Groß war das Interesse am Vortrag von Walter Kienzler beim Kinderfonds über die Situation der Flüchtlinge. Foto: Herzog

Walter Kienzler schildert Schicksal und Situation der Flüchtlinge vor Ort. Die meisten sind integrationsbereit.

Schramberg - "Stellen Sie sich mit geschlossenen Augen vor: Das Boot ist voll". Mit dem Schlagwort aus den 90er Jahren, als viele Flüchtlinge aus dem Balkan nach Deutschland kamen, begann Walter Kienzler seinen Vortrag im Anschluss an die Hauptversammlung des Kinderfonds zur derzeitigen Flüchtlingssituation.

Auch weitere Schlagzeilen in den Medien wie "Deutschland sei nicht das Sozialamt für alle" träfen nicht zu. Nur etwa 1,5 Prozent der syrischen Flüchtlinge seien nach Deutschland gekommen. Die Türkei habe wesentlich mehr aufgenommen. Viele hätten nicht das Geld, weiterzukommen. Es sei peinlich, dass die UNO nicht so viel Geld bereitstelle, um die Flüchtlinge mit Essen zu versorgen.

Im Januar seien die Flüchtlingszahlen und Asylanträge nochmals sprunghaft nach oben geschnellt. Es werde versucht, die Bearbeitung der Anträge in 14 Tagen durchzuziehen.

Bei der Frage, weshalb Flüchtlinge nach Deutschland kommen wollen, müsse zwischen "Pushfaktoren" und "Pullfaktoren" unterschieden werden. Bei Ersterem seien Bürgerkrieg, Menschenrechtsverletzungen, Diktaturen, Verfolgungen, Armut und Korruption die Gründe. Hunger eher weniger, weil Hungernde gar nicht so weit kämen.

Pullfaktoren seien die Aussicht auf Berufsausbildung, Sicherheit, Wohlstand in Deutschland und hier lebende Verwandte. Wenn eine Frau aus Afghanistan sich auf die Flucht in die Bundesrepublik aufmache, was müsse da passiert sein, dass sie sich diesen Gefahren und Strapazen auszusetzen? Auch mit Kindern breche man nicht so einfach auf. Wenn man Flüchtlinge vor Lampedusa rette, wo die Schiffe wirklich voll seien, komme man wegen Menschenschmuggels in den Knast, schüttelte Kienzler den Kopf. In Marokko gebe es spanische Exklaven, gesichert durch acht Meter hohen Stacheldraht. Flüchtlinge aus Afrika, die diese Zäune überwinden wollten, würden von spanischen Wachmännern mit Gummigeschossen angegriffen und zum Teil schwer verletzt.

Legal könne man nach Deutschland nur noch mit dem Flieger und einem Visum einreisen. In Schramberg würden 76 Prozent der Asylanträge von Syrern befürwortet, sie erhielten Sprachunterricht. Andere Nationalitäten seien nicht ganz so gut bestellt. Bei Bewilligung bestehe ein dreimonatiges Arbeitsverbot. Danach müssten sie sich selbst um eine Arbeitsstelle kümmern. Nur wenn ein Deutscher die Arbeit nicht verrichten könne, bekomme ein Ausländer die Stelle. Es werde aber versucht, Asylbewerber schneller in Arbeit zu bringen, wusste der Redner.

Sie müssten in beengten Verhältnissen wohnen. Pro Person seien gesetzlich vier Quadratmeter vorgeschrieben. Dieses Maß soll bis 2017 auf sieben Quadratmeter steigen. Asylbewerber hätten Sprachprobleme und kämen aus fremden Kulturen (Kulturschock). Schon während des Asylverfahrens müsse in Richtung Integration gearbeitet werden. Recht gut klappe dies bei Syrern.

Asylbewerber seien großen Belastungen – traumatisierten Kinder und Trennung von Familienmitgliedern – ausgesetzt. Da seien Spezialisten gefragt. Zudem seien sie finanzielle Risiken eingegangen, um die Flucht zu bezahlen. Manchmal litten sie auch durch Missverständnisse unter der Wohnbevölkerung und durch Anfeindungen. Die meisten Asylbewerber seien jedoch motiviert, brächten berufliche Qualifikationen, Kultur, Sprache und gutes Essen mit, hob Kienzler hervor.

