Viele Menschen aus der ersten Einwanderergeneration leben und arbeiten hier – gehen aber nicht regelmäßig zum Arzt, wegen kultureller oder sprachlicher Barrieren etwa. Foto: dpa

Experten fordern, Ärzte und Pflegepersonal im Umgang mit Migranten besser zu schulen. Denn viele von ihnen – insbesondere Menschen aus der ersten Einwanderergeneration – leben und arbeiten hier, gehen aber nicht regelmäßig zum Arzt. Ein Projekt der Deutschen Diabetes-Hilfe könnte helfen.

Stuttgart/Köln - Im Körper gibt es kleine Soldaten, die Hilfe brauchen. Mit diesem einfachen Bild versucht Evinck Güngor Diabetes-Patienten zu erklären, dass sie Insulin nehmen müssen, um den erhöhten Zuckerspiegel im Körper auszugleichen. Viele der Betroffenen, die zu ihr in die Praxis kommen, haben keine Vorstellung von den Abläufen im Körper. Nicht weil sie es nicht verstehen, sondern weil sie weder in der Schulzeit noch im Berufsleben je etwas über die Krankheitsformen der Diabetes gehört haben. Evinck Güngor arbeitet seit 14 Jahren als Diabetes-Beraterin – hauptsächlich für Migranten aus der Türkei, aber auch aus Indien, Marokko oder Russland.

Güngor hat mit den Menschen zu tun, die im deutschen Gesundheitssystem oft verloren gehen: Fast ein Fünftel aller in Deutschland lebenden Menschen sind Einwanderer oder stammen von Einwandererfamilien ab. Viele von ihnen – vor allem Menschen aus der ersten Einwanderergeneration – leben und arbeiten hier – gehen aber nicht regelmäßig zum Arzt, wegen kultureller oder sprachlicher Barrieren etwa.

Güngor, die selbst türkische Wurzeln hat, erlebt bei ihrer Arbeit täglich, wie wichtig es ist, die kulturellen Unterschiede der Patienten ernst zu nehmen. „Die Distanz musste gebrochen werden.“ Bevor man die Krankheit thematisiert, wird über die Familie gesprochen. Was machen die Kinder? Wie geht es der Ehefrau? Kommt die Familie des Patienten ursprünglich aus der Türkei, verzichtet sie auf die Anrede „Herr“ oder „Frau“, dann werden die Patienten zu „Tante“ oder „Onkel“. Eine Umarmung gehört oft dazu. „Die Menschen brauchen Hilfe und möchten freundlich behandelt werden.“

Das können Experten wie Andreas Heinz bestätigen. Der Psychologe arbeitet an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité in Berlin und beschäftigt sich seit Jahren mit Migration und Gesundheit. Er sieht den Grund in der mangelnden Gesundheitsvorsorge vor allem in dem fehlenden Vertrauen der Betroffenen in das deutsche Gesundheitssystem. „Die Migranten wurden auf dem Wohnungsmarkt nicht fair behandelt und können sich nicht vorstellen, dass es beim Arzt anders ist.“

Ärzte und Pfleger müssen im Umgang mit Einwanderern besser geschult werden

Mediziner, die wie Güngor selbst einen Migrationshintergrund haben, sind da natürlich hilfreich. Doch wichtiger sei es, dass Ärzte oder das Pflegepersonal mehr auf die Betroffenen eingingen: „Man muss die Menschen fragen, was sie denken und wie sie sich die Krankheit erklären“, sagt der Psychiater. Dolmetscher wären da von Nutzen, denn sie seien mehr als nur Übersetzer, sagt Heinz. „Sie sind Kulturvermittler.“

Knapp 16 Millionen Migranten leben in Deutschland, die meisten von ihnen stammen zwar aus der Türkei, trotzdem kann man nicht von einer homogenen Gruppe der Migranten sprechen. „Die Heterogenität macht es schwierig, für jede Gruppe spezielle Angebote und Dienste zu schaffen“, sagt der Gesundheitswissenschaftler Oliver Razum von der Uni Bielefeld. Er schlägt vor, das medizinische Personal besser darin zu schulen, mit kulturellen und religiösen Unterschieden umzugehen.

In manchen Bereichen klappt dies erstaunlich gut: „Geburtsvorbereitungskurse in Berlin beispielsweise werden von Frauen mit und ohne Migrationshintergrund inzwischen gemeinsam besucht.“ Doch gerade in ländlichen Regionen hapert es noch mit dem gegenseitigen Verständnis. Oft sei man dort der Ansicht, dass jeder sich an die hiesigen Gewohnheiten anzupassen habe – etwa beim Reha-Sport, bei dem Männer und Frauen gemeinsam Übungen absolvieren. „Das geht für viele Migranten einfach nicht“, sagt der Gesundheitsforscher.

Es braucht Zeit und auch Engagement seitens der Mediziner: Das weiß auch Evinck Güngor. Mit dem Diabetes-Mobil der Deutschen Diabetes-Hilfe war sie in der Nähe von Köln unterwegs. Bei dem Diabetes-Mobil handelt es sich um einen Kleintransporter mit mobilem Labor. Es dient zur Aufklärung über Diabetes. Zunächst sei niemand von den türkischstämmigen Einwohnern gekommen. „Mein Vater war gerade aus der Türkei zu Besuch und hat in seinem Stammcafé vom Diabetes-Mobil und dem kostenlosen Blutzuckertest erzählt.“ Danach habe sie sich vor Fragen kaum retten können.