Rolf Munzinger kennt sich aus mit der Geschichte des Nahverkehrs. Foto: Fritsche

Infrastruktur: In Nachkriegszeit auch ohne eigenes Auto mobil / Schnell zuverlässige Verbindungen geschaffen

Schon vor 60 Jahren konnte sich in der Raumschaft Schramberg die heute von Verkehrsminister Winfried Hermann viel beschworene "Mobilität im ländlichen Raum" mehr als sehen lassen.

Schramberg. Täglich direkte Buslinien von Schramberg nach Stuttgart, Freiburg oder Friedrichshafen wie in den fünfziger Jahren? Davon können die Talstädter heute nur noch träumen. "Die Mobilität war damals relativ gut", erklärt der Schramberger Rolf Munzinger (83). Die kürzlich im Schwarzwälder Bote erschienene Geschichte über einen Oldtimer-Bus hatten ihn dazu angeregt, in seinen Erinnerungen und Fotoalben zu kramen. Munzinger, aus einem Schramberger Busunternehmen stammend, saß selbst viele Jahre am Steuer von Bussen, von 1953 bis März 2015 fuhr er mehr als 3,5 Millionen Kilometer, von Portugal bis Türkei, von Tunesien bis zum Nordkap. Auch London, Moskau und Sotschi waren Ziele. Anfang im Luxuswagen Vater Fritz Munzinger war 1934 von Stuttgart nach Schramberg gekommen. Er brachte einen achtsitzigen Maybach mit, der dem Chef der Deutschen Linoleum-Werke in Bietigheim gehört hatte. Munzinger senior war dessen Fahrer gewesen. Als sein Chef, weil er Jude war, das Unternehmen verlassen musste, übernahm Munzinger senior den Wagen, erzählt Sohn Munzinger.

Mit diesem und weiteren Fahrzeugen bot Munzinger senior in Schramberg nicht nur "Mietfahrten aller Art" in einer Zeitungsanzeige von 1936 an, sondern fuhr zum Beispiel zweimal in der Woche Geschäftsleute und Bürger von Schramberg ab "Württemberger Hof" nach Stuttgart zur Gaststätte "Ritter" (im Krieg zerstört) neben dem "Tagblatt-Turm" in der Stadtmitte.

Nacheinander waren noch drei weitere Maybachs im Fuhrpark, zuletzt der legendäre Maybach Zeppelin mit zwölf Zylindern, den aber die Wehrmacht im Krieg einzog. Munzinger blieb noch der Mercedes-Benz 260 D Baujahr 1938, das erste von Mercedes gebaute Diesel-PKW-Modell, schon damals das bewährte Taxi-Auto. "Als Diesel-Fahrzeug hat es den Krieg überlebt, die Wehrmacht wollte es nicht", berichtet Sohn Munzinger. Als "kriegswichtiges Fahrzeug" erhielt der Wagen einen "roten Winkel" auf dem Nummernschild sowie Tarnfarbe und fuhr für die Firma Junghans, brachte zum Beispiel Patienten für die Junghans Krankenkasse nach Rottweil oder Freiburg.

Da Fritz Munzinger bei Junghans dienstverpflichtet war, machte Ehefrau Wilma die Fahrten. Auch 1942 zur Beerdigung von Erwin Junghans. Da es keinen Diesel gab, fuhr der Wagen mit Gas. Damit die Gasflaschen am Fahrzeugheck nicht so monströs aussahen, bauten die Junghans-Mitarbeiter für die Beerdigungsfahrt eine Verkleidung darüber. Am Kriegsende diente der Wagen dem Volkssturm dazu, die Panzersperren im Stadtgebiet zu inspizieren.

Der erste richtige Bus

Nach dem Krieg, wieder umlackiert, kam der Mercedes in die Fahrbereitschaft der Stadt Schramberg. Dass die Munzingers den Wagen versteckt hatten, nutzte nichts: Irgendjemand hatte der französischen Besatzung das Versteck verraten. Es folgten anstrengende Nachtfahrten ins Saarland, um Drehstahl für Junghans zu holen. Tagsüber fuhr Mutter Wilma die Ärzte zu den Bauern, die die Behandlung mit Milch und Butter bezahlten. Fritz Munzinger hatte dann die gute Idee, mit einem größeren Fahrzeug Junghans-Mitarbeiter zum Werk zu fahren. Im bayerischen Miesbach erstand er einen Funkwagen der Wehrmacht, baute im Kastenaufbau längs zwei hölzerne Sitzbänke ein und fuhr Arbeiter von Mariazell zu Junghans. Morgens hin, abends zurück. 1947 starb Fritz Munzinger. Seine Witwe Wilma heiratete später Otto Rau. "Auto-Munzinger, Inhaber Otto Rau" stand deshalb auf der Fahrertür des ersten richtigen Bus. Rau hatte sich einen Fahrzeugrahmen von Mercedes besorgt, baute die komplette Technik samt Vier-Zylinder-Motor mit 65 PS vom Funkwagen ein und ließ von der Firma Reuter in Feuerbach eine Karosserie auf das Fahrgestell aufbauen.

Schramberg – Stuttgart

Regelmäßig wurde mit dem Bus wieder die Strecke von Schramberg nach Stuttgart über Freudenstadt bedient. Das Nachfolgemodell mit Sechs-Zylinder-Motor und 100 PS verkehrte auch zwischen Hardt und Schramberg. Die Strecken nach Freiburg und Friedrichshafen im Auftrag der Bahn blieben im Angebot, genauso der tägliche Transport der Junghans-Mitarbeiter.

Sonderfahrten nach Rom und 1952 nach Paris zum Länderspiel der Nationalmannschaft (Deutschland verlor) blieben unvergessen. Stützpunkt in Schramberg war die firmeneigene Tankstelle mit dem Bushof in der Schiltachstraße.Der zunehmende Urlaubsreiseverkehr ab den fünfziger Jahren und die Vertretung für Mercedes- und DKW-Automodellen gaben dem Unternehmen einen weiteren Wachstumsschub. Schon 1956 warb Auto-Munzinger bei Touristen für seine Busse mit dem heute mehr denn je aktuellen Slogan: "Urlaub vom Auto".