Mephisto (Brian Sommer, Mitte) lässt Faust (Serjoscha Ritz) ahnen, was möglich werden könnte. Foto: Schweizer Foto: Schwarzwälder-Bote

Premiere: Regionentheater aus dem schwarzen Wald startet mit "Faust" in die neue Spielzeit

Was für eine Aufführung. Sicherlich keine, die man in einem kleinen Theater – man kann es ruhig beim Namen nennen: in der Provinz – vermutet hätte.

Simmersfeld. Im Simmersfelder Festspielhaus begann die neue Spielzeiteröffnung des Regionentheaters aus dem schwarzen Wald mit einer Überraschung. Mit einer Faust-Inszenierung, die so dicht, so lebendig und packend ist, so wenig hohle Töne und großes Pathos braucht, dass die schwer beladene Geschichte um Wissenschaft, Religion, Liebe und das Scheitern des Menschen an diesen Themen nah und bildhaft wird, die Zuschauer einbezieht und bis zur letzten Minute fesselt.

Zunächst schon mal ein Wagnis an sich, ein solches Stück dort auf den Spielplan zu setzen. "Faust – der Tragödie erster Teil" ist wahrlich keine leichte Kost – weder für Theatermacher noch für die, die sich das ansehen. Da geht Schülern "Fuck you Goethe" schon mal leicht von der Zunge.

Andreas Jendrusch hat mit seinem Regionentheater aus dem schwarzen Wald aber noch etwas anderes gewagt. Zusammen mit Birgit Heintel wurde das gewaltige Werk dramaturgisch geschickt textlich und damit auch zeitlich verknappt und die Anzahl der Personen reduziert. Robert Wilson gestand seinem Faust im Berliner Ensemble fast fünf Stunden zu – ein Faust in zwei Stunden? Das geht und bleibt keineswegs Stückwerk. Zusammenhänge gehen nicht verloren, treten zum Teil stärker hervor. Denn Jendrusch und Heintel haben ein Gerüst freigelegt, das ganz offensichtlich trägt, die Konzentration auf das zeitlose Grundproblem des Menschen bündelt: Die verzweifelte Suche nach dem, "was die Welt im Innersten zusammenhält" und die Gefahr, bei dieser Suche schuldig zu werden.

Die Reduzierung auf drei Personen – Faust, Mephisto und Gretchen – ist sicher zu einem Teil dem Budget des kleinen Theaters geschuldet, entspricht aber auch der Intention der Inszenierung. Sie sucht nicht Theateropulenz, sondern beleuchtet die scharfe Konzentration auf das Wesentliche. Dass ihr dieses Aufleuchten immer wieder gelingt, erzeugt eine bewegende Nähe.

Andreas Jendrusch inszeniert das Theorie beladene Stück, in dem Goethe-Forscher neuerdings auch eine Parabel auf die globalisierte Welt und ihren Drang nach immer mehr Schnelligkeit, immer mehr Geld und immer mehr Sex sehen, ohne theoretisierende Kälte und mit menschlicher Anteilnahme. Der suchende, von Zweifeln gepeinigte Faust agiert auf einer Projektionsfläche der heutigen Welt, die Zeitlosigkeit des Werks aber bleibt jederzeit spürbar in dem leeren schwarzen Bühnenraum, in den nur wenige Requisiten Eingang finden. So zu Beginn, als mit der ordnenden Leere des Raumes die Unordnung der Faustschen Bücherwelt kontrastiert. Begrenzungen setzt allein ein Metallgestänge, das vorzugsweise Mephisto Möglichkeiten zur Entfaltung höllischer Gelenkigkeit bietet.

So wie der Bühnenraum das Geschehen nicht überlagert, so verzichtet Jendrusch bei allem Ideenreichtum (den Frühlingsspaziergang absolviert Faust als morgendliches Jogging) auch auf sinnlos aufgepeppte Regievarianten, seine Linienführung ist klar und eindeutig. Vielleicht ist es gerade das, was die starke Präsenz dieser Aufführung prägt. In dieser Form ist Faust nicht nur ein Spiel von Gedanken, sondern eine intensive und direkte Begegnung mit dem Menschen selbst.

Verknappte Fassung bietet Raum für Profilierung

Jendrusch hat sich mit Serjoscha Ritz als Faust, Brian Sommer als Mephisto und Ann-Kathrin Hinz als Gretchen ein kongeniales Schauspielerteam nach Simmersfeld geholt. Gerade in der verknappten Fassung hat es Raum zur differenzierten Profilierung. Das ist nie auch nur eine Sekunde langweilig: Ein verstörender und verstörter Faust auf der Suche nach dem Unmöglichen, Mephisto ein lässig entspannter Verführer mit der wendigen Eleganz des Bösen und ein anrührendes Gretchen zwischen Unschuld und Verlangen.

Da bleibt was hängen, wenn man das Festspielhaus verlässt. Und das ist mehr, als man von vielen Aufführungen in großen Häusern sagen kann.

Weitere Informationen: Eine weitere Aufführung von "Faust – der Tragödie erster Teil" findet am Freitag, 14. Oktober, im Festspielhaus statt.