Geburtstag: Lieselotte Lauffer steckt voller Energie / Garten besondere Liebe / Wurzeln geschlagen

Wer ist Lieselotte Lauffer? – eine Schwenningerin, ein Flüchtling? "In St. Georgen habe ich eine richtige Heimat gefunden," sagt sie im Rückblick auf 90 erlebnisreiche Jahre.

St. Georgen. Als Lieselotte Brenzing kam sie am 24. August 1926 in Schwenningen zur Welt. Großvater Georg Reinhard stammte aus dem Elsass und gründete in Schwenningen eine Zeigerfabrik. Vater Karl war aus Heiterbach bei Nagold. Seine Vorfahren waren Küfer.

Die ersten fünf Jahre erlebte die kleine Lilo in Schwenningen in der Nähe des Bahnhofs. Vor allem der Güterbahnhof hatte es ihr angetan. Doch dann bekam der Vater das Angebot, für Kienzle nach Berlin zu gehen. Der Uhrenhersteller hatte dort eine Filiale aufgebaut. Vater Karl brauchte ein Jahr, um die passende Wohnung nahe dem Urbanhafen am damaligen Landwehrkanal zu finden.

Als Fünfjährige mit den Eltern nach Berlin

Lieselotte zog jetzt mit ihrer Mutter Gertrud in die große Hauptstadt in ein Jugendstilhaus. "Es waren riesen Zimmer, sehr hoch und es gab keine gescheite Heizung," ärgert sich vor allem die Mutter. Ganz in der Nähe befand sich ein Sportplatz, der im Winter zur Eisbahn wurde. Schlitt schuhlaufen wurde ein großes Hobby. Außerdem liebte sie die ausgedehnte Wanderungen mit den Eltern durch die Mark Brandenburg.

In der Nachbarschaft war sie anfangs als "Polackin" ver schrien, weil sie schwäbelte. Sie lernte schnell hochdeutsch zu sprechen. Zuhause blieb die Familie beim gewohnten Schwäbisch. Jetzt kamen die anderen Kinder besonders gern zu den Brenzings, weil ihnen der Dialekt so gefiel.

Die Olympiade 1936 war schon allein deshalb ein besonderes Erlebnis, weil die Großeltern zu Besuch nach Berlin kamen. Bald besuchte Lieselotte das bekannte Vikto ria-Oberlyzeum in der Prinzens traße. Dieses Gymnasium mit seinen weltgewandten Lehrerinnen legte besonderen Wert auf das Musische. Das hat sie fürs ganze Leben geprägt.

Es gab aber auch bald Zeichen der Gewaltherrschaft, etwa als im November 1938 in der Nachbarschaft eine Synagoge abbrannte. "Der 1. September 1939 war ein wunderbar warmer Tag", blickt Lieselotte Lauffer zurück. Deshalb ging’s an den Wannsee zum Baden. Eine Lautersprecherdurchsage informierte über die Kriegserklärung "und plötzlich wurde alles anders". Es begannen irgendwann die Bombardierungen. Die Juden mussten gelbe Sterne tragen. In den öffentlichen Verkehrsmittel durften die Kinder – wie in früheren Jahren anerzogen – diesen keinen Platz mehr freimachen.

Mit 14 Jahren musste das Mädel mit der Kinderlandverschickung nach Österreich. 14 Tage sollte diese dauern. Die Mutter hatte darauf bestanden. Ziel war Semmering, damals ein Luxuskurort in Niederösterreich an der südlichen Grenze zur Steiermark. Die Unterkunft war wie eine kleinere Ausgabe von Schloss Neuschwanstein.

Aus vier Wochen wurde aber ein dreiviertel Jahr. Schließlich durfte Lieselotte zur Großmutter nach Schwenningen, wo sie ein halbes Jahr lang das Gymnasium besuchte. In der siebten Klasse hieß es dann: Kriegsdienst. Sie wurde nach Posen versetzt. Turnen gab’s in der Kirche. Daneben stand ein Kloster. Der Unterricht war politisch ausgerichtet. In Berlin standen noch Theater, Ballett und Musik ganz oben und jetzt das. Weiter ging’s in den Warthegau, vormals polnisches Territorium. Wieder war ein Schloss das Quartier, aber ohne fließend Wasser. Die Mädchen wurden etwas in technischen Dingen ausgebildet. Schlimm war das Warten auf einen Brief oder ein Lebenszeichen der Eltern. Einmal schrieb ihre Mutter: "Kind halte die Augen auf, es gibt immer etwas Schönes zu sehen". Dies wurde der Tochter zum Lebensmotto.

Vater wegen Entführung vor Gericht

Eigentlich sollte Lieselotte ins Gymnasium nach Beuthen in Oberschlesien. Doch sie wurde einfach vergessen. Vater Karl holte sie schließlich kurzerhand ab und musste sich dann in Berlin vor Gericht we gen Kindesentführung verantworten. Dank eines milden Richters kam er mit einem blauen Auge davon. Schließlich schaffte Lieselotte in Beuthen das Abitur mit guten Noten.

