Foto: Kunert Foto: Schwarzwälder-Bote

ZDF-Heute-Show-Aktrice "Birte Schneider" versetzt das Festspielhaus in Simmersfeld in Ekstase

Sie kennen Christine Prayon nicht? Dann aber doch deren Alter-Ego "Birte Schneider" aus der ZDF Heute-Show. Und schon diese beiden sind "viele" – viele verschiedene, eben multiple Persönlichkeiten, die einen Abend lang das Festspielhaus in Simmersfeld in wüste Turbulenzen versetzten.

Simmersfeld. Was man wissen muss: Christine Prayon ist eine exzellente, bestens ausgebildete und hoch erfahrene (Bühnen-)Schauspielerin. Ihre Passion im Kabarett und im Persiflieren von möglichst berühmtem Personen entdeckte die Wahl-Stuttgarterin erst später. Und selbst "entdeckt" – von einer Redakteurin der Heute-Show nämlich – wurde sie ausgerechnet bei den "Stuttgart 21"-Protesten, wo sie vor laufenden Kameras ausgesuchte "S21"-Befürworter stilsicher nachahmte und aufs Korn nahm.

Was der ZDF-Redakteurin auffiel, und auch das Simmersfelder Publikum sofort realisierte: Diese Frau hat eine unfassbare Bühnenpräsenz. Sie erzählt, spinnt ihren zugegeben sehr seltsam gewebten dramaturgischen Erzählfaden. Und so bizarr das, was die Prayon da einem erzählt, einem auch immer wieder anmuten möchte – jeder im Saal hängt an ihren Lippen, vergisst die Zeit, folgt dem "Scarlett-Schlötzmann-Zyklus", einem aberwitzigen Brief-Roman voller herrlich absurder Bilder und Szenen, die doch unendlich geschickt kleinbürgerlichen Mief und belanglosen Feminismus aufs Korn nehmen – angefüllt mit allerlei Zeitgeistigem, das die Prayon (oder eine ihrer multiplen Persönlichkeiten) immer wieder hübsch hintergründig als leere Klischees entlarvt.

Ultimativ verwirrend in der Wirkung

"Man merkte gar nicht, wie schnell diese Stunde um war", wundert sich die Tischnachbarin in der Programm-Pause. Weil dieser permanente Ritt von den Belanglosigkeiten des Lebens zum ultimativen Tiefsinn stets die ganze Aufmerksamkeit des Publikum fordert. Wobei – nicht dass da ein falscher Eindruck entsteht – das hier alles andere als ein dröger akademischer Spaß war; auch wenn Prayon in ihrer launigen Begrüßung und Analyse auf Basis einer Wikipedia-Recherche, wie sie erzählte, das Simmersfelder Publikum "eher im linksradikalen Spektrum" verortete (donnernde Lacher aus dem Publikum). Prayons Ein-Mann – pardon: Ein-Frau-Theater war Unterhaltung pur. Weil sie eben nahtlos in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen kann, dass man zeitweise wirklich glauben muss, da sind auf der Bühne mehr als eine Person unterwegs.

Auf die Spitze treibt’s die Prayon mit ihrer ersten Nummer im zweiten Programmteil: Als schillernde Diva singt sie "So war mein Leben" (Original: "My Way"); wer sich an den Travestie-Star "Mary" erinnern kann oder Harald Juhnke: Die haben sich auch schon an dieser Nummer abgearbeitet. Aber Prayon nutzt den Song, um einen Striptease der besonderen Art zu absolvieren – von der Diva entkleidet sie sich zum Mann (Mary lässt grüßen), um dann in Unterhosen das Zeichen der Männlichkeit als rote Pappnase aus dem Schlüpfer zu ziehen und immer noch singend zu irgendetwas zwischen alter Mann und alter Frau zu werden. Dramatisch gut gespielt. Ultimativ verwirrend in der Wirkung.

Und in Simmersfeld mündend in einen "Mordanschlag" auf offener Bühne mit einem Eukalyptus-Bonbon als Tatwaffe, den Prayon von einer Dame im Publikum erbettelt (das schlüpfrige Zitat dazu: "Was lutscht man hier in Simmersfeld?"). Womit der Weg erst recht frei wird für weitere "überlebende multiple Persönlichkeiten" der Prayon, die nun den vermeintlichen Bühnen-Tod zu diskutieren und kommentieren haben. Das war so aberwitzig und absurd wie es wohl klingt, aber eben auch rasend komisch. Und viel, viel facettenreicher, als man der "nur Birte Schneider" zugetraut hätte.

Grandioses Finale: die singende Carla Bruni-Sarkozy-Macron. Und, ja, es gab einen roten, logischen Faden durch diesen Aberwitz, aber der war viel zu genial in seiner einfachen Komplexität geknüpft, als das man ihn hier auch nur ansatzweise wiedergeben könnte. Einfach selber solch eine Prayon-Achterbahnfahrt der Charaktere und multiplen Persönlichkeiten besuchen – und staunen.

Und anschließend hemmungslos applaudieren bis die Hände wund sind und schmerzen, wie es das Simmersfelder Publikum tat. Beobachtung am Rande: An diesem Abend waren nach Feststellung der Veranstalter deutlich mehr Simmersfelder als sonst bei solch einem Kabarett-Abend im Festspielhaus. Auch insgesamt war "der Laden richtig voll", es mussten gar Tische und Stühle noch kurzfristig dazugestellt werden, um alle Besucher zu fassen.

Entsprechend eindrucksvoll die Applaus-Kulisse nach zweieinhalb Stunden "Diplom-Animatöse", so der Programm-Titel von Christina Prayon. Der das Simmersfelder Publikum nicht weniger als vier Zugaben abnötigten. Und trotzdem hätt’ man gerne noch sehr viel mehr von diesen ganzen Prayons da oben zu hören und zu sehen bekommen.