Die Beteiligten bei der Lesung "Ein Morgen vor Lampedusa" in Schiltach. Foto: Schmidtke Foto: Schwarzwälder-Bote

Lesung: "Ein Morgen vor Lampedusa" / 50 Zuhörer leiden bei den bewegenden Texten mit / Morgen in Steinach

Von Karin Schmidtke

Sie suchten nach Verfolgung, Krieg und Terror lediglich Schutz. Aber vergangene Woche ertranken nach aktuellen Berichten offenbar 1000 Flüchtlinge im Mittelmeer.

Schiltach. Eines jener Dramen wurde bei der Lesung "Ein Morgen vor Lampedusa" vor rund 50 Zuhörern in der Begegnungsstätte "Treffpunkt" in Schiltach geschildert. Tiefe Betroffenheit lösten die Texte und Bilder aus. Die Veranstaltung wurde vom Caritasverband Kinzigtal und den Weltläden Kinzigtal organisiert. Das Treffpunktteam bewirtete. Antonio Umberto Ricco hatte die bewegenden Texte der Augenzeugen des Dramas zusammengefasst.

Vorgetragen wurden sie szenische Lesung im Wechsel von Margarete Kopf, Mechthilde Neumaier, Gerhard Lück, Martin Oechsle und Gerhard Schrempp. Für die Technik sorgte Sven Feuser. Francesco Impastato hatte eigens für das Schiffbruchunglück eine Komposition geschrieben. Diese wurde zwischen den Passagen eingespielt. Parallel dazu vertieften Fotografien aus der idyllischen Region in Lampedusa, der Flüchtlinge und ihrer Helfer die Eindrücke.

Das Unglück passierte am 3. Oktober 2013 nur wenige 100 Meter vor dem Strand der Trauminsel Lampedusa, dem Tor zu Europa: Der mit 545 Flüchtlingen total überladene 15 Meter lange Fischkutter sinkt in den frühen Morgenstunden. Zu Wort kommen der Flüchtling Arega Tesfahiwet aus Eritrea.

Rund 1200 Dollar bezahlen die Hilfesuchenden für die Überfahrt, die in den Tod reißt. Hinter ihnen liegt eine an Strapazen reiche Reise durch die Wüste. . Zum Kutter geht es im geschlossenen Militärtransporter. Kinderweinen. Angst die aus allen Poren kriecht, schildert der Eriträer. Handys werden abgenommen.

Auf dem Kutter gibt es weder Licht noch ein Funkgerät, berichtet ein Kapitän. Dann versagt der Motor. Um auf sich aufmerksam zu machen zündet jemand eine Decke an. Das Feuer greift um sich. Löschversuche scheitern, Kinder verbrennen. Panik bricht aus. Zum Schwanken der Walnussschale gesellen sich Schreie. Menschen stürzen von Bord. Der Kutter kentert. Wer nicht schwimmen kann, hält sich an Plastikflaschen oder Holzstücken fest – oder stirbt. Frauen versuchen ihre Kinder über Wasser zu halten und ertrinken dabei selbst. Eine Mutter hat erst wenige Stunden zuvor entbunden. Kraftlos ertrinken sie und der Säugling mit der Nabelschnur.

Zu Wort kommt der Optiker und Fischer Carmine Vito. Er ist unterwegs zur Reede als er Schreie hört. Carmine fährt mit Freunden sofort auf das Meer. Menschen schwimmen zwischen Leichen in den Öllaken. "Wenn du jemanden vor dir hast, der ertrinkt, dann kannst du nichts anderes als retten", berichtet der Zeitzeuge. Andere Boote fahren vorbei. Das Gesetz droht Helfern von illegalen Flüchtlingen mit dem Gefängnis. "Mit der Angst im Nacken stirbt die Menschlichkeit, wurde gelesen". Tauchlehrer, Einwohner und Touristen berichten vom Ringen um den unausweichlichen Tod im Wasser. Während ein Mensch gerettet wird, ertrinkt der andere vor Erschöpfung. Eine Frau schafft es nicht mehr, sich an dem ihr zugeworfenen Rettungsring festzuhalten. Mit offenen Augen sinkt sie unter die Wasseroberfläche. Auf dem Schiff versuchen Retter ein Mädchen mit Herzmassage wiederzubeleben. Die Küstenwache kommt viel zu spät – und musste zuerst in Rom um Erlaubnis bitten. Wo war die Patrouille? Warum erfasste der Radar das Boot nicht? Wo war das Europa der Menschenrechte? In 47 Metern Tiefe liegt das Wrack. Taucher entdecken darauf Tage später zusammengedrängte Menschen mit ausgestreckten Armen und aufgerissenen Augen. Ein Mädchen trägt ein Festkleid und Lackschuhe. Hilfe kam zu spät.

Soll Europa ein Festung werden, umkränzt von einem Meer aus Leichen? Die Bürgermeisterin von Lampedusa sagte erschüttert: "Es sind keine Unmenschen oder Zahlen. Es sind Menschen wie wir". Ein Staatsbegräbnis war versprochen worden. Aber die Menschen wurden namen- und würdelos bestattet. Der Fischer Domenico kann heute nicht mehr auf das Meer fahren. Er sah, wie sich drei Lebende an zwei Toten festhielten.

Im Treffpunkt lud ein Büchertisch lud mit Infomaterial ein. Wichtig war der Raum für Gespräche über das bewegende Thema, um Hirn, Herz und Seele wieder zu ordnen. Die Lesung wurde ein Projekt gegen das Vergessen, während zeitgleich "Gutmensch" zum Schimpfwort wurde. Die Flüchtlingsstrom verlagerte sich über die Ägäis hinweg auf die Balkanroute.

Die Lesung wird am 7. Juni um 20 Uhr im Pfarrsaal in Steinach wiederholt.