Frank Obergfell mit seiner Studienkollegin Ingeborg Gleichauf, die ihr Buch über Gudrun Ensslin vorstellt. Foto: Mittekstaedt Foto: Schwarzwälder-Bote

Literatur: Schriftstellerin Ingeborg Gleichauf liest aus "Poesie und Gewalt. Das Leben der Gudrun Ensslin"

St. Georgen. "Wäre ein anderer Weg für Gudrun Ensslin möglich gewesen"? Diese Frage aus dem Zuhörerkreis konnte Ingeborg Gleichauf natürlich nicht mit einem Ja beantworten, man könne es aber nicht ausschließen. Die in Freiburg geborene Schriftstellerin und Studienkollegin von Gastgeber Frank Obergfell schaffte es aber, die Zuhörer in der Kunstausstellung der Fabrik Obergfell mit Auszügen ihrer Biografie über Gudrun Ensslin zu packen und nachdenklich zu stimmen. Mit zeitlich verschiedenen Episoden zeichnete die Autorin das Bild einer jungen Frau, die sich von einer eher braven Pastorentochter zur Mitbegründerin der Roten-Armee-Fraktion (RAF) entwickelte. Die Autorin des Buches "Poesie und Gewalt. Das Leben der Gudrun Ensslin" gab unumwunden zu, dass eine individuelle Biografie von Gudrun Ensslin nicht machbar sei. Sie habe zwar viele Gespräche mit Kontaktpersonen von Ensslin geführt, viele Zitate von ihnen seien aber nie richtig ausgewertet worden. Dennoch habe sie ein gewisses Bild von dem Menschen Gudrun Ensslin gewonnen.

Die Entwicklung ist nicht absehbar

Bei der im Jahr 1940 im schwäbischen Bartholomä geborenen Pastorentochter war laut Gleichauf eine Entwicklung zur Terroristin keineswegs erkennbar. Als viertes von sieben Kindern des evangelischen Pastors Helmut Ensslin und seiner Frau Ilse wuchs Gudrun nach einer neuen Pfarrstelle ihres Vaters in Tuttlingen auf.

Trotz sozialer Unterschiede in ihrer Schulklasse sei sie in der Klasse sehr beliebt gewesen. Auch ihr weiterer schulischer Lebensweg verlief laut Gleichauf normal. Als Austauschschülerin habe es ihr 1959 in den USA besonders deshalb nicht gefallen, weil dort ein Heldenkult um gutes Aussehen und besonders um erfolgreiche Sportler gemacht wurde.

Auch nach ihrer Rückkehr aus den USA mit Abi-Abschluss an einer Mädchenschule, Studien zur Volkschullehrerin an der Universität Tübingen und der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd und weiteren Studienerfolgen sei Gudrun Ensslin politisch nie aufgefallen. "Was ist der Mensch?" wie kommt es zu solch dramatischen Umbrüchen wie bei Gudrun Ensslin, zitierte Gudrun Gleichauf aus ihrem Buch.

Schah-Besuch gibt 1967 den Ausschlag

Bei Ensslin gab offenbar der gewaltsame Tod von Benno Ohnesorg bei einer Demonstration gegen den Besuch des Schah von Persien im Jahr 1967 den Ausschlag für den extremen Wechsel in die Spirale der Gewalt. Die begann mit den politisch motivierten Brandanschlägen in einem Kaufhaus in Frankfurt, setzte sich bekanntermaßen im Laufe der Jahre fort. Laut Autorin Gleichauf könnte die dominante Person Andreas Baader durchaus eine entscheidende Rolle für das Verhalten von Gudrun Ensslin gespielt haben. Durch die Einflüsse des Vietnam-Krieges, dem Verhalten des Staates und der Medien habe bei Gudrun Ensslin offenbar eine Radikalisierung im Herzen stattgefunden.

Die zahlreichen Fragen vonseiten der Zuhörer belegten das Interesse an der interessanten Lesung.

Mit ihrem Buch habe sie nicht nur Anerkennung gefunden, bekannte Gleichauf.

Was sie auf die verletzende Beurteilung eines in Deutschland führenden Blattes am liebsten getan hätte, sorgte für hörbare Erheiterung in der Kunsthalle.

Die preisgekrönte Autorin erntete reichlich Beifall für die Vorstellung der Auszüge ihres Buches. "Das war sicher nicht einfach", befand so mancher Zuhörer.