Schwarz-rote Einigkeit? Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags der neuen Großen Koalition Ende 2013 Foto: dpa

Das Auswärtige Amt pocht auf das Primat der Diplomatie und fühlt sich eingeengt, wenn die Militärs und ihre Minister allzu forsch mitreden. In diesem Konflikt nützt auch Erfahrung.

Berlin - Eigentlich sagt der Außenminister immer dasselbe. Seit Wochen. Dass es darauf ankomme, „gerade in der Nato mit kühlem Kopf zu handeln“. Und dass man sich „nicht in eine Spirale der Eskalation hineintreiben lassen“ dürfe. Aber er sagt auch, dass die Nato zur Solidarität im Bündnis stehe – „ohne Wenn und Aber“. Stets wirft sich dann die Stirn in leichte Falten, und die Mundwinkel richten sich kanzlerinnengleich nach Süden. Frank-Walter Steinmeier ist dann nicht nur besorgt, der Sozialdemokrat verkörpert es mit Miene, Haltung und Tonfall.

Eigentlich sagt auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen immer dasselbe. Seit Wochen. Dass die Ukraine-Krise zeige, dass die Nato „auch ein politisches Bündnis sei“. Aber auch, dass es für die Bündnispartner an den Außengrenzen wichtig sei, „dass die Nato Präsenz zeigt“.

Das ist so seltsam. Es geht um dieselben beiden Botschaften, die die Bundesregierung immer wieder aussendet. Erstens: Der Konflikt lässt sich nur politisch lösen. Zweitens: Eine Ausweitung auf den Nato-Raum darf es nicht geben. Aber die Wirkung ist so verschieden. Der Außenminister gilt als wandelnder Vermittlungsausschuss. Der CDU-Verteidigungsministerin wird unterstellt, sie rassele mit dem Säbel. So lange ist die Regierung noch nicht im Amt. Aber schon hat sich ein festes Bild etabliert: Kaum vereidigt, hatte von der Leyen die Deutschen auf ein verstärktes militärisches Engagement vorbereitet. „Wir können nicht zur Seite schauen, wenn Mord und Vergewaltigung an der Tagesordnung sind.“ Streitkräfte seien eben „gelegentlich nötig, um die Lage zu klären“.

Also wirklich alles nur Streit um die Wortwahl?

Der Außenminister sagte nichts anderes. Nur anders. Deutschland sei zu groß, um die Weltpolitik nur zu kommentieren. Und militärische Zurückhaltung dürfe „nicht missverstanden werden als eine Kultur des Heraushaltens“. Dennoch hat sich der Eindruck festgesetzt, hier stünden zwei rivalisierende Politikansätze nebeneinander – gegeneinander. Scharfmacher gegen Friedensengel.

Stimmt das? Es ist interessant, dass man selbst in der SPD die Ministerin in Schutz nimmt. „Von der Leyen muss nun etwas lernen, was Steinmeier in seiner ersten Amtszeit schon erfahren hat: Auf dieser internationalen Ebene sind Worte Handlungen, und schon Ankündigungen haben Konsequenzen“, sagt zum Beispiel der stellvertretende Fraktionsvize Rolf Mützenich unserer Zeitung. Und ähnlich formuliert der verteidigungspolitische Sprecher Rainer Arnold: „Die Ministerin bekommt nun mit, dass wirklich alles auf die Goldwaage gelegt wird, was sie sagt.“

Also wirklich alles nur Streit um die Wortwahl? Nicht so ganz. Es gibt durchaus Akzente, die Steinmeier und von der Leyen anders setzen. Dass den baltischen Nato-Partnern das Gefühl gegeben werden muss, das Bündnis kümmere sich um die Sorgen der russischen Grenzstaaten, ist auch im Auswärtigen Amt ein selbstverständlicher Grundsatz. Aber dass von der Leyens Bemerkung über die militärische Präsenz auch als Antwort auf polnische Forderungen interpretiert werden konnte, die Nato solle schweres Gerät näher an Russlands Grenzen stationieren, das nimmt man übel.

Steinmeier hat es leicht, von der Leyen schwer

Wird die Ministerin da Opfer der Methode von der Leyen? Bislang hatte sie ihren politischen Erfolg damit erreicht, dass sie frühzeitig keck vorpreschte. Ganztagsbetreuung und Frauenquote brachte sie als politisches Ziel ins Gespräch, als das in ihrer eigenen Partei noch als Requisit aus dem Werkzeugkasten erzlinker Systemveränderer galt. Worte markierten ein Terrain, das es dann politisch zu erobern galt. Ihr forscher Aufschlag beim Thema Auslandseinsätze folgte durchaus diesem Muster.

