"Spahis" im Skizzenbuch von Werner Leonhard vom 3. Mai 1945 (Stadtarchiv Schiltach). Foto: Harter Foto: Schwarzwälder-Bote

"Das Ende des Kriegs hat selbst den verstocktesten Nazi zum Erwachen gebracht" – Schiltach vor 70 Jahren (Teil 3)

Von Hans Harter

Schiltach. Am Mittag des 3. Mai 1945 bot sich Gottlieb Trautwein, Gerbereiteilhaber und späterer Schiltacher Bürgermeister, von seinem Fenster zum Marktplatz aus ein seltsames Bild.

Etwa 20 algerische und marokkanische Soldaten der französischen Armee, sogenannte Spahis, nahmen am Rathaus militärisch Aufstellung. Ihr Aussehen war zugleich malerisch wie martialisch: Über der feldgrünen Uniform trugen sie einen weinroten Wollumhang mit Kapuze, auf dem Kopf einen gelben Turban, in der Hand das Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett, im Gürtel einen Dolch, über der Schulter Riemen für die Patronentaschen. Da erschienen französische Offiziere, aus dem Rathaus kamen weitere Spahis mit einem Fahnentuch.

Als es blau-weiß-rot am Rathaus hochging, wurde salutiert – für den geschichtsbewussten Gottlieb Trautwein ein Bild, das ihm "zeitlebens im Gedächtnis bleiben wird", markierte die Trikolore über Schiltach doch einen tiefen Einschnitt: "Seit den Zeiten 1806 bis 1813 sind keine fremden Soldaten mit Waffen mehr auf hiesigem Boden gewesen. Dem Despoten Adolf Hitler war es beschieden, durch seine größenwahnsinnige Politik die ganze Welt gegen uns zu sammeln, um diese Tatsache Wirklichkeit werden zu lassen."

"Mit Tränen in den Augen" wandte er sich von der Szene ab, "die so recht unsere Sache kennzeichnete": die totale militärische Niederlage, das Ausgeliefertsein an die Gegner, über die Hitler-Deutschland zuvor nur Krieg und Elend gebracht hatte. Dazu passte die Nachricht, dass Hitler und Goebbels sich durch Selbstmord der Verantwortung entzogen und das deutsche Volk sich selber überließen, nachdem sie es ruiniert hatten. Für Trautwein umso bitterer, weil er als Demokrat die Nazis bis 1933 politisch bekämpft hatte. Doch: "Verblendet durch Lug und Trug hat das Volk in seiner Mehrheit alle Warnungen in den Wind geschlagen, erst das Ende des Kriegs hat selbst den verstocktesten Nazi zum Erwachen gebracht."

Die Marktplatz-Szene an jenem 3. Mai – an dem noch immer Krieg war – beobachtete auch der Maler Werner Leonhard. 1944 in Freiburg ausgebombt, flüchtete er sich nach Schiltach, wo er bei der Familie Karlin unterkam. Als ihm 2012 der historische Verein eine Ausstellung widmete, übergaben Verwandte seinen Nachlass, darunter ein Skizzenbuch.

In ihm finden sich zum "3. 5. 45" Zeichnungen von Spahis, wie auch Gottlieb Trautwein sie sah. Es sind die einzigen Bilddokumente des ihn so beeindruckenden Ereignisses, von dem es keine Fotos gibt, da Ferngläser, Radios und Fotoapparate an die Besatzung abgeliefert werden mussten.

Während die französischen Soldaten in den Tagen der Besetzung feindselig auftraten, scheint es seitens der Marokkaner hier wenig Gewalt gegeben zu haben, doch "starben viele Hühner eines raschen Todes", wie der Schenkenzeller Pfarrer Alois Siegel notierte.

Den damaligen Kindern und heutigen Senioren haben sich nicht nur die orientalische Tracht und die kleinen Araberpferde der Spahis eingeprägt, sondern auch die Schokolade, die sie bekamen, sogar aus einem Panzerturm zum Kinderzimmer hochgereicht. Einem Zehnjährigen wurde von den ergatterten "schwarzen Zigaretten" so übel, dass er seitdem nie mehr rauchte.

Daneben stehen Untaten, die gleichfalls in Erinnerung sind: Die Erschießung des NS-Ortsgruppenleiters und des Parteigeschäftsführers in Halbmeil sowie der Tod eines Werkmeisters aus Hinterlehengericht, den die Besatzungsmacht verhaftet und im Ortsarrest eingesperrt hatte.