Bald an jedem Werktag eine Operation. Kassen winken Anträge von Fettleibigen durch.

Schwarzwald-Baar-Kreis - Stellen Sie sich vor, Sie bringen 150 Kilo auf die Waage, haben alle Therapien hinter sich und kein Gramm verloren. Früher mussten sich Fettleibige Operationen erkämpfen. Nun werden die Anträge von den Kassen durchgewunken.

»Die Zeit der willkürlichen Entscheidungen ist endgültig passé, 95 Prozent aller Anträge auf Operationen werden positiv beschieden«, kommentiert Norbert Runkel, Leiter der Klinik für Allgemeine, Kinder- und Visceralchirurgie am Schwarzwald-Baar-Klinikum und Mitbegründer des Adipositas-Zentrums, die jüngsten Entwicklungen. Runkel hatte noch andere Zeiten erlebt, als adipöse, also fettleibige Patienten, kaum eine Chance hatten, vom Medizinischen Dienst eine Empfehlung für einen operativen Eingriff zu bekommen, die letztendlich die Grundlage für eine Genehmigung der Kassen darstellte.

Dieser »Quantensprung«, so Runkel im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten, erfolgte vor zwei Jahren, als eine Kommission unter dem Vorsitz des leitenden Arztes aus VS eine bundesweit geltende Leitlinie für bariatrische Operationen (chirurgische Eingriffe bei Adipösen) zusammen stellte. Damit wurde nicht nur die Diagnostik festgezurrt. Dadurch wurden auch sogenannte konservative Ansätze wie Ernährungs- und Bewegungsprogramme oder auch psychotherapeutische Begleitung fixiert, die vor einer OP erfolgt sein mussten. Sind diese Punkte erst einmal abgehakt, so Runkel und sein Kollege Rainer Brydniak, Oberarzt und Spezialist im Bereich der Bariatrik, »dann gehen die Anträge auf einen Eingriff auch in der Regel durch.« Ab einem Body-Mass-Index von 50 gelten Männer und Frauen als adipös.

"Operationen stellen eine Lebensverlängerung dar"

Studien dürften diesen operativen Durchbruch unterfüttern: Nach einer OP, die gängigsten sind Magen-By-Pass und -Schlauch, verschwinden bei etwa 80 Prozent der Patienten die Folgeerkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck »fast über Nacht«, weiß Brydniak aus Erfahrung. Voraussetzung: Die Diabetes dauerte nicht länger als fünf Jahre. Die meisten Patienten verlieren in der Folge eines Eingriffes etwa 75 Prozent ihres Übergewichtes. »Die Operationen stellen damit eine Lebensverlängerung dar«, so Runkel. Die meisten vertragen die Operationen sehr gut, zitiert er diverse Studienergebnis, auch psychisch.

Die Entwicklung im letzten Jahr kommt einem »Dammbruch« gleich, formulieren es Runkel und Brydniak, die im Team noch von Silke Müller unterstützt werden. Belief sich die Anzahl der Operationen in den vorigen Jahren auf etwa 50, waren es 2012 über 120 Eingriffe, die im Klinikum registriert wurden.

Die Frage der Zukunft dürfte für Rainer Brydniak und Norbert Runkel nicht mehr lauten: Wie viele Magen-By-Pässe und Schläuche dürfen wir legen, sondern wie viele Eingriffe können wir stemmen?

Die Zahl der OPs dürfte sich künftig bei 300 im Jahr einpendeln, so die Prognosen. »Mehr geht derzeit nicht. Es geht letztendlich um Qualität«, erläutern die Ärzte.

Andere Zahlen spiegeln etwas von dem wider, was deutschlandweit Schlagzeilen macht. »Mittlerweile«, so Runkel, »sind wir die Dicksten in Europa, jeder zweite Deutsche ist übergewichtig.« Etwa 25 stark übergewichtige Patienten kommen wöchentlich in die Sprechstunde zu Beratung und Nachsorge. Auch, weil die meisten Hausärzte mit dem Thema Adipositas noch überfordert seien. »Hier ist das Nadelöhr«, so Norbert Runkel.