Mark Hucknall von Simply Red Foto: Lichtgut/ Jan Reich

Soul, Pop, Funk und alle Hits: Der Auftritt von Mark Hucknalls Simply Red in der Stuttgarter Schleyerhalle stand ganz im Zeichen der Retro-Feierlichkeiten zum 30-jährigen Bestehen der Band.

Es gibt etliche eherne Gesetzmäßigkeiten, die im sogenannten Popzirkus angeblich eingehalten werden müssen. Genügend Stücke vom neuen Album – ob beliebt oder nicht –, die größten Hits am Ende, bei Sitzplatzkonzerten allerhöchstens im letzten Drittel eine verhaltene Odyssee der hinteren Ränge nach vorne, um das Finale stehend anzufeuern. Man mag von Simply Red und ihrem oft sehr glattgebügelten Soul-Pop halten, was man will, ihre Herangehensweise an diese Tournee ist dennoch erfrischend.

Simply Red feiern ihren mehr oder weniger 30. Geburtstag mit rund 10 000 Zuschauern in der bestuhlten und annähernd ausverkauften Schleyerhalle. Fünf Jahre nach dem verkündeten Ende der Band will es Mick Hucknall noch mal wissen. Vor einigen Monaten gab es mit „Big Love“ sogar ein neues Album, nach dem die Tournee auch benannt ist. Dennoch wird das mehr oder weniger unauffällig gebliebene Werk an diesem Abend nur mit einem Song vertreten sein – „Shine On“, platziert im ersten Zugabenblock vor dem exakt 20 Jahre alten Hit „Fairground“.

Auftakt mit Kinderfotos

Der übrige Abend steht ungeniert im Zeichen der Retro-Feierlichkeiten zu drei Jahrzehnten Simply Red. Das nimmt im bisweilen etwas narzisstisch anmutenden Intro seinen Anfang, in dem mittels Kinderfotos, Konzertaufnahmen, Titelseiten und Bildern aus Privatarchiven das Leben des Rotschopfs aus Manchester nachgezeichnet wird. Eigentlich ist man so etwas eher von Beerdigungen gewöhnt. Sei’s drum, das Familienalbum schließt sich, und Hucknall federt leichten Schrittes auf die Bühne, um mit „Holding Back The Years“ direkt in den souligen Abend einzutauchen. Gut sieht der Engländer aus, energiegeladen und strahlend. Die dritte Single vom 1985er Debüterfolg „Picture Book“ hätten die wenigsten Interpreten gleich zu Beginn verfeuert, der Sänger ist sich jedoch seines Kanons bewusst. Er weiß, was noch kommen kann, und badet lieber gleich im Applaus.

Wenn man ihn über die Bühne stolzieren sieht, merkt man ihm nicht nur seine 55 Jahre nicht an; man muss neidlos zugestehen, dass er in seinem Glitzerjackett und den polierten Schuhen noch immer formidabel aussieht. Und formidabel singt. Darum geht es schließlich in einer Simply-Red-Show. Es ist eine Mick-Hucknall-Show, die Begleitband ist Begleitband, mehr nicht.

Etwa 50 Millionen verkaufte Tonträger

Eine gewisse Ladehemmung darf der ersten Hälfte dennoch attestiert werden. Vielleicht war die Dramaturgie mit dem Knaller zum Auftakt doch nicht der Weisheit letzter Schluss. Einer wie Hucknall lässt sich nach über den Daumen gepeilt 50 Millionen verkauften Tonträgern natürlich nicht beirren: Der lässig-karibische Funk von „Night Nurse“ fegt die ersten Reihen von ihren Stühlen, es wird getanzt, vereinzelt erwachen sogar Wunderkerzen zum Leben.

Danach hat der gut aufgelegte Frontmann seine Fans in der Hand. „It’s Only Love“ oder das von einem wunderbaren Piano-Arrangement getragene „Your Mirror“, das von einem erdigen Solo des Gitarristen und Yoko-Ono-Lookalike veredelt wird, lassen mehr und mehr Menschen vor die Bühnen strömen. Überraschungen mag diese Setlist nicht bereithalten. Aber wegen Überraschungen sind wohl die wenigsten hier.

Die nächste Tournee kommt in zehn Jahren

Konventioneller fällt die Wahl für das Ende des offiziellen Teils aus. Der Song „Money’s Too Tight (To Mention)“ war es, der 1985 eine der größten englischen Popkarrieren ins Rollen brachte. Dank Funk-Gitarre und stringentem Beat fällt das vorläufige Finale gelöst aus. Noch ein weiteres Mal bricht Hucknall in seiner Rolle als Popzirkus-Dissident aus: Bei „If You Don’t Know Me By Now“ in schmachtender Walzerbreite sitzt in der Schleyerhalle eigentlich niemand mehr. Wer jetzt nicht tanzt, muss zehn Jahre warten. Erst dann nämlich – zum 40. Geburtstag seiner Band – will Hucknall wieder touren. Wahrscheinlich erneut in Hochform.