Aus dem zum Teil biografischen Buch "Beerstein" liest Reinhard Großmann in der Stadtbibliothek. Foto: Hübner Foto: Schwarzwälder-Bote

Reinhard Großmann liest aus seinem Buch "Beerstein" / Fragerunde zum Thema Holocaust

Von Stephan Hübner

St. Georgen. Nachdenkliche Töne schlug der Schriftsteller Reinhard Großmann in der Stadtbibliothek an. Er las aus seinem Buch "Beerstein", in dem es um die teilweise fiktionale Geschichte einer Familie mit jüdischen Vorfahren ging.

Großmann, 1934 in Schlesien geboren, wohnte mehr als 40 Jahre in Tennenbronn. Vor acht Jahren zog es ihn in den hohen Norden. Zunehmend wichtig war für ihn die Biografie seiner Familie, vor allem des jüdischen Großvaters. Ihn erschütterte, dass nicht viele aus diesem Familienzweig den Holocaust überlebt hatten. Immer drängender wurde die Frage "Wo gehöre ich hin?". Die Nähe zu den Opfern führe zu der Frage: "Was macht das mit mir?". Heute pflegt er lebhafte Kontakte zu den Überlebenden.

Es sei naheliegend gewesen, zum Thema eine erzählerische Untersuchung zu machen. Dies jedoch in Form einer Fiktion, um konkrete Menschen dazu erfinden oder weglassen zu können. Das helfe, Gedanken zu personalisieren.

Obwohl fiktional, ist Holger Beerstein, die Hauptfigur des Buches, Großmanns Alter Ego. Er las von der Eröffnung des Vaters zur Identität des Großvaters. Dies ruft in Beerstein Vorurteile und Gerüchte um Juden hervor, führt aber später zu der real stattgefundenen Recherche. Es folgten Berichte von Besuchen auf jüdischen Friedhöfen, der Begegnung mit Familienmitgliedern und anderen Angehören ermordeter Juden. Auch eine kleine Liebesgeschichte gebe es im Buch, so Großmann. Dazu die Frage nach der Sinnhaftigkeit der scharfen Trennung in Täter und Opfer.

Eine der Fragen in der anschließenden Fragerunde war, welche Rolle die deutsche Bürokratie beim Holocaust spielte und ob sie ihn erst ermöglichte. Großmann erinnerte daran, dass Deutschland lange Zeit ein Vorbild für die Integration von Juden war. Allerdings habe es etwas dem Holocaust vergleichbares anderswo nicht gegeben. Es sei gut, die Möglichkeiten im Auge zu behalten, denn was mal war, könne wieder sein. Vielleicht seien Deutsche manchmal wirklich zu pedantisch und bürokratisch. Dennoch komme man mit einfachen Erklärungen nicht weiter.

Großmann beschrieb die hierzulande weitverbreitete Auffassung, dass man über den Holocaust nicht schreiben dürfe. Er sei anderer Meinung. Die Zahl der Zeitzeugen gehe rapide zurück und es werde Aufgabe der Literatur sein, das zu übernehmen, mit Geschichten, die auf historischen Recherchen beruhen. Es sei Aufgabe der Geschichtswissenschaft, Tatsachen zu finden; die der Literatur, zu zeigen, wie Menschen sie erlebten.