Artur Egle-Theurer vom Evangelischen Bildungswerk Balingen (links) bescheinigte dem Referenten Steffen Andreae große Begeisterungsfähigkeit beim Aufzeigen neuer Wege in ein nachhaltiges gesellschaftliches Leben auf. Foto: Anton Foto: Schwarzwälder-Bote

Gesprächsabend: Steffen Andreae zeigt bei Marktplatz Kirche am Beispiel seiner Kommune neue Wege auf

Das eigene Häusle mit chromblitzendem Mercedes davor und eigener Werkstatt im Keller sind nicht sein Ding. Dies stellte Steffen Andreae beim Gesprächsabend von Marktplatz Kirche in seiner Heimatstadt Schramberg eindeutig klar.

Von Antonie Anton

Schramberg. Seit 2000 ist der 49-jährige studierte Politikwissenschaftler und Philosoph mit der Mitbegründung von alternativen Lebens- und Wohnformen beschäftigt. Im Gespräch mit Artur Egle-Theurer vom Evangelischen Bildungswerk Balingen unter dem Thema "Gemeinsam. Utopie. Leben." berichtete der engagierte Autor und Kommunalpolitiker der Grünen-Linken-Liste von seinen Erfahrungen im Raum Kassel mit dem 2000 gestarteten Projekt Villa Lokomuna, mit der 2007 gegründeten Kommune Niederkaufungen und der 2012 gegründeten Kommune Lossehof. Dabei ersetzte er das durch die spektakuläre Langhans-Kommune 1 in den Köpfen herumgeisternde Zerrbild "Kommune" durch ein sehr viel einladenderes Bild heutigen Zusammenlebens in Kommunen.

Begrüßt von Vorstandsmitglied Martin Höfflin-Glünkin beteiligten sich die zahlreichen Zuhörer im Anschluss an den hochinteressanten Dialog auch noch im Marktplatz rege am Gespräch. Analog zum Jahresthema 2015 "Mut zu neuen Wegen" bescheinigte der Moderator dem Gast aus Kassel, der auch schon in einer Wagenburg gewohnt hat, "jede Menge Mut".

Von Anfang an ließ der Autor keinen Zweifel an der Bedeutung der Verflechtung von Kommune und politischer Gemeinde, damit ein ökonomisch-ökologisches, kulturelles und soziales Netzwerk der Gemeinschaften entstehen könne. Eine Karte zeigte, wie viele alternative Gemeinschaften im Raum Kassel angesiedelt sind. Die Kommune Lossehof verfügt über 10 000 Quadratmeter Fläche und fünf Hektar Ackerfläche, die zusammen mit anderen Kommunen genutzt werden. Das seit 1777 bestehende Gebäude ist denkmalgerecht aufgebaut worden und beherbergt derzeit 19 Erwachsene (eine Ansammlung von Enthusiasten) und sieben Kinder. Mit den Kommunen wurde auch ein Kulturwandel in den Ort gebracht, wie der eigene Laden beweise.

Mit Wachstum Probleme nicht mehr zu lösen

Zum Thema Sinn und Zweck der Kommunen nannte der praxiserprobte Wissenschaftler die vier Ziele Entrümpelung, Entflechtung, Entkommerzialisierung und Entschleunigung. Die Ziele seien "langsamer, weniger, besser und schöner." Das Gebot der Stunde laute Ausstieg aus der Profitmaximierung, denn die Lösung des Problems sei nicht Wachstum, denn diese Art von Wachstum bedeute anderswo auf der Welt Armut, schlechte Arbeitsbedingungen und Umweltzerstörung. Angesichts einer älter werdenden Gesellschaft sei Entschleunigung angesagt.

Am Beispiel Waschmaschinen oder Bohrmaschinen-Verleih verdeutlichte er das geteilte Nutzen von Ressourcen. Ein starker Gartenhäcksler für die ganze Straße schaffe mehr als 50 leistungsschwache Billig-Häcksler. Das Dogma "Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es allen gut", führte er ad absurdum, denn ein "endlicher Planet" könne kein "unendliches Wachstum" verkraften. Ansonsten rase die Welt mit Hochgeschwindigkeit in die Katastrophe.

Einige Kämpfer für eine nachhaltige Entwicklung hätten schon kapituliert. Dieser Wandel könne aber nicht ohne die Kirchen, die Vereine und gesellschaftlichen Akteure vollzogen werden. Um zu einem harmonischen Miteinander zu kommen, wandelte der Referent das Sprichwort "Beim Geld hört die Freundschaft auf" genau ins Gegenteil um. Wer in die Kommune einsteigt, gibt zwar all sein Geld in die gemeinsame Kasse, doch berücksichtige die Gemeinschaft bei der Entnahme von Geld die verschiedenen Bedürfnisse der Mitglieder. Die Unzufriedenheit fange erst bei Faktor 1: 10 an und die Bedürfnisschere dürfe nicht zu weit auseinander gehen.

Reale Utopien treffend auf den Punkt gebracht

Zwar habe die Kommune viel Ähnlichkeit mit der urchristlichen Gemeinde der Apostelgeschichte, doch sei das Thema, Eigentum in Frage zu stellen, eine politische Entscheidung. Grundsätzlich würden in der Kommune Lossehof alle Entscheidungen im Konsens getroffen.

Dieses "konservative Modell" benötige einen großen Zeitaufwand. Zur Frage, ob das Genießen bei diesem einfachen Lebensstil (Fahrrad statt S-Klasse, vegane Ernährung statt Rostbraten) auf der Strecke bleibe, entgegnete der Initiator neuer Lebensformen, dass im Lossehof auch viel gefeiert werde. Drei Punkte hielt Steffen Andreae für unerlässlich: Klimawandel, Menschlichkeit und Räume für gemeinschaftliche Strukturen, wo Menschen "andocken" können.

Der Gast gab zu bedenken, dass man ohne "Spinnerei", die er in seinem Buch "Reale Utopie" nannte, nicht aus dem "Weiter so" herauskomme. Abschließend bescheinigte der Moderator dem Gast, dass nicht viele Redner bei Marktplatz Kirche es so gut verstanden hätten, ihre reale Utopie so begeisternd und einladend auf den Punkt zu bringen. Der Gast sei alles andere als ein miesepetriger Moralist. Auch unter den Zuhörern äußerten sich etliche, die bedauerten, dass in der Raumschaft noch kein alternatives Wohnprojekt entstanden sei.