"Les Favorites" und das Vocalensemble Rastatt ließen den Zuhörern in der evangelischen Stadtkirche Schiltach mit der Aufführung der Johannes-Passion ein großes geistiges Geschenk zukommen. Foto: Werner Foto: Schwarzwälder-Bote

Biblische Passionsworte in musikalischer Ausdeutung eindringlich dargeboten

Von Hans Werner

Schiltach. Die Aufführung der Johannespassion von J. S. Bach, der Antrittsarbeit des Thomaskantors in Leipzig, ausgeführt in tadelsfreier Qualität durch das Vocalensemble Rastatt und dem Orchester "Les Favorites", unter Leitung von Holger Speck, war eine wundervolle Einstimmung auf die anbrechende Karwoche.

Die Interessengemeinschaft "Orgel und Kirchenmusik Schiltach" hatte dieses geistliche Konzert als Benefizkonzert veranstaltet, dessen Spendenerlös dem Bau eines barrierenfreien Zugangs zur Stadtkirche und für die Stiftung "Eigensinn" in Freudenstadt bestimmt sein würde.

Die vielen Zuhörer, welche die große Hallenkirche füllten, erlebten diese Aufführung wie ein großes geistiges Geschenk, das in der Erinnerung lange nachwirken wird. Denn selten hat man die biblischen Passionsworte in der musikalischen Ausdeutung so eindringlich erleben dürfen.

Mit historischen Instrumenten, Traversflöten, Oboe d’amore, Oboe da caccia und anderen, konnte das Orchester Les Favorites einen originalgetreuen Klang aus der Entstehungszeit dieser Passion erzeugen. Mit seiner fein nuancierenden Direktion und agogisch abwechslungsreichen Ausgestaltung erreichte Speck ein hohes Maß von musikalischer Verinnerlichung und konnte den einzelnen Orchesterzwischenspielen, namentlich aber den Chören und Chorälen, eine einzigartiger Wirkung verleihen.

Breit ausholend schon beim Eingangschor setzte er behutsame, aber deutliche und geschmackvoll dosierte Akzente, die die barocke Musik in ihrer ganzen Geschmeidigkeit lebendig werden ließen. Vor allem bei den Chorälen wurde das erkennbar. Manchmal erlebt man Bachchoräle als steinerne, starre Gebilde, die sich wie eherne Tonsäulen erheben. Hier überhaupt nicht!

Unter Speck ging der Chor die Choräle zügig an, von Phrase zu Phrase vorwärtsdrängend, überhaupt nicht statisch, sondern emotional bewegt. Diese Choräle waren nicht aus Stein, sondern sozusagen Gebilde aus Fleisch und Blut, heftige Gebetsaufwallungen der vom Passionsgeschehen ergriffenen Seelen. Und manchmal wechselten sie zu einem geradezu volksliedhaft innigen Ausdruck, wie bei dem schönen Lied "In meines Herzens Grunde". Die Chöre hingegen, zum Teil sehr anspruchsvolle Chorsätze, konnten durch die Vitalität bestechen, mit der sie gemeistert und herübergebracht wurden. Man bewunderte dabei die Konzentration der Choristen, ihre spontane Einsatzbereitschaft und ihr lebendiges stimmliches Engagement bei den dramatischen Massenszenen.

Die Wirkung einer solchen Passion steht und fällt mit dem Evangelisten. Michael Connaire, Tenor, gestaltete den Passionstext sehr eindringlich und erzählerisch lebendig. Er nahm für sich die Freiheit der Rezitation bis zur äußersten Grenze in Anspruch, wechselte, je nach Inhalt der Textstelle, vom schnell voraneilenden Deklamieren zum langsam bedächtigen Vortrag. Mit leuchtender Stimme hob er die hohen Töne, die Schwerpunkte der Aussage, deutlich hervor, brachte sie zum Strahlen, und konnte durch seinen Gesang den Eindruck eigener mitfühlender Rührung vermitteln.

Sehr behutsam und anpassungsbereit – und das war bei dieser freien Rezitationsweise keine Kleinigkeit – begleitete die Continuogruppe. Die anderen beiden männlichen Solisten, Markus Flaig als Petrus und Karsten Müller als Jesus stellten in ihrer Art des Auftretens und ihrer Textausdeutung zwei verschiedene, beinahe konträre Charaktere dar. Jesus, der geistig Überlegene, mit der Autorität seiner göttlichen Sendung ausgestattet, und Petrus, der machtvolle Amtsinhaber, offiziell im Ton, der über Tod und Leben entscheiden kann. Beide Solisten konnten stimmlich uneingeschränkt überzeugen. Die beiden weiblichen Solistinnen, Christina Bock, Alt, und Maria Bernius, Sopran, erreichten ihre größte gesangliche und stimmliche Wirkung jeweils bei ihren zweiten Auftritten, "Es ist vollbracht" (Alt) und "Zerfließe mein Herze" (Sopran).

Das Orchester insgesamt bot mit seinem klangschönen und engagierten Spiel dem Chor und den Solisten eine sichere Basis. Dabei waren manche Partien rhythmisch ausgesprochen schwierig ("Ach mein Sinn ..." oder "Lasset uns den nicht zerteilen").

Am schönsten aber wirkten die Soloinstrumente in den meditativen Teilen, die beiden Sologeigen zum Beispiel im Bass-Arioso "Betrachte, mein Seel". Wie ein Gottesdienst wurde die Passion mit Glockengeläute eingeleitet und auch beendet. Lange herrschte feierliche Stille. Dann indessen brach stürmischer Applaus los und brandete mächtig nach vorne.