Foto: Leif Piechowski

Eine Woche nach ihrem Offenbarungseid mit den von 4,5 auf bis zu 6,8 Milliarden Euro steigenden Baukosten hat die Bahn am Mittwoch weitere Verzögerungen bei Stuttgart 21 eingeräumt.

Stuttgart - Erst im Oktober hatte die Bahn den Zeitplan für ihre Bauarbeiten korrigiert und stellenweise bis zu acht Monate Verzögerung eingeräumt. Am Mittwoch erklärte eine Sprecherin, dass der Plan in Teilen erneut korrigiert und vor dem Weiterbau im Bahnhof zunächst ein neues Fahrplankonzept erarbeitet werden müsse. Die Bahn bestätigte damit die am gleichen Tag von dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), Verkehrsclub Deutschland und dem Bahn-Experten Gerhard Schnaitmann erhobenen Vorwürfe. Ob mit dem neuen Fahrplan Züge in Stuttgart entfallen und außerhalb halten, ist unklar. Die Sprecherin wollte sich zu Details des neuen Fahrplans nicht äußern.

Bis April 2013 wollte das Unternehmen alle Bahnsteige im alten Hauptbahnhof von der Kopfbahnsteighalle aus um 120 Meter kürzen und in das Gleisfeld hinein verschieben. Damit sollte Platz für die Grube des Tiefbahnhofs geschaffen werden. Der Zeitplan ist nicht mehr haltbar. Für den Umbau, bei dem immer zwei Gleise gesperrt worden wären, steht nicht mehr genügend Gleiskapazität zur Verfügung. Die Arbeiten sollen nun bis Jahresmitte 2013 erledigt sein, „gegebenenfalls“ werde es zu weiteren Verzögerungen kommen.

Grund der neuerlichen Misere sind drei Entgleisungen an der Weiche Nummer 227, womit Gleis 10 auf unbestimmte Zeit gesperrt ist. Außerdem kann nur noch ein Drittel von Gleis 8 genutzt werden. Der Rest ist durch Stahlträger und Betonbrocken blockiert, mit denen das Hallendach gegen Windkräfte gesichert werden muss. Aus dem Dach wurden die vertikalen Scheiben ausgebaut. Am Mittwoch kündigte die Bahn an, dass der Wetterschutz mit feuerfestem Kunststoff wiederhergestellt werde.

„Die Bahn hat sich selbst einen Baustopp verordnet“, sagt Gerhard Schnaitmann. Die BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender spricht von „dilettantischer Planung und einem einzigen Missmanagement“.

Dahlbender, früher Sprecherin des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, fordert einen Baustopp. Bahn und Land müssten ein „Ausstiegsszenario“ erarbeiten. Dahlbender kündigte außerdem eine Klage des BUND für den Fall an, dass die Bahn Bäume im Rosensteinpark ohne neue Gutachten zum Natur- und Artenschutz fällen wolle. Die Bahn hat Gutachten aus 2000 und 2002. Eine neue Erhebung sei von der Bahn an ihre Bonner Genehmigungsbehörde gereicht worden, sagt BUND-Kreisgeschäftsführer Gerhard Pfeiffer. Er bezweifle aber, dass die Expertise ausreichend sei.

Beim Weiterbau von Stuttgart 21 müssen Fahrgäste nach Ansicht von Matthias Lieb mit erheblichen Einschränkungen und weiter unpünktlichen Verbindungen rechnen. Lieb ist Vorsitzender des Verkehrsclubs Deutschland (VCD). Durch die zu geringe Gleiskapazität im Bahnhof müsse der Fern- und Nahverkehr auf die aus Bad Cannstatt kommenden S-Bahn-Gleise ausweichen. Dadurch würden auch außerhalb Stuttgarts ständig Anschlüsse verpasst.

„Stuttgart 21 ist schlampig geplant. Die Fahrgäste baden das jetzt aus“, sagt Leib. Im Hauptbahnhof werde es nach dem Verschieben der Bahnsteige zu erheblichen Engpässen kommen, weil dann auch der Zugang zur S-Bahn von den Bahnsteigen entfalle. Weil nur noch zwei Treppenhäuser als Zugang blieben, seien Staus zu befürchten. „Mit nur noch zwei Aufgängen stellt sich für uns die Sicherheitsfrage“, so Dahlbender.

Unabhängig von Stuttgart 21 können sich nach Ansicht der Experten von Mitte 2013 an durch den Einsatz neuer S-Bahn-Züge mit veränderter Türschließ-Automatik Probleme ergeben, weil Züge erst losfahren können, wenn Türen nicht durch Reisende blockiert werden. Weitere Verspätungen seien zu befürchten, sagt Gerhard Schnaitmann. Das Problem könne durch mehr Personal gelöst werden.

Der Arbeitskreis Juristen zu Stuttgart 21 wies am Mittwoch darauf hin, dass die Stadt Schadenersatzansprüche gegen die Bahn wegen einer möglichen Täuschung über die Höhe der tatsächlichen Baukosten noch bis zum Jahresende stellen könne. OB Wolfgang Schuster (CDU) solle dies tun, weil er sich sonst wegen Untreue strafbar machen könnte, fordern die Projektgegner.