Hans Harter verstand es vortrefflich, die Zuhörer in seinen Bann zu ziehen. Foto: Schwarzwälder-Bote

Heimatgeschichte: Festredner Hans Harter schärft den Blick im Spiegel der Zeit

Im Rahmen der Veranstaltungen "Lebendiges Lehengericht 1817 – 2017" wurde zum Festvortrag "Lehengericht und die Lehengerichter" mit Hans Harter in die Gemeindehalle Vorderlehengericht eingeladen.

Schiltach-Lehengericht. Das überaus große Interesse unterstrich die Wertschätzung des Historikers. Die Geschichte Schiltachs und Lehengerichts sei untrennbar miteinander verbunden und von daher sei es auch für viele Schiltacher interessant, mehr über die Gemeinsamkeiten zu erfahren, sagte Ortsvorsteher Thomas Kipp. Der geschichtliche Hintergrund der Veranstaltung datiere exakt vor 200 Jahren, als die Trennungsurkunde der beiden Gemeindeteile zur Unterschrift vorgelegt worden ist. Weitere Fest-Veranstaltungen zögen sich noch bis ins Jahr 2018 hinein, so Kipp.

Der eigentliche Grund, weshalb sich Lehengericht vor 200 Jahren von Schiltach getrennt hat, sei die Wegnahme der Lehengerichter Selbstvermarktung ihres Holzes gewesen, stellte Bürgermeister Thomas Haas fest. Dieser Vorgang sei heute noch manchem Lehengerichter Bürger bekannt und präsent. Solche Gefahren für die Holzvermarktung bestünden heute von der Stadt Schiltach sicher nicht mehr, schon eher von der Landesseite her. Die Selbstvermarktung unterstütze die Stadt Schiltach durch den Betrieb des Landschaftsentwicklungsverbandes Mittlerer Schwarzwald mit Sitz in Schiltach und unter Vorsitz des Schiltacher Bürgermeisters.

In einem Atemzug mit der Wegnahme des Holzhandelsrechts müsse auch die Beseitigung des Floßrechtes genannt werden. "Heutzutage wird schon lange nicht mehr zwischen Schiltacher und Lehengerichter Flößern unterschieden. Mehr noch, mit Thomas Kipp, Obmann der Flößer und in Personalunion Ortsvorsteher, ist die Flößerei sogar fest in Lehengerichter Hand", sagte Haas schmunzelnd. Man könne die historischen Gründe, die zur Loslösung führten, getrost abhaken.

Geschichte von Lehengericht allgegenwärtig

Der Historische Verein Schiltach-Schenkenzell initiierte die beeindruckende Bilderausstellung "Leben und Arbeiten in Lehengericht", die von den Mitgliedern Klaus Wolber, Klaus-Ulrich Neeb und Marcus Löffler zusammengestellt wurde. Wolber teilte mit, die Ausstellung lasse sich ohne weiteres noch bis Frühjahr 2018 ergänzen.

Der mit beispielloser Akribie fundierte und mit zahlreichen Anekdoten gespickte Festvortrag des Historikers Hans Harter zog die Besucher in der bis auf den letzten Platz gefüllten Gemeindehalle in seinen Bann. Um die Fragen zu klären, was Lehengericht und was Lehengerichter sind, rief er Erinnerungen an die eigene Kindheit im Schleifengrün wach. Er habe schon früh ein Lehengericht-Bild von liebenswerten Menschen bekommen, die ihre Verwandtschaft pflegen und in ihrem Dialekt "ein bisschen anders" sind.

Lehengericht sei anders gewesen, als das Städtle mit seinen Haus an Haus gezwängten Gassen. Die Lehengerichter hätten immer sehr eigenständig gelebt und seien immer ein "eigener Schlag" gewesen, den sie auch mit eigener Tracht ausdrückten.

Das Leben sei von den Rechten des sehr fernen Mittelalters geregelt worden. Holzhau und Flößerei prägten den Alltag. Bereits 1462 wurde erstmals ein "Gericht der Lehen" erwähnt. Nach einem Vorbild im Harmersbachtal wurde 1812 nach dem Motto "durch Trennung von einer anderen, entsteht eine neue Gemeinde" die Trennung Lehengerichts von Schiltach beantragt. Jahre später leitete vom Moosenkapf eine Schwefelstahlquelle zum "Pflug". Zur Bezeichnung "Bad Eulersbach" reichte es indes nicht.

Die Firma Gustav Karlin entwickelte sich mit "Weltruhm" zum Hauptarbeitgeber von Schiltach und Lehengericht. Der Eisenbahnbau nach 1872 erreichte Lehengericht 1886 von Wolfach und 1892 von Schramberg her. Dem männerverschlingenden Schlachten des Ersten Weltkrieges fielen 39 Söhne der Gemeinde zum Opfer. Hof- und Geschäftsinhaber standen ohne Nachfolger da. Der Zweite Weltkrieg bescherte Lehengericht einen weiteren Aderlass von 49 Toten und 29 Vermissten.

Die Konflikte, die 1817 zur Selbstständigkeit führten, blieben unvergessen und man forderte 1946 eine "Bereinigung". 1956 landete Lehengericht selbst einen Coup und "schluckte" das "Reichenbächle". Als 1957 das 150-Jährige der Selbstständigkeit anstand, sprühte man vor Selbstbewusstsein: 1100 Einwohner, 2200 Hektar Wald, 100 landwirtschaftliche Betriebe, wachsender Fremdenverkehr, die Tuchfabrik Karlin mit 400 Beschäftigten, das Junghans-Werk mit 250 Beschäftigten sowie Kistenfabrik, mehrere Transportunternehmen und Sägewerke.

Die Gemeindereform in den 1970er Jahren hielt indes "Mini-Gemeinden" für nicht mehr tragbar, was auch Lehengericht traf. 1974 erfolgte die freiwillige Eingliederung in die Stadt Schiltach, mit einer Ortschaftsverfassung ähnlich derer wie schon vor 1817.

Die gebannt lauschenden Besucher quittierten den brillanten Festvortag mit lang anhaltendem Applaus.

Der Festabend wurde von der Trachtenkapelle Lehengericht unter bewährter Leitung von Albert Brüstle eindrucksvoll umrahmt. Nach der Pause begeisterte das Sulzbacher Gesangtrio "Facing Markstein" mit musikalischen Leckerbissen. Ur-Aufführungen vom "Waldhauer- und Flößerlied" und "Badnerlied", jeweils in gemeinsam gesungener Version, erwiesen sich als weitere Programm-Höhepunkte.