Das Ende einer Ära bahnt sich an: Senior-Chef Christoph Schweizer kündigt seinen Aussstieg in einem Jahr an. Foto: Rath Foto: Schwarzwälder-Bote

Wirtschaft: Spannende Hauptversammlung / Brexit-Folgen wohl in Grenzen / Wechsel im Aufsichtsrat

Von Volker Rath

Bei der Schweizer Electronic AG tut sich was. Der Leiterplatten-Hersteller aus Sulgen baut offenbar eine Kriegskasse auf. Seniorchef Christoph Schweizer (74) kündigt seinen Rückzug aus den Gremien in einem Jahr an.

Schramberg-Sulgen. Die Aktionäre erlebten gestern eine spannende Hauptversammlung im "Kraftwerk" in Rottweil. Das Unternehmen stellt derzeit bedeutende Weichen – welche genau, blieb offen. Die Anteilseigner stellten Vorstand und Aufsichtsrat faktisch einen dicken Blanko-Scheck aus. Sie wurden ermächtigt, neue Aktien auszugeben und das Grundkapital der Gesellschaft innerhalb der nächsten fünf Jahre um rund 4,8 Millionen Euro aufzustocken. Das klingt unspektakulär. Aber beim derzeitigen Aktienkurs lassen sich so Mittel von annähernd 100 Millionen generieren. Das riecht für Kenner der Branche nach Übernahmeplänen. Vorstand Nicolas Schweizer ließ sich aber nicht in die Karten blicken, dankte lediglich für "das große Vertrauen", mit dem die Geschäftsführung "verantwortungsbewusst" umgehe.

Die Aktionäre tragen den Kurs mehrheitlich mit. Lediglich die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) stimmte für ihre Klientel dagegen, war aber in der Minderheit. Grundsätzlich ist die SdK nicht gegen die Kapitalerhöhung, hätte den Betrag aber gern bei den üblichen 25 Prozent gedeckelt, sagte deren Sprecher Herbert Wild. Schweizer strebt hingegen eine 50-prozentige Erhöhung an. Außerdem wollte Wild wissen, was die Firmen-Spitze mit dem Geld vorhat. Vorstand und Aufsichtsrat lächelten die Frage aber weg.

Überhaupt steht Schweizer Electronic plötzlich viel größer da. Wie Finanzvorstand Marc Bunz erklärte, hänge dies mit der Neubewertung zusammen, die von der Umstellung vom deutschen Handelsgesetzbuch auf "internationale Standards" herrühren. Hatte sich Schweizer in schwäbischer Tradition kleiner gemacht als es ist, liegen so genannte "stille Reserven" jetzt offen. Das bilanziell niedrig bewertete Anlagevermögen wuchs von 40 auf knapp 80 Millionen, das Eigenkapital um 20 auf 68,5 Millionen (56 Prozent). Da die AG mehr Geld auf Sparkonten liegen als offene Kredite hat, ist Schweizer Electronic unterm Strich praktisch schuldenfrei.

Veränderungen gab es auch im Aufsichtsrat. Bernd Schweizer, der eine Abfindung von 1,1 Millionen erhält, schied ebenso aus wie Kristina Schweizer. Aufsichtsratsvorsitzender Michael Kowalski sprach von "persönlichen Gründen". Für sie rückten zwei Manager von Partnerunternehmen nach, die sich mit der Automobilbranche gut auskennen und der Geschäftsführung ihres Unternehmens angehören: Stephan Zizala von Infineon und Karin Sonnenmoser, die beim Lichttechnik-Hersteller Zumtobel AG in Österreich arbeitet und zuletzt beim VW-Konzern war. Wiedergewählt, für ein Jahr, wurde Firmenpatriarch Christoph Schweizer. Der Vize-Vorsitzende des Aufsichtsrats kündigte an, sein Ziel wahr zu machen und sich mit 75 aus sämtlichen Gremien der Firma zurückzuziehen.

Geschäftlich lief 2015 für die Firma Schweizer gut (wir berichteten). Der Umsatz des Betriebs mit 775 Mitarbeitern stieg im dritten Jahr in Folge auf ein neues Rekordniveau von 115,6 Millionen. Schweizer weist einen Bilanzgewinn von 5,4 Millionen aus. Zwei Millionen Euro oder 65 Cent pro Aktie genehmigten sich die Anteilseigner als Dividende. Zusammen mit Kurssteigerungen der Aktien betrage die Rendite für sie 8,7 Prozent. 500 000 Euro flossen als Erfolgsbeteiligung zusätzlich an die Mitarbeiter. Ferner kauft Schweizer Aktien zurück, die als Boni an die Vorstandsmitglieder gehen. Die Auszahlungen an die Aufsichtsräte steigen von 8000 auf 15 000 Euro jährlich, was auch Aktionärs-Sprecher Herbert Wild als "angemessen" bezeichnete. Weniger gut findet Wild, dass es obendrein eine "variable" Komponente mit Boni gebe.

Die Aussichten für Schweizer sind derzeit gut. Finanzvorstand Bunz sprach von "prall gefüllten" Auftragsbüchern. Der Brexit "tangiere" die Firma kaum. Der Vorstand ist zuversichtlich, nach dem Rückzug aus dem Solar-Geschäft komplett auf die richtigen Pferde gesetzt zu haben: Das neue Geschäftsfeld Luftfahrtbranche laufe jetzt richtig an, von einem Hersteller in den USA sei ein Serienauftrag eingegangen. Wichtigster Markt bleibt die Automobilbranche, die durch neue Antriebskonzepte und immer mehr Elektronik vor dem größten Umbruch überhaupt stehe. Schweizer will davon profitieren: 48-Volt-Bordnetz, immer weniger Platz unter der Motorhaube, Elektromobilität, neue Fahrassistenz-Systeme, steigende Sicherheit – die Prognosen sagen hier ein gewaltiges Marktwachstum für die Elektronikhersteller voraus. Die Firma Schweizer, die in Sulgen eine große Forschungsabteilung unterhält, könne zusammen mit den Partnern Wui in China und Infineon sowohl Masse als auch "erstklassige Qualität" liefern. Von Continental ist Schweizer erneut als Top-Zulieferer gekürt worden. Von den "Premium"-Herstellern BMW und Mercedes-Benz lägen neue Aufträge vor. Die Lösungen aus Sulgen sind gefragt, etwa für Scheinwerfer mit automatischem Fernlicht, das den Gegenverkehr nicht blendet. Xenon-Licht sei Auslaufmodell, LED-Technik günstiger und stromsparender. Außerdem müssen die Leiterplatten höhere Ströme aushalten und mehr Hitze ableiten können. "Wir haben die dafür notwendigen technischen Lösungen schon entwickelt", so Schweizer.