Kinderfonds lindert schlimmste Not

Der im November 2008 gegründete Schramberger Kinderfonds hat bisher insgesamt 36 800 Euro für humanitäre Hilfe an bedürftige Kinder ausgegeben. Im vergangenen Jahr waren es rund 6200 Euro.

Vorsitzende Dorothee Golm, seit eineinhalb Jahren im Amt, konnte im Foyer der Peter-Meyer-Schule zahlreiche Besucher begrüßen. Wie sie mitteilte, steige der Bedarf an Hilfe und Unterstützung von Jahr zu Jahr, und er werde durch die derzeitige Flüchtlingssituation weiter zunehmen. Das meiste Geld gebe der Kinderfonds für Mittagessen und Frühstück aus. Dem Jugendparlament Waldmössingen und dem Fitnessstudio Injoy dankte sie für erhaltene Spenden in Höhe von 2250 Euro und 1000 Euro.

Für ihre geleistete Arbeit erhielten die Vorsitzende sowie alle Beteiligten von Pfarrer Rüdiger Kocholl ein großes Lob. Er bewundere das Engagement und sei froh, den Kinderfonds in Schramberg zu haben. Zum Dank überreichte der Pfarrer ein Blumengebinde an Golm mit den Worten: "Rot ist die Liebe, aber weiß ist auch sehr schön".

Detaillierte Auskunft über Einnahmen und Ausgaben gab Kassierer Wilfried Schenk. Ihm zufolge wurden insgesamt 6191 Euro für mittelbare Hilfe an bedürftige Kinder und finanzschwache Familien ausgegeben. Für die Übernahme von Essensgeld und Zuschüsse zu diesen seien 2043 Euro angefallen. Die Übernahme des Abmangels beim Frühstück in der Schule habe 802 Euro betragen. Erstmals seit Bestehen des Kinderfonds seien 705 Euro für Nachhilfeunterricht bezahlt worden.

Den Ausgaben stünden Einnahmen von 4505 Euro gegenüber, die ausschließlich durch Spenden zustande kämen. Unter den privaten Geldgebern seien welche darunter, die seit drei Jahren regelmäßig spendeten. Der entstandene Verlust in Höhe von 1686 Euro gebe kein Anlass zur Sorge. Die Spenden vom Jupa und Injoy seien erst in diesem Jahr dem Konto gut geschrieben worden. In den Ausgaben seien keine Verwaltungskosten enthalten, weil alles ehrenamtlich geschehe, bekräftigte der Kassierer.

Über ihre Arbeit als Schulsozialarbeiter der Erhard-Junghans-Schule speziell mit Flüchtlingskindern berichteten abwechselnd Julia Merz (Grundschule) und Tobias Müller (5. bis 7. Klasse). Es gebe viele Kinder, die sehr schnell Deutsch lernten. Andererseits aber auch solche mit Blockaden, die am liebsten wieder in ihre Heimat zurückwollten, aber nicht könnten. Bei syrischen Kindern sei es problematisch, da an der Schule niemand arabisch spreche. Im Sportunterricht sei es leichter, an die Kinder ranzukommen. Wenn jedoch die deutsche Sprache nicht erlernt werde, werde die Kommunikation schwierig.

Aus versicherungstechnischen Gründen dürften nicht alle Kinder am Sportunterricht teilnehmen, was diese jedoch nicht verstünden. An der Mensa habe es einmal einen Streit wegen einem Handy gegeben. Als dies durch die Polizei geklärt werden sollte, habe der Beschuldigte mit den Füßen auf den Boden geschlagen und sei völlig durchgedreht. Allein das Wort "Polizei" habe große Ängste ausgelöst, wohl aufgrund von negativen Erlebnissen auf der Flucht, mutmaßten die beiden Pädagogen. Bildung und Teilhabe sei ein großes Thema. Wer mit bedürftigen Kindern und Jugendlichen zu tun habe, könne einen Antrag stellen. Für die Erhard-Junghans-Schule sei es allerdings nicht einfach, mit der Flüchtlingswelle zurechtzukommen, schilderten Merz und Müller.

Wie Kinderfonds-Vorsitzende Golm vervollständigte, gebe es derzeit 70 Flüchtlinge in Schramberg, ein Drittel davon seien Kinder. Ihnen gehe es recht gut, weshalb man sich in Schramberg glücklich schätzen könne.