Wenn derzeit vor dem Landgericht Rottweil zur Anklage des versuchten Mordes verhandelt wird, sollen nicht zuletzt die Aussagen von 41 Zeugen zur Urteilsfindung beitragen. Foto: Nädele

Zu Geschehen auf Schiltacher Brücke sind einige Fragen noch nicht beantwortet. Tat hat tiefe Wunden gerissen.

Schiltach/Rottweil - Zu der ungeheuerlichen Tat am späten Vormittag des 19. Februar 2017 bei Schiltach, bei der eine Joggerin um ihr Leben fürchtete, ist die Beweisaufnahme voll im Gang. Was hat den 23-Jährigen zu dem gnadenlosen Überfall getrieben? Dazu gilt es noch viele Fragen zu stellen.

Haben die laut wie eine Trillerpfeife tönenden Pfiffe und der Ruf "Hey, Du Arschloch" eines Arbeiters eines Betriebs auf der anderen Straßenseite des weit außerhalb von Schiltach liegenden Tatorts die Frau aus den Fängen ihres Peinigers davonkommen lassen? Oder hat der möglicherweise in einem Drogenwahn agierende Täter plötzlich selbst einen lichten Moment gehabt und – erschrocken über sein schreckliches Tun – von sich aus von seinem Opfer abgelassen? Zu letzterer Annahme versucht der Verteidiger des Angeklagten gute Gründe zu finden.

Eine verminderte Schuldfähigkeit könnte einem Urteil zu Grunde gelegt werden, weil Drogenkonsum gepaart mit sexuellen Phantasien den Angeklagten möglicherweise in Extasen treiben, in denen er stark die Kontrolle über sein Tun verliert. Die Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus wäre wohl damit verbunden.

Die Erste Schwurgerichtskammer am Landgericht Rottweil versucht denn auch bei der Beweisaufnahme mit der Befragung zahlreicher Zeugen, den Aspekt einer möglichen eingeschränkten Steuerungsfähigkeit durch Drogen und Alkohol intensiv zu beleuchten. "Rote Augen" des Täters – wie von mehreren Zeugen beschrieben – könnten für solche Mutmaßungen sprechen. Das Opfer spricht von einem furchteinflößenden Blick des Täters.

Andererseits: Zum Täter gibt es auch hinsichtlich seines Sexualverhaltens so schwerwiegendes zu erörtern, dass Befragungen – die zu sich selbst und die seiner Freundin – nichtöffentlich hinter verschlossenen Türen stattfinden. Nicht zuletzt wegen der noch zu beantwortenden Frage, ob der Täter in ein psychiatrisches Krankenhaus gehöre, sei bei diesem Thema der Schutz der Intimsphäre der Betroffenen über das hohe Gut öffentlicher Anteilnahme zu stellen, sagt der Vorsitzende Karlheinz Münzer.

Große Betroffenheit macht sich am Freitag, dem zweiten Verhandlungstag, im Schwurgerichtssaal breit, als das 52-jährige Opfer, das bis heute schwer unter den körperlichen und psychischen Verletzungen zu leiden hat, sich als Zeugin nochmals ausführlich mit dem bösen Geschehen auseinanderzusetzen hat, das sich entwickelte, als sie an einem wunderschönen Februarmorgen – wie so oft – auf ihrer Joggingstrecke unterwegs war. Der 23-Jährige passte sie nach der Umkehr an einer Baumgruppe wieder in Richtung Schiltach in einer überdachten Holzbrücke ab, um sie hinterrücks mit einem Hammer niederzustrecken. Nach mehreren schweren Schlägen war die Schwerstverletzte von der Brücke Richtung Auto des Täters gezogen worden. Wohl um sie in das Fahrzeug hineinzubugsieren. Von sexuellen Absichten ist die Rede.

So weit kam es aber nicht. Waren es tatsächlich die Pfiffe und Rufe des nach Schichtschluss beim Umziehen zufällig aus dem Fenster sehenden Arbeiters, die den Angeklagten die Flucht ergreifen und mit quietschenden Reifen das Weite suchen ließen?

Die Persönlichkeit des Angeklagten zu durchschauen, wird Kammer und dem psychologischen Sachverständigen nicht leicht fallen. Bereits kurz nach der Tat informierte den Täter über Handy Freundin und Angehörige über das schreckliche Geschehen. Ersterer bedeutet der Flüchtende, er gehe jetzt mit starken Tabletten in den Wald und wisse nicht, ob er da wieder lebend rauskomme. Spät am Abend wird er dann bei einer aufwendigen Suchaktion von einer Polizeistreife nicht weit weg vom Tatort aufgegriffen.

39 Minuten dauert eine auf einem Video festgehaltene Tatrekonstruktion, zu dessen Herstellung vor einigen Wochen sich die überfallende Frau sichtlich überwinden musste. Im Detail sind der Rückweg der Joggerin hin zur Falle auf der Brücke, wo der offenbar harmlos ins Wasser schauende Täter lauert, und der Tatablauf dargestellt, mit einem Opfer, das nicht wusste wie ihm geschah, als von hinten der Angriff mit dem Hammer erfolgt.

Als am Freitag bei der Vorführung der Dokumentation im Gerichtssaal sich die Joggerin der Brücke nähert und es nur noch einige Sekunden bis zu den Hammerschlägen sind, kämpft auch der Angeklagte mit Tränen. Am Ende der Vorführung meldet sich der junge Mann, der zuvor offenbar nie mit kriminellem Tun in Verbindung gebracht wurde, zu Wort und bekundet der von ihm so sehr verletzten Frau, "es tut mir unheimlich leid".

War da einfach jemand zur falschen Zeit am falschen Ort, und musste derjenige deshalb die abstrusen Launen eines mit Drogen vollgedröhnten Zeitgenossen erdulden? Oder trieben den 23-Jährigen sexuelle Begierden zu einer hübschen Person, die ihm irgendwo in seiner Heimat ins Auge gefallen war?

Wie in der Beweisaufnahme immer wieder deutlich wird, entwickelte die Frau beim Ertragen der Attacke einen ungeheuren Lebenswillen. Auch wegen dieses Widerstands wurde es dem Angeklagten möglicherweise schwer gemacht, das äußerste zu bewerkstelligen.

Als sich eine schwerverletzte Frau am 19. Februar 2017 bei einer Parkbucht an der Bundesstraße zwischen Schiltach und Schrambeg stark am Kopf blutend an den Straßenrand geschleppt hat, um mit Winken Hilfe zu erbitten, scheint das mehrere Autofahrer überhaupt nicht zu interessieren. Erst ein junges Paar reagiert, bremst und fährt über ein Wiesenstück zu der schwer Verletzten. Schnell kommt dann auch der Krankenwagen.

Glück hat ein Zeuge, dass ihm von Gerichts wegen nicht wegen unterlassener Hilfeleistung an den Karren gefahren wird. Dieser jüngere Zeitgenosse passierte die Stelle mit der nach der Flucht des Täters allein hilflos dasitzenden stark blutenden Frau als erster, ohne in Sachen Hilfe einen Finger zu rühren. Angesichts solcher bedenklichen Erkenntnisse drückt Karlheinz Münzer dem Mann mit dem den Täter vermutlich in die Flucht schlagenden erstaunlichen Alarmpfiff, der wohl ebenfalls Erste Hilfe geleistet hätte, wenn nicht andere inzwischen herbeigeeilt gewesen wären, und den beiden jungen Ersthelfern ausdrücklich seine Anerkennung aus.