SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid im Wahlkampf Foto: dpa

Eigentlich wollte SPD-Landeschef Nils Schmid das Wahldesaster seiner Partei in Ruhe aufarbeiten. Doch einige Genossen wollen nicht länger warten und fordern seinen Rücktritt.

Stuttgart - Als Wolfgang Drexler am Montagabend in Esslingen seinen 70. Geburtstag feiert, erweisen viele illustre Gäste dem SPD-Politiker die Ehre: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält als Überraschungsgast eine Rede, Europakommissar Günther Oettinger (CDU) gratuliert per Video-Botschaft. Doch ausgerechnet ein langjähriger Weggefährte fehlt: SPD-Landeschef Nils Schmid. Er habe sich schon vor längerem wegen eines Parteitermins entschuldigen lassen, sagt sein Sprecher.

Der Verzicht auf den Besuch in Esslingen dürfte dem SPD-Vorsitzenden nicht allzu schwer gefallen sein. Denn von dort bläst dem 42-Jährigen derzeit viel Wind ins Gesicht. Ende vergangenen Woche haben ihm Esslingens Oberbürgermeister Jürgen Zieger und Finanzbürgermeister Ingo Rust und drei weitere Stadtoberhäupter – alle Parteifreunde – per Brief nahegelegt, „den Weg für einen dringend nötigen Neuanfang“ freizumachen. „Tue das aus freien Stücken und nicht gezwungen durch ein Votum der Basis, denn auch an der Basis brodelt es“, heißt es in dem Schreiben. Einer der Unterzeichner, der Bad Rappenauer Oberbürgermeister Hans Heribert Blättgen, hat wegen des schlechten Abschneidens der SPD am 13. März den Wiedereinzug in den Landtag verpasst, sein Kollege Walter Heiler aus Waghäusel hat nicht mehr für das Parlament kandidiert. Fünfter im Bund ist der OB von Ostfildern, Christof Bolay.

Partei-Nachwuchs warnt vor Personaldebatte

Die Rücktrittsforderung kommt allerdings nicht überall gut an. „Selbst wenn ich die Überzeugung teilen würde, würde ich es Nils Schmid persönlich mitteilen und nicht der Öffentlichkeit“, sagte Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz am Montag unserer Zeitung. Rücktrittsforderungen seien dann berechtigt, „wenn erkennbare und gegen eine Alternative durchgesetzte Fehler ursächlich sind oder Personen einer Aufarbeitung entgegenstehen“. Beides sehe er nicht. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass „der bloße Austausch unseres Spitzenpersonals dazu verleiten könnte, dass ansonsten alles wie bisher weitergeht – was fatal wäre.“ Der von der Landes-SPD eingeleitete Erneuerungsprozess sei richtig, er müsse jetzt gemeinsam begangen werden. Daran müssten sich auch die Kommunalvertreter stärker beteiligen als in der Vergangenheit. „Nils Schmid traue ich es zu, den Prozess zu moderieren,“ so Kurz.

Auch die Jungsozialisten warnen davor, jetzt eine Personaldebatte zu führen. „Entweder wir reden über alle, die die Wahlergebnisse mitzuverantworten haben, oder über keinen“, sagte Leon Hahn, Landesvorsitzenden des SPD-Nachwuchses. Die Landtagsabgeordneten, die Regierungsmitglieder und die Parteimitglieder müssten sich dann ebenfalls fragen lassen, ob sie alles richtig gemacht hätten. So ärgern sich beispielsweise viele an der Basis darüber, dass die SPD-Fraktion die geplante Änderung des Wahlrechts nicht mitgetragen hat – aus Rücksicht auf die CDU.

Bei der Landtagswahl war die SPD von 23,1 auf 12,7 Prozent abgestürzt, ihr schlechtestes Ergebnis in Baden-Württemberg. Statt 35 sitzen künftig noch 19 SPD-Abgeordnete im Parlament. Damit ist die Fraktion die zweitkleinste – hinter Grünen, CDU und AfD und vor der FDP.

Weniger Posten zu vergeben

Die Wahlniederlage hat weitreichende Folgen: Noch mehr Wahlkreise haben keinen SPD-Abgeordneten mehr, der ihre Interessen in Stuttgart vertritt. Für vier wiedergewählte Abgeordnete heißt es, von ihrem Ministeramt Abschied zu nehmen: Nils Schmid (Finanzen und Wirtschaft), Reinhold Gall (Innen), Rainer Stickelberger (Justiz) und Andreas Stoch (Schule, Jugend und Sport). Und dabei gibt viel weniger zu verteilen als nach früheren Wahlen: Im Landtag den Vorsitz der SPD-Fraktion und zwei Stellvertreterposten. Ob die SPD noch einen Landtagsvizepräsidenten stellen wird, ist unklar. Die neue Fraktionsspitze soll deshalb erst gewählt werden, wenn „die Tinte unter dem grün-schwarzen Koalitionsvertrag trocken ist“, heißt es. Ein Trio führt bis dahin die Geschäfte.

Hinter den Kulissen wird aber schon heftig gerungen. Gall und Stoch gelten als mögliche Anwärter für den Fraktionsvorsitz, äußern sich allerdings nicht dazu. Dass Schmid für diese Aufgabe kandidiert, halten Insider für eher unwahrscheinlich. Schmid selbst nimmt dazu ebensowenig Stellung wie zu der Debatte um den Landesvorsitz. Nur so viel: Die Niederlage müsse aufgearbeitet, die Gründe dafür müssten analysiert werden. Derzeit diskutiert er in Kreisverbänden mit der Parteibasis, Mitte April ist eine Landesvertreterversammlung geplant, im Juli ein Landesparteitag. Wahlen sind dann eigentlich nicht vorgesehen, erst im Oktober 2015 ist Schmid mit überwältigender Mehrheit gewählt worden. Seine Stellvertreterin Leni Breymaier ärgert sich über die Initiative der Kommunalpolitiker: „Vor einer Personaldebatte müssen wir uns erst einmal eine inhaltliche Auseinandersetzung führen.“ Alles andere sei Aktionismus.