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Sportlehrerverband sieht Leibesertüchtigung an Schulen nicht ausreichend gewürdigt.

Stuttgart - Geschlossene Schwimmbäder, marode Turnhallen, ein Unterricht wie bei Turnvater Jahn – der Sportunterricht steht bei vielen Eltern in der Kritik. „Ganz so schlimm ist es nicht“, sagt der Zweite Vorsitzende des Sportlehrerverbands, Heinz Frommel.

Herr Frommel, bekommen die Schüler im Land einen guten Sportunterricht?

Sie könnten den Unterricht bekommen, den sie verdienen. Leider gibt es viele Schulen, an denen sie den ausgewiesenen Sportunterricht nicht vollumfänglich erhalten.

Dabei sind die vorgesehenen zwei bis drei Stunden pro Woche schon nicht gerade viel.

Der Stellenwert des Sportunterrichts ist insgesamt zu gering. Dabei ist es keine neue Erkenntnis, dass Sport großen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen ausübt. Es ist das einzige Fach, in dem soziales Lernen praktiziert wird. In Religion und Gemeinschaftskunde wird viel über Toleranz und Fairness gesprochen - aber nur im Sport begreifen die Jungen und Mädchen, wie man danach handelt.

In den Stundenplänen ist Sportunterricht nach wie vor Verschiebemasse Nummer eins.

Sport ist und bleibt ein Nebenfach - leider. Vielen Schulleitern geht es primär darum, die wichtigen Fächer mit Lehrkräften zu versorgen. Da gehört der Sport nicht dazu.

Wie integriert man Sportunterricht am sinnvollsten in den Stundenplan?

Ideale Pläne zu erstellen ist unglaublich schwierig. Die Hallen sind ausgelastet. In meinem vierstündigen Kurs haben die Schüler dienstags und mittwochs zwei Stunden. Was trainingsphysiologisch Unsinn ist. Ideal wären drei Einzelstunden pro Woche. Oder besser täglich wie in Großbritannien oder den USA. Das Problem bei uns sind die oft langen Wege zur Sportstätte.

Wie ist es um die Infrastruktur bestellt?

Vor allem um den Schwimmunterricht machen wir uns große Sorgen. Zum einen wegen fehlender Bäder, zum Zweiten, weil er aus Kostengründen oft ausfällt. Es erklärt sich oft niemand bereit, die Kosten für den Transport zum Bad zu übernehmen.

Und was den normalen Sportunterricht angeht? Klafft zwischen Anspruch, sprich Lehrplan, und Wirklichkeit nicht eine Lücke, was die Umsetzung von Sportarten angeht, für die man mehr als einen Ball benötigt?

Ich sehe das zunächst einmal positiv. Wir haben heute mehr Freiheiten und können mehr Orchideen-Sportarten anbieten als früher. Das ist nicht immer eine Ausrüstungsfrage, Beispiel Klettern oder Slack-Linen. Das Manko liegt vielmehr darin, dass die Kernbereiche auf der Strecke bleiben. Die Leichtathletik in der heutigen Abiturprüfung besteht aus gerade mal zwei Techniken. Oder das Gerätturnen aus zwei Übungsverbindungen. Entsprechend werden die Schüler ausgebildet und gehen an die Uni. Bei den Aufnahmeprüfungen zum Sportstudium sieht es teilweise erschreckend aus - was sich fortsetzt, bis die Leute als Lehrer wieder an der Schule landen. Hinzu kommt, dass die Ausbildung an den Hochschulen zu wissenschaftlich und zu wenig praxisbezogen abläuft.

Für die meisten geht es letztlich doch nur darum, die Begeisterung an der Bewegung zu vermitteln. Ist da Slack-Linen oder Trampolin nicht geeigneter als ein 800-Meter-Lauf?

Ich habe nichts gegen Trampolin, Lacrosse oder Baseball. Doch erst muss der Kernbereich abgedeckt sein. Und da sind wir schnell wieder beim Problem mit den wenigen Wochenstunden.

Was ist am heutigen Sportunterricht anders als vor zehn oder 20 Jahren?

Die Vermittlung erfolgt spielerischer. Früher war alles sehr technisch, was eine gewisse Monotonie bedingte: ein Sprint, ein Wurf, ein Sprung, ein Sprint. . . Das hat man durch Spielformen und motivierende Inhalte aufgedröselt. Und Turnen ist heute nicht mehr nur Stufenbarren und Reck.

Aber der Cooper-Test ist nicht totzukriegen.

(Lacht). Ein leidiges Thema, über das es immer viele Diskussionen gibt. Aber zumindest heißt er jetzt nicht mehr so, sondern Zwölf-Minuten-Lauf.

Ein anderes leidiges Thema sind Sportnoten.

Die meisten bei uns sind strikte Verfechter der Sportnote, schon aus Interesse des Faches. Der Schüler, der in Mathe oder Englisch gut ist, will dafür eine Bestätigung - genauso ist es im Sport. Und die Schwachen werden in der Regel fair behandelt.

Indem sie eine Drei kriegen.

Nicht bei mir. Eine Vier heißt immer noch ausreichend. Das lehre ich auch meinen Referendaren: Zu viel Rücksicht ist nicht gut.

Die wachsende gesellschaftspolitische Bedeutung von Sport wird an der Schule überhaupt nicht vermittelt, oder?

Da haben Sie recht. Sporttheorie in der Oberstufe ist ein auf Trainingslehre und Biomechanik begrenztes Feld. Laut Lehrplan soll noch ein bisschen Soziologie und Psychologie dazukommen, aber das fällt aus Zeitgründen meist weg. Bayern und Rheinland-Pfalz sind uns da voraus. Dort ist der Theorieunterricht offener, mit Themen wie Doping, Ernährung und Aggression. Die Prüfungen sind eine Art freier Essay - das ist schon sehr fortschrittlich.

Und unsere Bildungspläne in den geisteswissenschaftlichen Fächern setzen lieber weiter auf Hobbes und Rousseau.

Ich kenne die Bildungspläne der Gemeinschaftskunde nicht im Einzelnen. Aber es gäbe sicher Sportthemen - wenn ich aktuell nur an die Vergabemauscheleien von Fifa und Uefa denke -, aus denen sich etwas Spannendes machen ließe.