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Mike Jörg gibt im Simmersfelder Festspielhaus seinen 22. und letzten Jahresrückblick "Wa(h)r was?"

Von Martin Bernklau

Er gibt auf, nach 22 Jahren. Zum letzten Mal zeigte Mike Jörg seinem Simmersfelder Publikum im Festspielhaus den satirischen Jahresrückblick "Wa(h)r was".

Simmersfeld. Ein bisschen Pech hatte der Kabarettist mit dem Wetter. Am Vorabend war der Ort noch völlig eingeschneit. Viele Leute scheuten wohl den Weg. Aber es war ohnedies eine eher melancholische Veranstaltung.

Seine Mülltonne, das einstige Markenzeichen, hatte er gar nicht mehr dabei; eine Klappleiter stattdessen, für den besseren Überblick. "Ich zweifle am Kabarett", sagte er gegen Ende ganz ernst. Diese Resignation teilen übrigens einige Kollegen der Zunft: Pelzig-Barwasser, Harald Schmidt, Georg Schramm, Volker Pispers etwa. Erschöpft sei er und wolle sich der quälenden Anstrengung, den ganzen Nachrichten- und Ereignismüll zu sammeln, zu sortieren und satirisch zu verwerten, fortan nicht mehr ausliefern.

Nicht nur die Tonne fehlte, sondern auch eine gewisse Chronologie. Jörg hatte seinen Stil des scheinbar spontanen traurigen Plauderns auch noch von diesem Gerüst befreit. "Gleichzeitige Ungleichzeitigkeit von lauter Ungeheuerlichkeiten" nannte er das Phänomen, das den aufklärenden und einordnenden Satiriker und Kabarettisten überfordere: "Der Anspruch ist zu hoch." Eine klitzekleine Weltverbesserung durch Entzaubern der Mächte und der Mächtigen scheint endgültig passé.

Ein paar vertraute Elemente bleiben

Ein paar vertraute Elemente behielt der Satiriker aber bei. Das Sammeln von verblüffenden Fundstücken aus der Tierwelt und den zugehörigen Wissenschaften, auch aus der Ökologie, das macht ihm immer noch Spaß. Ein Zoo-Tiger, der sich mit der als Lebendfraß zugeführten Ziege anfreundet, auf Kosten der künftig verfütterten Kaninchen freilich, der hat etwas Einleuchtendes. Die südamerikanischen Ameisen aber, per Frachter nach Portugal eingeschleppt, die alle angestammten Ameisenarten Stück für Stück zu zehnt überwältigen und die sich schon flächendeckend bis Italien vorgekämpft haben, diese Ameisen könnten auch Pegidas als ein Sinnbild in der Art nutzen, wie es vergangene Rasselehren schon einmal taten.

Skurrile Sachen wie die verfettete Frau aus Australien, die bequemlichkeitshalber auf dem Stillen Örtchen sitzen blieb und der dann irgendwann die Klobrille ins Wabbelgewebe gewachsen war, die sammelte Jörg seit jeher mit einem gewissen Hang zum fassungslosen Kopfschütteln. Mehr sarkastische Schadenfreude galt jener Frau im Rentenalter, die sich unter größtem Medienrummel in der Ukraine Vierlinge einpflanzen ließ. Dass alle Kinder schwer behindert seien, erfuhr man von Mike Jörg, nicht aus Zeitungen und Magazinen.

Vom VW-Skandal bis zu Freihandelsabkommen

Nicht immer sind die Bilder und Sprachspiele von Mike Jörg ganz einleuchtend, schlüssig und überzeugend. Der für ihn eher guten "Animal Farm" (nach dem eigentlich gegen Diktaturen gerichteten Roman von Aldous Huxley) setzte er die "Ratio-Pharm" als Sphäre einer fragwürdigen menschlichen Vernunft entgegen, die Massentierhaltung und VW-Skandale ebenso gebiert und vergisst wie einen Grexit oder ein streng geheimes Freihandelsabkommen TTIP; wie die korrupte FIFA, Katar und Franz Beckenbauer; oder auch alpine "Gipfel" wie auf Schloss Elmau, die für zwei ergebnislose Tage hunderte von Millionen kosten; das "Land der Aufklärung" das seine Tornados nach Syrien schickt.

Immer wieder hatte es Jörg von jenen "Lassoschwingern" und "Puppenspielern", die wie teuflische Parasiten unmerklich die Hirne der Menschen kapern und sie zu "Projektilen für Projekte" machen, auch mit marktgerechter Selbstkontrolle bei Arbeit und Sport, Gesundheit, Ernährung und Fortpflanzung. Da verschoben sich zuweilen Bildebenen, aber jeder wusste der Spur nach sehr genau, was der Satiriker wollte. Und es kamen so geistreich erhellende Sätze heraus wie dieser: "Als Konsument kann der Mensch nicht in Rente."

Sein diesmal überschaubares Publikum verabschiedete Mike Jörg mit besonders viel Beifall. Und der scheidende satirische Jahres-Bilanzierer hielt ihm ein trotzig-resigniertes "Kopf hoch!" entgegen.