Sehen keine Perspektiven für ihre Sportart mehr: EM-Teilnehmer Sebastian Schweizer und Bundesnachwuchstrainerin Katja Schweizer vom CC Schwenningen. Foto: Marc Eich Foto: Schwarzwälder-Bote

CurlingSchwenninger EM-Teilnehmer und Bundesnachwuchstrainerin sehen ihre Sportart am Ende

Von Gunter Wiedemann

Die Eisfläche in Schwenninger Curlinghalle glänzt endlich wieder. Zudem hat das "Team Baumann" das Ticket für die EM in der Schweiz gelöst. Doch nicht Freude, sondern Frust, Ärger und Unverständnis herrschen bei den Curlern aus der Neckarstadt. Dem Curling-Leistungssport droht in Deutschland das Aus.

Schock. Sebastian Schweizer klickt sich am Dienstagnachmittag durch das Internet. Kurzberichte über die wahrscheinliche Streichung aller Fördermittel durch das Bundesinnenministerium (BMI) für den Deutschen Curler-Verband (DCV) stehen bereits im Netz. "Das war ein Schock", stürzte für den Schwenninger, der sich am vergangenen Wochenende mit dem "Team Baumann" für die Europameisterschaft in der Schweiz qualifizierte, nach der späteren Bestätigung der ersten Meldungen die komplette Curling-Welt ein. "Das ist der Super-Gau! Unsere Sportart ist damit in Deutschland praktisch Geschichte", steht auch Bundesnachwuchstrainerin Katja Schweizer vor einem Scherbenhaufen. Zuvor hatte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) dem Bundesinnenministerium empfohlen, Curling finanziell nicht weiter zu unterstützen. Unverständnis. Der Trainervertrag von Katja Schweizer, der noch bis zum Ende des Jahres läuft, wurde bereits gekündigt. Auch vier weitere Angestellte des DCV – darunter Bundestrainer Thomas Lips – müssen sich zum 1. Januar 2015 nach einem neuen Job umsehen. "Dabei haben wir die Forderungen, die der DOSB an uns stellte, erfüllt", kann Katja Schweizer den von den Funktionären verlangten "Rahmentrainingsplan" nun in den Papierkorb werfen. "Und im Gegensatz zu anderen Wintersportarten waren die Curler seit der Rückkehr ins Programm im Jahr 1998 bei allen Olympischen Spielen dabei. Auch die Einschaltquoten im Fernsehen waren ja gut", gibt die Noch-Bundesnachwuchstrainerin zu bedenken. Vergleich. Zwar holten die deutschen Curler und Curlerinnen bei Olympischen Spielen noch kein Edelmetall, doch bei Welt- und Europameisterschaften sprangen zahlreiche Podestplätze heraus. Auch deshalb heißt es in einem Brief von Katja Schweizer an die beim DOSB für die Eissportarten zuständige Patrizia Wittich: "An Medaillen und sportlichen Perspektiven ist die Entscheidung gegen den Curlingsport sicherlich nicht festzumachen, sonst wären andere Sportarten schon längst nicht mehr förderungswürdig." Konsequenzen. Der DCV wird also voraussichtlich als erster olympischer Fachverband wegen fehlender Finanzmittel aus der staatlichen Förderung fallen, um die anderen Wintersportarten nicht stärker zu belasten. Zum Verhängnis wird dem DCV offenbar eine vergleichsweise geringe Finanzlücke von rund 350 000 Euro für die gesamten deutschen Wintersportverbände. "Ohne diese Fördergelder müssen wir ab dem 1. Januar praktisch alles selbst bezahlen. Dies betrifft die Flüge, die Hotels oder auch die Vorbereitungsmaßnahmen", weiß Sebastian Schweizer nicht, wie sich sein Team, sollte es sich für die Weltmeisterschaft im März und April in Halifax (Kanada) qualifizieren, eine mögliche Teilnahme an den Welttitelkämpfen finanzieren soll. "Schon kurzfristig wird es keine deutschen Teams mehr geben, die international konkurrenzfähig sind. Andere Nationen rüsten auf, wir dagegen sollen als reine Amateurmannschaften gegen die Weltelite bestehen", geht Sebastian Schweizer davon aus, dass das deutsche Curling-Teams in Zukunft "natürlich auch bei Olympischen Spielen keine Rolle mehr spielen werden". Nachwuchs. Zudem stehen nun die Bundesstützpunkte in Oberstdorf und Füssen vor dem Aus. Nicht direkt betroffen von der Entscheidung ist das Landes-Leistungszentrum in Schwenningen. "Das Vereinsleben wird in Sachen Breitensport ganz normal weitergehen", vermutet Sebastian Schweizer. Abschiedsvorstellung. Unterdessen hat sich das Team Baumann (CC Schwenningen/Baden-Hills) mit Skip Alexander Baumann, Manuel Walter, Sebastian Schweizer, Jörg Engesser und Alternate Marc Bastian am vergangenen Wochenende in Garmisch nach einem packenden Tiebreaker gegen das Team von Routinier Andy Kapp (Füssen) für die EM im November in Champéry (Schweiz) qualifiziert. "Das ist unser bisher größter Erfolg in dieser Zusammenstellung. Wir haben uns riesig darüber gefreut. Aber nun überwiegen Trauer, Frust und Unverständnis über das Aus für den Curling-Spitzensport in Deutschland", geht Sebastian Schweizer fest davon aus, dass die Europameisterschaft in der Schweiz das letzte Turnier sein wird, in dem deutsche Curler in Sachen Ausgangsbedingungen mit der internationale Konkurrenz ungefähr auf Augenhöhe sind. Wenn am 29. November also im französischsprachigen Teil des Kantons Wallis die EM endet, "wird auch das deutsche Leistungssport-Curling beerdigt sein. Ich glaube nicht, dass es bald wieder aufsteht!"

In einer Erklärung von DCV-Präsident Dieter Kolb heißt es: "Das Präsidium bedauert diesen Schritt nicht nur, sondern ist entsetzt, wie hier mit einem olympischen Spitzenverband umgegangen wird, der in der Vergangenheit immer wieder mit relativ geringer Förderung und viel Engagement Einzelner große Erfolge eingefahren hat. Gerade angesichts der Tatsache, dass der DCV sich hinsichtlich der Leistungsförderung mit neuem Konzept und neuem Bundestrainer neu aufgestellt hat, um – wie von BMI und DOSB gefordert – mittel- bis langfristig den internationalen Anschluss wiederherzustellen, ist es besonders unverständlich, dass zu diesem Zeitpunkt ein solcher Schritt erfolgt."