So geht’s – auch im Miteinander: In Schenkenzell arbeiten Flüchtlinge und ehrenamtliche Paten gut zusammen. Foto: Schmidtke/privat Foto: Schwarzwälder-Bote

Integration: Islamwissenschaftlerin bietet Seminar an / Timme: Politische Debatte geht oft an Realität vorbei

Schramberg. Sind Flüchtlinge aus Arabien und islamisch geprägten Ländern in Deutschland überhaupt integrierbar? Auf jeden Fall, sagt Kirsten Timme. Sie ist Trainerin für interkulturelle Kompetenz, hat selbst in Syrien gelebt. Viele der aktuellen politischen Debatten gehen ihrer Meinung nach an der Realität vorbei.

Frau Timme, derzeit kommen viele Flüchtlinge hier an. Ist ein gutes Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen überhaupt möglich oder sind hier Probleme vorprogrammiert?

Das ist meines Erachtens sogar sehr gut möglich. Vieles in der öffentlichen Diskussion an der Lebenswirklichkeit vorbeigeht. Bei uns hier leben schon immer Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammen, und es funktioniert im Großen und Ganzen gut. Leider richtet sich der Fokus immer auf die Dinge, die nicht gut laufen. Dass es mit der großen Mehrheit keine Probleme gibt, wird dabei gerne übersehen. Meine Erfahrung ist, dass es mit denen, die schon da sind, und denen, die noch kommen werden, gut funktionieren wird. Natürlich gibt es auch schwarze Schafe, so wie bei uns auch.

Es gibt auch einen Kulturschock. Kennen Sie das aus Ihrer Arbeit mit Flüchtlingen?

Der Kulturschock ist ein interessantes Phänomen. Es kann jeden treffen. Aber es trifft vor allem die, die sich besonders gut vorbereitet haben und besonders motiviert sind. Sie haben meist große Erwartungen, auch an sich selbst.

Ticken Menschen aus dem arabischen Raum völlig anders als Europäer?

Nein, überhaupt nicht. Ich arbeite viel mit Flüchtlingen, auch ehrenamtlich. Die Menschen von dort bewegt dasselbe wie die Leute hier: Arbeit, Sicherheit, Nahrung und das Wohlbefinden von Familie und Freunden. Das sind die menschlichen Grundbedürfnisse. Unterschiede gibt es eher in alltäglichen Verhaltensweisen.

Gibt es Fettnäpfchen, in die man im Umgang mit Muslimen oder Arabern treten kann?

Es gibt keine Fettnäpfchen. Es gibt eher Missverständnisse. Die gab es schon immer. Aus Amerika kam das Handzeichen, mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis zu bilden, als Geste für O.k. Für meine Eltern hatte es noch eine andere Bedeutung, und zwar eine ziemlich unflätige. Aber das weiß heute keiner mehr. Wir sind ja lernfähig. Die meisten Missverständnisse sind meiner Meinung nach auf fehlende Sprachkenntnisse zurückzuführen. Aber das sollte sich mit der Zeit von selbst erledigen.

Sie haben selbst lange im arabischen Raum gelebt. Fühlten Sie sich als Frau akzeptiert?

Absolut. Dass Frauen dort nichts gelten sollen oder keine Autorität haben, ist eine der Stereotypen.

Ich hatte nie den Eindruck, keine Autorität zu haben, bloß weil ich eine Frau bin, weder dort noch hier als Seminartrainerin. Ich habe auch einen Kurs mit vielen Männern und nur einer Frau. Ich hatte zu keiner Sekunde den Eindruck, dass sie sich unwohl fühlt.

Eine Anpassung ist also gar nicht nötig?

Das kommt drauf an, wie man Anpassung interpretiert. Integration und Assimilierung werden oft miteinander verwechselt. Was ist denn typisch deutsch? Wir verhalten uns ja auch nicht alle gleich. Klar, das Grundgesetz muss als Selbstverständlichkeit gelten, und die Gepflogenheiten hierzulande muss man respektieren. Man muss den Ankömmlingen eben einiges erklären, dann funktioniert das mit der Zeit, wenn auch nicht alles gleich beim ersten Mal klappt.

Nehmen wir die Mülltrennung: Wer zum ersten mal im Leben vor fünf verschiedenen Tonnen steht, rätselt. Das erklärt sich nicht von alleine. Aber diese Dinge sind kein Problem. Ein Anschluss von Flüchtlingen an einen Sportverein oder an Menschen, die schon lange hier leben, hilft viel, sie lernen dann umso schneller. Die Sprache ist die grundlegendste Frage überhaupt. Hier scheitert es oft, weniger am Willen, sondern eher an fehlenden Plätzen in Kursen.

Integration kann gelingen?

Davon bin ich überzeugt. Wenn von beiden Seiten der Wille da ist. Und wenn die Leute das Gefühl haben, dass sie hier leben können und dürfen. Sie wollen bloß akzeptiert werden.  Die Fragen stellte Volker Rath

Kirsten Timme aus Horb-Rexingen ist zertifizierte Trainerin für interkulturelle Kompetenz. Sie hat Islamwissenschaften und Turkologie studiert und lehrt Deutsch als Fremdsprache. Sie lebte unter anderem in Ägypten und Syrien. Sie hält Vorträge und Seminare Islam, Naher Osten, Nordafrika und die Türkei. Geschichte, Politik und Kultur der Region bilden den Kern ihrer Arbeit. Die Volkshochschule Schramberg und das Netzwerk Willkommen bietet am Montag, 18. Juni, ein Tagesseminar "Interkulturelle Kompetenz – Grundlagen für Ehrenamtliche in der Flüchtlingshilfe" an. Timme erklärt, wie die Kommunikation über Kulturgrenzen hinweg funktionieren kann und warum sich Menschen aus fremden Kulturen teils anders verhalten als man erwartet. Das Seminar wird aus Mitteln des Landesprogramms für Flüchtlingshilfe durch Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft gefördert.

 Anmeldung ist möglich bis 27. Mai bei VHS-Leiterin Susanne Gwosch, Telefon 07422/2 92 56.