Der Sitz des Zweckverbands Landeswasserversorgung in der Schützenstraße 4 in Stuttgart Foto: Peter Petsch

Das Grundstück der Landeswasserversorgung (LW) in der Schützenstraße, das von einem Stuttgart-21-Baustollen unterquert wird, hat einen höheren Grundstückswert als von der Bahn angenommen.

Stuttgart - Das Grundstück der Landeswasserversorgung (LW) in der Schützenstraße, das von einem Stuttgart-21-Baustollen unterquert wird, hat einen höheren Grundstückswert als von der Bahn angenommen. In der Verwaltungsratssitzung des Wasserversorgers an diesem Dienstag in Langenau soll die LW-Geschäftsführung den Auftrag erhalten, mit der Bahn über eine deutlich höherer Entschädigung als die zuletzt angebotenen 30 300 Euro zu verhandeln. Dazu muss auch über das strittige Berechnungsverfahren entschieden werden.

Der Schienenkonzern könnte mit dem LW-Fall ein grundsätzliches Problem bekommen. Bisher setzt die Bahn für die 3000 von Stuttgart 21 betroffenen Grundstücke Bodenrichtwerte an. Das sind Durchschnittswerte für größere Gebiete mit unterschiedlicher Bebauung und Lage. Der tatsächliche Bodenwert kann aber, wie im Fall der Landeswasserversorgung, deutlich über dem Richtwert liegen. Er kann aber auch darunter fallen.

Zweites Problem für die Bahn: sie hat für Stuttgart 21 von einem Freiburger Gutachter, der DIA-Consulting AG, ein neues, spezielles Entschädigungsverfahren entwickeln lassen. Kritiker sagen, dass die Grundstücksbesitzer damit schlechter fahren als mit dem oft angewandten Münchner Verfahren, bei dem das komplette vom Tunnelbau betroffene Grundstück gleichmäßig entschädigt wird. Dieses Verfahren gilt nur bis 15 Meter Tunneltiefe, ist also in Stuttgart an vielen Stellen nicht anwendbar.

Die Bewertungsfrage ist für die Bahn nicht trivial. In einer Risikoliste des früheren S-21-Projektchefs Hany Azer finden sich 108 Millionen Euro möglicher Zusatzkosten, wenn die von der Bahn gesetzten „Prämissen des Grunderwerbs“ nicht eintreten sollten. Die Bahn hatte der Landeswasserversorgung vor der Erstellung des DIA-Gutachtens für dieselbe Fläche 49 744,16 Euro als Entschädigung für den unter dem LW-Bürohaus hindurchführenden Tunnel angeboten. Angesichts der erheblichen Differenz forderte die Grünen-Stadträtin Gabriele Munk im LW-Verwaltungsrat Aufklärung. Das Stadtmessungsamt begutachtete das Gelände und das siebenstöckige Bürohaus in der Schützenstraße 4 und auch das Büro- und Wohnhaus der LW in der Schützenstraße 6.

Der städtische Gutachterausschuss hat den spezifischen Bodenwert für die insgesamt 1469 Quadratmeter der LW festgelegt. Er liegt über dem Bodenrichtwert von 860 Euro pro Quadratmeter. Nicht festgelegt hat der Ausschuss, nach welchem Verfahren nun weiter gerechnet werden soll. Aber selbst mit dem DIA-Verfahren würde der Wasserversorger offenbar mehr erhalten müssen als die von der Bahn angebotenen 30 300 Euro.

Als öffentliches Unternehmen kann die LW die Entschädigungshöhe nicht einfach frei verhandeln. Weil die Bahn bereits 49 744,16 Euro angeboten hatte, kann der Versorger auch nicht einfach eine andere Rechenmethode akzeptieren, denn es geht um öffentliches Eigentum. Diese Grundsätze gelten auch für die Bahn AG.

Stuttgarts OB Fritz Kuhn (Grüne), der den Verwaltungsrat der Landeswasserversorgung führt, hatte im November 2013 auf eine Klärung des Entschädigungsstreits gedrängt und damals den Weiterbau des Stollens unter dem LW-Haus ermöglicht. Wegen des Streits mussten die Arbeiten ruhen. Inzwischen ist der Baustollen unter Haus und Grundstück komplett gegraben. Das Gebäude hat sich an der vorderen rechten Ecke um 17,1, hinten um 16,7, auf der linken Seite um sechs Millimeter gesenkt und zeigt Risse. Unstrittig ist, dass die Bahn die Reparatur der Schäden bezahlen muss.