Kabarettist Jens Neutag zieht im Theater im Deutschen Haus über "Mutti" und andere Prominente her

Von Harald Mittelstaedt

St. Georgen. Es ist offensichtlich. Zwischen dem Kabarettisten, Schauspieler, Regisseur sowie Autor Jens Neutag und dem Team des Theaters im Deutschen Haus besteht eine gegenseitige Zuneigung.

"Wenn Jens zu uns kommt, ist es so, als käme ein guter Freund nach Hause", stellte Theatersprecherin Ute Scholz dazu fest. Jens Neutag bestritt einst zusammen mit seinem Kollegen Martin-Maier Bode den ersten Kabarett-Auftritt im Theater an der Mühlstraße. Seither kann man den viel beschäftigten Künstler fast schon als Dauergast auf der Bühne im Deutschen Haus bezeichnen. Dass Ute Scholz bei seiner Ankündigung ungewohnt lange auf Jens warten musste, begründete dieser damit, dass er sich nur schwer aus der während der Sommerpause neu gestalteten Künstlergarderobe lösen konnte. Dafür legte er im prall gefüllten Theatersaal dann aber gleich richtig los.

Offensichtlich erbost wetterte er über unzählige Miss-Stände in der Republik und die Unfähigkeit der Bevölkerung, diese abzustellen. Im Brustton der Überzeugung erkannte er die Ursache: "Wir leiden an dem Deutschland-Syndrom." Der mehrschichtige Therapieplan zur Bekämpfung dieser Symptome zeigte die ganze Klasse des vielseitigen Kabarettisten.

So zum Beispiel, als er erstaunlich authentisch den aus verrauchten Lungen röchelnden Altkanzler Helmut Schmidt parodierte, der mit Willi Brandt einen Geist der alten "SPD-Garde" anrief und mit der neuen SPD-Generation drastisch abrechnete. So bezeichnete er Altkanzler Gerhard Schröder sarkastisch als "Gasableser Putins". Die jetzige Arbeitsministerin Andrea Nahles sah er als Pippi Langstrumpf der SPD. Erklärungshilfe holte er sich auch vom legendären Revolutionär Che Guevara, der den Deutschen aus dem Jenseits den Spiegel vorhielt.

Genervt zeigte sich der satirische Kabarettist zudem von der Unfähigkeit der Deutschen, "Mutti" abzuwählen. Die "Lady Gaga aus der Uckermark" throne nach wie vor über allem, obwohl sie eigentlich nichts mache. "Das Nichts macht sie aber gut", spottete Neutag.

Als typisches Merkmal für das Deutschland-Syndrom bezeichnete der Kabarettist auch die Abschottung gegenüber dem Nachbarn in Wohnsiedlungen, und dies sogar auf engstem Raum. Dagegen mache man sich über das Smartphone gegenüber allen durchsichtig. Auch wenn die Vorstellung, dass ein drei Meter breiter Lamellenzaun fünf Meter tief in die Erde einbetoniert werden muss, reichlich überzeichnet wirkte, die Lacher hatte der lebhaft und gestenreich agierende Akteur auf seiner Seite.

Sichtlich beeindruckt waren die Besucher von der hintergründigen Darstellung ganz unterschiedlicher Charaktere. Von Antragsteller "Quasimodo" in der neu gegründeten Event-Hölle bis zum arroganten Vertreter der Geld- und Macht-Elite zeichnete Neutag die unterschiedlichen Figuren. So sorgte er für Lachtränen, als er über die fettleibigen geprüften Bademeister in den chlorverseuchten Hallenbäder lästerte. "Hallenbäder sollten Kaulquappen, Rochen und Quallen vorbehalten sein", lautete seine Meinung dazu. Ihr Fett weg bekamen dazu auch in schweißgebadete Jogger und die Lobbyisten im Bundestag, die sich dort schon einen Platz in der freien Wirtschaft reservierten.

Beeindruckend war die Ausdrucksstärke des Kabarettisten Neutag. Sowohl mimisch als auch sprachlich konnte er voll überzeugen. Nicht nur der lang anhaltende Beifall nach der gelungenen und anspruchsvollen Vorstellung des beliebten Kabarettisten, sondern auch Bemerkungen wie "Der ist wirklich Klasse" lassen hoffen, dass Jens Neutag dem Theater an der Mühlstraße die Treue hält.