Martin Maurer bedankt sich bei Sabine Suschinski. Foto: Herzog Foto: Schwarzwälder-Bote

Heimatgeschichte: Schramberger berichten von ihren Familien-Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg

Von Lothar Herzog

Schramberg. In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv hatte der Museums- und Geschichtsverein Schramberg zu einem Kolloquium über "Familiengeschichte und Kriegserinnerung" ins VHS-Gebäude Schlössle eingeladen. Vor vollbesetzten Stühlen kamen vier Referenten zu Wort.

Der gebürtige Schramberger Hermann Reichert, der jetzt in Waldshut-Tiengen lebt, zitierte aus zahlreichen Feldpostbriefen, die erst nach dem Tod seines Vaters Hermann entdeckt worden waren. Es sei ihm eine Ehre, der Sache mit Gefühl und Anstand gerecht zu werden. Bei der Firma Junghans, in der seine Eltern gearbeitet hatten, sei eine Zuneigung zur NDSAP zu spüren gewesen. Das Angebot, eine unabkömmliche Stelle zu besetzen, habe sein Vater abgelehnt, was er wohl die nächsten fünfeinhalb Jahre bereut habe. An Ostern 1940 sei er von einer Amtsperson mit dem sofortigen Stellungsbefehl überrascht worden. Im November 1941 ging es für ihn nach Russland. Dort habe er ein eigenhändiges Testament geschrieben. Bei Temperaturen von minus 47 Grad Celsius habe er eine Fußerfrierung erlitten. Nach elf Tagen im Lazarett in Dresden angekommen, habe er an seine baldige Entlassung geglaubt. Ein Irrtum. Es ging ins Elsass. Obwohl die in den Briefen niedergeschriebenen Kriegserlebnisse für ihn als Sohn traurig gewesen seien, habe es auch hin und wieder Anlass zum Schmunzeln gegeben. Er wundere sich noch heute, wie gut und schnell die Feldpost damals zu den gegebenen Umständen funktionierte, im Gegenteil zur heute, stellte Reichert fest. Das wohl schlimmste Erlebnis habe sein abgemagerter und gezeichneter Vater bei der Rückkehr aus der Bretagne erlebt, als ihm jemand zugerufen habe: "Da kommt wieder so ein Kriegsverlängerer".

Der 77-jährige Fritz Brodbeck aus Oberwolfach, gebürtiger Schramberger, hatte vor wenigen Jahren seine Erinnerungen als Kind während des Kriegs niedergeschrieben. Die Mütter hätten ihre Ängste damit verdrängt, in dem sie sich sehr stark mit den Kindern beschäftigten. Die Spannungen, die es zwischen den Erwachsenen, die für oder gegen Hitler gewesen seien, habe er zunächst kaum wahrgenommen. Ebenso die Gotteslästerung von Hitler. Seine Mutter habe die Nazis nicht gemocht und gehofft, dass der Krieg bald vorbei gehe, damit ihre Söhne nicht eingezogen würden. Bei der Verteidigung seines italienischen Schulkameraden Enrico, der "Budolio" geschimpft worden sei, habe er sich eine blutige Nase eingefangen. Erst später habe er begriffen, dass Italiener als Verräter gesehen worden seien. Viele Buben und Mädchen hätten wegen der lärmenden Hitlerjugend vor der Kirche nicht mehr zum Gottesdienst gehen wollen. Einmal sei seiner Mutter vor die Füße gespuckt worden. Sie sei trotzdem in die Kirche gegangen. Als der Krieg näher an Schramberg heranrückte, habe es des Öfteren geheißen: Raus aus den Betten und in den Keller. Er habe beobachtet, wie ein Flieger abstürzte und der Pilot am Fallschirm baumelte. In der Wohnung sei ein Rucksack mit Notverpflegung bereitgestanden. Einmal habe er der NS-Diktatur Auge in Auge gegenübergestanden. Gefangene, wahrscheinlich aus einem KZ, seien von Uniformierten geschlagen worden, weil einer einen Apfelbutzen aufheben wollte. Als in Schramberg Marokkaner gekommen seien, habe die Besatzungszeit begonnen.

Als bewegend, aber sehr unterhaltsam erlebten die Besucher die von Sabine Suschinski erzählte Liebesgeschichte zwischen dem französischen Offizier Jean Brassié und Christa Marie Feustel, später verheiratete Biegert, nach Kriegsende in Schramberg. Bei ihrem Praktikum im Stadtarchiv war sie auf die handgeschriebenen Briefe des Liebespaares gestoßen. Sie seien allesamt in Englisch verfasst gewesen. Obwohl der gläubige französische Soldat mehrmals in Schramberg gewesen sei, sei es nie zu einem Treffen gekommen. Er habe ihr geschrieben, dass er sie gerne heiraten wolle, sie aber nach Frankreich kommen und die französische Staatsbürgerschaft annehmen müsse. Brassié habe einen Sohn gehabt, die Ehe sei geschieden worden. Biegert sei 2011 im Spittel kinderlos gestorben.