Wolfgang (links) und Heinz-Jürgen Haas stehen vor ihrer alten Schule. Foto: Vaas Foto: Schwarzwälder-Bote

Auswanderer: Von der Schulbank in den 60ern nach Südafrika / 1971 vom tollen Job ins Ungewisse

Drei junge Männer zog es direkt von der Schulbank nach Südafrika. Schon von Kindesbeinen an waren sie unzertrennlich. Zwei von ihnen leben noch heute in der Ferne, doch einer kommt regelmäßig heim, ist hier glücklich und fliegt auch gerne wieder heim auf die andere Seite des Äquators.

St. Georgen. Die Brüder Wolfgang (Jahrgang 1943) und Heinz-Jürgen Haas (1944) verloren ihren Vater im Zweiten Weltkrieg. Der Luftwaffenpilot stürzte im Oktober 1944 ab. Die Mutter, eine Schlesierin, flüchtete mit ihren beiden Söhnen vor den Russen, kehrte kurz noch zurück, um dann von den Polen vertrieben zu werden. So kam sie in die Heimat ihres gefallen Mannes. Dieser stammte vom Kobishof.

Die Familie fand in der Gerwigstraße 9 ein neues Zuhause. Die Buben hatten in Heinz Staiger von der Friedrich-Ebert-Straße einen Freund fürs Leben. Dessen Vater gilt als vermisst in Stalingrad. Sie fühlten sich wie Brüder und besuchten die Robert-Gerwig-Schule. Bei Mathias Bäuerle (MB) beziehungsweise Perpetuum Ebner (PE) fanden sie Lehrstellen. Gemeinsam besuchten sie schließlich erfolgreich die Feintechnikerschule in Schwenningen. Zwei Tage nach bestandenem Examen, am 30. März 1965, wanderten die jungen Männer gemeinsam aus. Zumindest einer der Haas-Brüder hätte möglicherweise zur Bundeswehr gemusst. Da sie den Vater verloren hatten, wäre einer frei gestellt worden. "Das wollten wir nicht auslosen", erzählen sie lachend. Heinz hätte der "Barras" nicht geholt.

Das Trio hatte die Zusage, in Johannesburg Arbeit vermittelt zu bekommen. Doch ihr Ansprechpartner war auf Europareise. So gab es zunächst eine Woche "Urlaub". Zwei Mechanikerstellen vermittelte er schließlich.

Wolfgang war mehr für Elektrotechnik und fand selbst einen passenden Job, ging aber nach zwei Jahren wieder zurück nach Deutschland. Nach wie vor "wartete" die Bundeswehr. Einzig befreit waren die Berliner. Also zog er an die Spree und bildete sich zum Elektro-Ingenieur weiter. Arbeit fand er in einem Softwarehaus. Als sich eine Tochter anmeldete, zog die Familie in die alte Heimat. Bei Kienzle-Apparatebau arbeitete er bis zum bitteren Firmen-Ende und war später bei St. Georgen Online vom ersten Tag an dabei.

Heinz-Jürgen hatte in Südafrika verschiedene Jobs, stieg für ein Schweizer Unternehmen zum Betriebsingenieur auf. Mit 22 Jahren heiratete er im Dezember 1966. Seine Frau hat deutsch-englische Wurzeln. Sie absolvierte zu dieser Zeit eine Ausbildung zur Hebamme. Im November 1971 wagte der Familienvater "vom tollen Job den Sprung ins Unbekannte". Die besorgte Mutter riet in einem Brief mit zittriger Schrift davon ab.

Neuer Wohnsitz wird Pietersburg/Transvaal

Zwei harte Jahre waren zu bewältigen. Dies gelang nur durch die tatkräftige Unterstützung des Schwiegervaters, der eine Schweinemast besaß. Neuer Wohnsitz wurde Pietersburg/Transvaal. Heinz-Jürgen sprach zu diesem Zeitpunkt bereits sehr passabel Englisch. Doch jetzt musste er noch Afrikaans lernen. Er begann einen Werkzeug-Handel mit vorwiegend AEG-Geräten. Seit fast 30 Jahren ist sein Sohn im Geschäft und der Senioren hat sich mittlerweile bis auf zwei Tage in der Woche zurück gezogen. Seine Frau hat die Buchhaltung an die Schwiegertochter übergeben. Das kleine Unternehmen hat zehn Beschäftigte. "Wir sind ziemlich weit vom Schuss, deshalb reparieren wir auch die von uns verkaufte Ware," erzählt er im Gespräch. Es hat sich ein Wandel von der Industrie- zur Verwaltungsstadt vollzogen. Die Wege zum Kunden werden deshalb immer weiter.

Seit dem Jahr 1976 ist er Rotarier. Seit 27 Jahren sitzt er ehrenamtlich im Aufsichtsrat einer nicht staatlichen Organisation. Diese betreut 120 Kindergärten mit bis zu 1200 Kindern und kümmert sich auch um die Lehrerausbildung. Früher hat sich der Staat wenig um die Schwarzen gesorgt, blickt er zurück. Heinz-Jürgen wacht darüber, dass die finanzielle Hilfe aus dem Ausland an die richtige Stelle kommt.

Schon immer reiste gerne. Mittlerweile ist er mindestens viermal im Jahr in Afrika unterwegs, fotografiert und hält auch Vorträge. Seit vielen Jahren kommt Heinz-Jürgen auch regelmäßig in den Schwarzwald. Quartier bezieht er immer bei Christa Mark in Peterzell. Hier fühlt sich das Ehepaar zuhause. Nur ein Problem hat es: die Mülltrennung. "Ich bin glücklich, wenn ich daheim in St. Georgen bin. Ich bin aber auch glücklich daheim in Südafrika", betont er mit einem Lächeln.

Dort sieht es aus wie im Schwarzwald. Das Eigenheim steht an einem See, "wie am Schluchsee". Hier hat er sich sogar ein Räucherkammer eingerichtet und produziert seinen eigenen Schinken und Speck. Auf seinem sechs Hektar großen Grundbesitz hat Freund Heinz Staiger Platz für ein Ferienhaus bekommen. So sehen sie sich zweimal im Jahr. "Noch heute nach 60 Jahren sind wir immer noch die alte Klicke", freuen sich die Brüder, denn Wolfgang kommt auch gerne zu Besuch.

Heinz-Jürgen und seine frau haben zwei Töchter, den Sohn und fünf Enkeln. Eine Tochter war als Austauschstudentin in Stuttgart. Eine Enkelin studiert gerade in Berlin. "Alle können sich mit Deutsch durchschlagen", sagte er. Über den Onlinedienst des Schwarzwälder Boten informiert sich Heinz-Jürgen über die Ereignisse in der Bergstadt. Besonders freut ihn bei seinen jährlichen Besuchen, wie sich St. Georgen in jüngster Zeit positiv entwickelt hat und wie sich weiter einiges bewegt.

Etwas ganz Besonderes war für Heinz-Jürgen, als er einen Gedichtband in Mundart von Myrta Stieber beim Verein für Heimatgeschichte kaufte. Von Südafrika aus schrieb er ihr, wie glücklich er war, echtes Sandergemer zu lesen. Später lernte er die Heimatdichterin auch persönlich kennen.

Seinen deutschen Pass hat er behalten und ist stolz, ein Deutscher zu sein. Nur eines wurmt ihn: "Ich habe noch nie wählen dürfen".