Matthias Breidenstein und sein Team aber noch viele hundert Tonnen Erde abtragen. Der studierte Bauingenieur bekleidet die Position des Projektabschnittsleiters für das sogenannte Wagenburgportal, wie die Fachleute das Tunnelstück nennen.

Am Montag nahm sich Breidenstein eine Auszeit und gab den interessierten Lesern einen Grundkurs in Sachen Tunnelbau. Der beginnt am Röhreneingang: Spätestens hier erahnen die Teilnehmer die gigantischen Dimensionen allein dieses Teilprojekts. Der Durchmesser der Röhre beträgt 8,5 Meter, ihre Wände bestehen derzeit noch aus Spritzbeton und aus ihrem Innern weht der Gruppe kühle, sandige Luft entgegen. Warum? „Dieser Schlauch dort oben dient der Frischluftzufuhr“, sagt Breidenstein und zeigt auf einen zwei Meter dicken Schlauch am linken oberen Rand des Tunneleingangs. Klar, die Bergleute brauchen für ihre schweißtreibende Arbeit ausreichend Sauerstoff.

Über lockeren Schotter geht es dann tiefer in den Stollen, der momentan eine Länge von 146 Metern misst und nach hinten leicht abfällt. „Einen Tunnel zu graben, bedeutet, im permanenten Dialog mit dem Gebirge zu stehen“, sagt Matthias Breidenstein. Neben der reinen Vortriebsarbeit nehmen er und seine Mitarbeiter täglich Bodenproben aus dem Gestein, bringen Vermessungspunkte und sogenannte Prüfanker an.

Da der Stollen unter bebautem Grund verläuft, sind besonders die Vermessungspunkte für die Tunnelbauer von entscheidender Bedeutung. Mit ihnen können sie die Setzung des Erdreichs messen, die die Grabungen verursachen.

Maximal 12,9 Millimeter habe sich die Erde seit Baubeginn des Stollens gesenkt, sagt Breidenstein. Ein Wert, der völlig im Rahmen der Erwartungen liege. Für was denn die Prüfanker gut seien, möchte der Leser Walter Pfisterer von dem Ingenieur wissen. „Mit diesen Ankern testen wir die Belastbarkeit der Außenwand“, klärt der Projektleiter auf. „Sie muss eine Zugkraft von 30 Tonnen aushalten.“ An einem einzigen Prüfanker ließe sich also ein ganzer Lkw aufhängen, und die Tunneldecke würde trotzdem nicht einstürzen.

Circa doppelt so viel an Gewicht bringt der mächtige Tunnelbagger auf die Waage, der am Ende der Röhre auf die Besucher wartet. Seine monströse Schaufel bricht je Arbeitsschritt bis zu 120 Zentimeter Gestein von der Wand. Tag und Nacht, auch am Wochenende. Die Tunnelbauer arbeiten rund um die Uhr. Noch bis 2019. Mindestens.