Eltern und Firma waren mittlerweile nach Glogau/Niederschlesien verlegt worden. Lieselotte musste zum Arbeitsdienst nach Reichenberg/Sudetenland. Dort lebte sie in einer Villa, musste aber unter bewaffneter Aufsicht Gasmasken prüfen. Frauen brachten diese vorbei, grau und hohlwangig, lebendig Leichen: KZ-Insassinnen.

Dann kam eine Nacht mit einem "blutroten Himmel über Dresden", erinnert sie sich. Die Russen waren bereits in Görlitz und Lieselotte machte sich auf eine dreiwöchige Flucht. "Überall habe ich viel Hilfe von fremden Leute erfahren", blickt sie noch heute dankbar zurück.

Auf der Flucht landete sie auch in einem Auffanglager. Ein HJ-Pimpf besorgte ihr einen Plan. Auf diesem zeigte sie ihm ihr Ziel Schwenningen. Mit großen Augen versicherte der Bub, seine Mutter stamme aus dieser Stadt. Bei ihr fand Lieselotte drei Tage lang Unterkunft und konnte sich endlich mal wieder waschen. Die Frau besorgte ihr zudem eine Weiterfahrt.

Diese erfolgte teilweise in offenen Viehwagen. In Stuttgart musste sie wegen der Fliegerangriffe "von einem Tunnel zum anderen rennen". Morgens um 5 Uhr stand sie schließlich vor dem Haus der Großmutter. Diese schickte sie zu einer Tante. Dort hatte Mutter Gertrud Unterschlupf gefunden. Fast hätte diese ihre Tochter nicht mehr wiedererkannt.

Bald darauf war der Krieg vorbei und Lieselotte stand da mit ihrem Abitur. Die Eltern hatten alles verloren. Die junge Frau wollte den Menschen helfen und möglichst Medizin studieren. Da dies nicht möglich war, kam sie übers Rote Kreuz als Helferin ins Spital nach Villingen. Wegen ihrer guten Französischkenntnisse wurden aus zwei Monaten ein Jahr. In einem frisch eröffneten Zahnlabor gefiel ihr die Arbeit, aber nicht das Umfeld Einmal explodierte sogar ein Karbidkessel. Wieder waren es ihre Französischkenntnisse, die ihr diesmal eine Anstellung bei der Polizei in Villingen brachte.

Mitte der 1950er-Jahre lernte sie dort den Rechtsreferendar Günther Lauffer kennen, den sie 1957 heiratete. 1959 kam Sohn Martin und 1962 Tochter Regina zur Welt. Der Ehemann wurde Richter. Als er sich 1968 für das Bürgermeister-Amt in der Bergstadt bewerben wollte, sagte seine Frau sofort ja. Die Wahl verlief erfolgreich und die Lauffers zogen nach St. Georgen in ein Haus an der Schönblickstraße, wo sie bis heute leben.

Lieselotte kümmerte sich um Familie, Haus und Garten. Letzterer ist bis heute "ihre Seele", wie sie sagt. Nach wie vor versorgt sie diesen gerne, nur das Rasenmähen überlässt sie ihrem Mann.

Soziales Engagement im Kranken- und Hilfsverein

Für eine Bürgermeistergattin war es früher üblich, sich sozial zu engagieren. Über die befreundete Augenärztin Margot Leo kam sie zum Kranken- und Hilfsverein und "ziemlich schnell in den Vorstand". Als Magda Weisser die Leitung des Kaffeestübles im evangelischen Gemeindehaus abgab, gründete Liselotte Lauffer ein fünfköpfiges Leiterteam. Dieses trifft sich auch nach der Aufgabe des Stübles noch heute regelmäßig.

Großen Gefallen fand sie an den Städtepartnerschaften mit Saint-Raphael und Scandale. Gerne denkt sie auch zurück an eine Aufgabe, die ihr vom Regierungspräsidium übertragen wurde. Sie durfte für die Frauen des Diplomatischen Corps in Bonn in den 1980er- Jahren einen Advents-Café mitdekorieren. Die Schwarzwälder Utensilien kamen nicht nur bei den Frauen aus aller Welt gut an. An ihrem Tisch saßen begeistert die Frauen der höchstrangigsten Politiker, darunter auch Loki Schmidt und Barbara Genscher.

Heimweh und Ängste habe sie nie aufkommen lassen. St. Georgen sei ihre richtige Heimat geworden. Hier habe sie Wurzeln geschlagen. "Ich habe viel Elend durch den Krieg und seine Folgen, aber auch viel Positives erlebt," sagt sie. "Zurückblickend bin ich dem lieben Gott sehr dankbar", fügt sie lachend hinzu.

Der runde Geburtstag wird erst am Sonntag mit den Kindern, Enkeln sowie Verwandten und Freunden gefeiert.