Der 90-jährige Georg Weißer Georg Weißer blättert in den Hofchronik mit Ortsgeschichte von Brigach. Foto: Sautter Foto: Schwarzwälder-Bote

Nach mehrwöchiger Odyssee kehrte Georg Weißer schwer verwundet aus der russischen Kriegsgefangenschaft heim

St. Georgen-Brigach (ws). Heute, am 28. August, ist für den 90-jährigen Georg Weißer aus Brigach ein besonderer Gedenktag: Vor genau 70 Jahren kam er aus russischer Kriegsgefangenschaft heim – als erster in der Region. Er hatte schwer verwundet in Atkarsk im Bezirk Saratow an der Wolga überlebt.

Seine Heimkehr war indes für die Angehörigen völlig überraschend. Sie hatten seit seiner Vermisst-Meldung vom 12. August 1944 keinerlei Lebenszeichen mehr von ihm erhalten. Ein Hauptmann hatte den Eltern geschrieben, dass ihr Sohn am 26. Juni zuletzt im Raum Orscha gesehen worden sei, "wie er in heldenhaftem Einsatz" den "Vorstoß der Bolschewisten mit aufgehalten" habe. Angesichts "der Härte der Kämpfe" habe er "unter Umständen für unser Volk und die Zukunft des Reiches den Heldentod erlitten", steht in dem noch aufbewahrten Brief.

Seine Einheit, die 78. Sturmdivision, war während der sowjetischen Sommeroffensive ab Juni 1944 "in schwere Abwehrkämpfe" verwickelt gewesen. Und: "Sie wurde eingeschlossen und vernichtet", heißt es in der Divisions-Chronik lapidar, angesichts der unzähligen grausamen Einzelschicksale. Die russische Übermacht war zu groß, erinnert sich Weißer und wir "so abgekämpft": "Keine Ruhe, kein Schlaf, keine Verpflegung".

Bei seiner Heimkehr querfeldein von der Sommerau her sei er als erstem seinem Patenonkel begegnet, der "im Futter gschafft" habe. Ihm habe er erklären müssen, wer er sei. Mit seinen wattierten und zerlumpten russischen Klamotten und "kahlgeschoren mit einer gewöhnlichen Schneiderschere" habe ihn dieser zunächst nicht erkannt und dann ganz perplex der Tante zugerufen: "Lina, dr Schorsch isch us Russland komme".

Daheim auf dem Hof war es ähnlich: Dem Vater habe er "gsait, wer ich bin". Und: "Jetzt bin i wieder do", bis der Vater das Wunder begriffen habe, erinnert sich, Weißer als wäre es gestern erst passiert.

Georg Weißer war am 11. Juli 1944 in Gefangenschaft geraten, nachdem ein russisches Explosiv-Geschoss sein linkes Bein zerfetzt hatte. Von einem gefangenen deutschen Militärarzt sei er in Mogilew "bei vollem Bewusstsein notoperiert" und danach nach Atkarsk verlegt worden. Nach einem Jahr sei der Transport zusammengestellt worden – meist Verwundete, denn "wir waren für die Arbeit nicht mehr geeignet". Die Arbeitsfähigkeit der Unverwundeten sei ganz simpel und drastisch festgestellt worden: "Die wurden in den Arsch gepfetzt", sagt er. Wenn da "noch Fleisch war", bedeutete dies Arbeitslager.

Eine Scheibe trockenes Brot und Wasser

Die Heimkehr sei eine mehrwöchige Odyssee gewesen. Eingepfercht in Güterwaggons seien sie per Bahn westwärts gerollt. An größeren Bahnhöfen sei gehalten worden, auch um die Toten auszuladen. Und: "Eine Scheibe trockenes Brot und Wasser war dann unsere Verpflegung." In Fürstenwalde in der sowjetisch besetzten Zone seien sie in eine Kaserne eingesperrt und nach und nach provinzweise entlassen worden. Der Zug indes sei nicht leer, sondern mit arbeitsfähigen Leuten wieder nach Russland zurückgefahren.

Von Fürstenwalde aus versuchte er zusammen mit einem Bierbrauer aus Plochingen und einem Webmeister aus Laichingen auf der Alb sich Richtung Heimat durchzuschlagen. Auf dieser abenteuerlichen Heimreise hätten sie "um Essen und Schuhe gebettelt wie Landstreicher". Ihre russischen Entlassungspapiere hätten sie sich vorsorglich in Meiningen übersetzen lassen – in Englisch, Französisch und Deutsch. Trotzdem mussten sie "bei Nacht und Nebel" über die Zonengrenze. Ein Bauer habe geholfen und gezeigt, wie die Grenzposten laufen. Bis es losging, habe er sie im Saustall eingesperrt und versteckt. "Und vorher hat er uns etwas zum Essen gegeben."

Eher heiter war ein Abschnitt "uf de schwäbsche Eisebahne" nach Laichingen. Dort sei "dr Franzos’", hatte es geheißen. Damit sie nicht "einkassiert" würden, fuhr der Lokführer sein "Zügle" langsamer. Sie sollten vor dem Bahnhof abspringen. Aber "dr Franzos’", dem ein ganzer Festzug mit den Heimkehrern in die Arme lief, weil die Nachricht wie ein Lauffeuer durch die Gemeinde gegangen war, konnte mit den Kriegsversehrten nichts anfangen. Und ein wohl strafversetzter und daher kahl geschorener Marokkaner erkannte wegen des identischen Haarschnitts eine Art Schicksalsgenossen. Allerdings, Georg Weißer traute den Franzosen nicht generell über den Weg: In Villingen umging er fluchtartig die Sperre, um nicht kurz vor der Heimat geschnappt zu werden.

In zwölf Operationen brachten die Ärzte sogar sein Knie wieder in Gang.