Wahrscheinlich ist die Erklärung simpler. Menschlicher. Steinmeier hat es leicht, von der Leyen schwer. So einfach. Das Auswärtige Amt hat gelitten unter Guido Westerwelle. Gelitten unter der Häme der westlichen Partner nach der lendenlahmen Stimmenthaltung im UN-Sicherheitsrat anlässlich des Libyen-Einsatzes der Nato. Gelitten unter der Konzeptlosigkeit und dem Verlust an Wichtigkeit angesichts der Dominanz der im Kanzleramt entworfenen Europapolitik. Steinmeiers Rückkehr, sein gleich bei der Amtseinführung selbstbewusst vorgetragener Anspruch, hier im Auswärtigen Amt – und nur dort – werde deutsche Außenpolitik entworfen, gedacht und umgesetzt: All das war Balsam für die Diplomatenseelen.

Und von der Leyen? Fand ein Haus vor, dessen Führung sie nicht mehr trauen wollte. Ihr Amtsantritt war ein Kahlschlag. Zwei Staatssekretäre gingen, dazu der für Rüstung zuständige Abteilungsleiter. Bis heute ist eine Staatssekretärsstelle unbesetzt und der Posten für Beschaffungsmaßnahmen weiter vakant. Ein Amtsantritt als Kampfansage. Das ist mutig. Von der Leyen hat mitbekommen, wie viel beim Thema Ausrüstung der Bundeswehr schiefläuft. Aber nach den Entlassungen steht sie selbst in vorderster Linie. Spätestens ab Herbst wird jedes neue Problem ihr persönlich zugerechnet werden.

Steinmeier wird von seiner Fraktion getragen

In dieser Lage ist es wichtig, nicht auch noch das Parlament gegen sich aufzubringen. Das hat von der Leyen verstanden. Die SPD ist voll des Lobes, wie die Ministerin informiert, einbindet, auf dem Laufenden hält. Das Problem: Die Drähte in ihre eigene Fraktion sind fragiler. Unionsfraktionschef Volker Kauder, der seit je ein schwieriges Verhältnis zu von der Leyen pflegt, hat sie zu Jahresbeginn in der Fraktion vor versammelter Mannschaft abgekanzelt, weil er sich von ihren Äußerungen zu den Auslandseinsätzen überrumpelt sah. Und auch an anderer Stelle kommt von der Leyen im Moment eher mit den Sozialdemokraten zurecht. Dass sie bereit ist, über Härtefälle bei der Bundeswehr-Reform neu zu reden und das leidige Beschaffungsthema grundsätzlich neu zu diskutieren, entspricht alten SPD-Forderungen, während die Verteidigungspolitiker der Union derzeit sprachlos bleiben. Aber auf Dauer sind solche „schiefen“ Allianzen eher gefährlich.

Steinmeier dagegen wird von seiner Fraktion getragen. Erstaunlich ist dagegen, dass Andreas Schockenhoff, einer der Chefaußenpolitiker der Union, den Außenminister jüngst frontal anging. Ihm missfiel, dass Steinmeier gesagt hatte, die EU dürfe die Länder Osteuropas nicht zwingen, sich zwischen Ost und West zu entscheiden. Und auch, dass Steinmeier sich festgelegt hatte, dass die Ukraine derzeit kein Nato-Mitglied werden könne, fand Schockenhoff problematisch. Da leuchtet dann doch wieder ein klassischer Konflikt zwischen SPD und Union, auch zwischen Auswärtigem Amt und Verteidigungsministerium, auf. Rainer Arnold erklärt ihn so: „Im Außenamt ist man nicht zufrieden damit, wie etwa Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen formuliert.“ Im Klartext: Je mehr sich Nato und Verteidigungsminister zu Wort melden, desto schwerer werde es für die Diplomatie, desto schmaler werde ihr Spielraum.

Das also ist der Kern: In der Beurteilung der Lage sind sich Steinmeier und von der Leyen wohl nicht uneins. Aber das Auswärtige Amt wünscht sich Zurückhaltung von allen, die militärische Verantwortung tragen. Zurückhaltung ist von der Leyens Stärke sicher nicht.

Nur wird man beide Politiker am Ende an Ergebnissen messen. Und bislang können beide nicht liefern. Beispiel von der Leyen: Aus ihrer mit Getöse vorgetragenen Ankündigung verstärkter militärischer Einsätze – vor allem in Afrika – wurde bislang die Bereitstellung von zwei Transportmaschinen, einem Sanitätsflugzeug und einigen Stabsoffizieren für den Einsatz in der Zentralafrikanischen Republik – bei 2000 französischen und 6000 afrikanischen Soldaten.

Und Steinmeier? Kann bislang jedenfalls nicht nachweisen, dass seine Politik des Dialogs und der Deeskalation auf Vladimir Putin irgendeinen Eindruck macht. An diesem Donnerstag beginnt in Genf beim Krisentreffen von Vertretern Russlands, der Ukraine, der EU und der USA ein neuer Anlauf.