Einer der "grauen Busse", heimlich aufgenommen vor der Diakonie Stetten i.R. im Jahr 1940. Foto: Bildarchiv Gedenkstätte Grafeneck Foto: Schwarzwälder-Bote

Von Fußbach nach Grafeneck – eine Todesfahrt / Der Krankenmord an Behinderten

Von Michael Hensle Schiltach. Auch in diesem Jahr zählt das Thema "Euthanasie" zu den Prüfungsthemen an den baden-württembergischen Realschulen. Dabei geht es auch um die Auseinandersetzung mit der Schrift "Grafeneck" von Rainer Gross.Mit dem beschönigenden Begriff "Euthanasie" oder auch oder "Aktion Gnadentod" verband sich die "Ausmerzung lebensunwerten Lebens", was die systematische Ermordung von mehr als 70 000 körperlich oder geistig behinderten Menschen bedeutete.

Grafeneck, Schloss und ehemaliges Samariterstift im württembergischen Gomadingen, war eine der sechs Tötungsanstalten im nationalsozialistischen Deutschland, in der zwischen Januar und Dezember 1940 mehr als 10 600 Menschen den Tod fanden. Die "Vergasungen" mit Kohlenmonoxidgas fanden in der als Duschraum getarnten so genannten "Garage" statt. Die Opfer stammten vor allem aus Pflegeheimen und Krankenanstalten im süddeutschen Raum. Dazu gehörten auch die Kreispflegeanstalt Fußbach im Kinzigtal und die Heil- und Pflegeanstalt Illenau bei Achern, in denen auch Pflegebedürftige aus Schiltach, Lehengericht und Schenkenzell untergebracht waren. Auch diese Heime waren Ziele jener "Euthanasie"-Transportkommandos und ihren feldgrauen Omnibussen, mit denen die Opfer abgeholt wurden.

Von den Abgeholten hörte man nichts mehr, jedoch kamen alsbald Todesbenachrichtigungen, deren medizinische Befunde die Heimleitungen in Fußbach und Illenau misstrauisch machten. Angesichts der Todesmeldungen ging man dazu über, Patienten als geheilt zu entlassen und Angehörigen von der weiteren Unterbringung abzuraten.

Zugleich gab es, sowohl in Fußbach als auch in Illenau, den Versuch, weitere Transporte zu verhinderten. Einen solchen unternahm der Ortsbürgermeister und ehemaliger Leiter der Kreispflegeanstalt Fußbach, der, wie bezeugt wurde, "beim Erscheinen des zweiten Transportes mit fünf Wagen seine Kreisbauernführer-SS-Uniform anlegte und in einer langen und stürmischen Auseinandersetzung mit dem Transportleiter so wenig nachgab, dass dieser schließlich nur 30 statt 90 Pfleglinge erhielt".

Dennoch fielen auch mindestens fünf Bewohner von Schiltach und Lehengericht sowie ein aus Schenkenzell stammender Patient der Mordaktion zum Opfer. Den Angaben der Gedenkstätte Grafeneck zufolge wurden drei der sechs Pfleglinge am 13. Juni, die anderen im Mai, August und Oktober 1940 getötet. Die Opfer waren im Alter zwischen 34 und 77 Jahren. Die Täter schreckten also auch nicht davor zurück mit Maria Elisabeth M. eine 77-jährige Greisin ins Gas zu schicken, ihre fünf Jahre jüngere Schwester Barbara Magdalena blieb vom Transport verschont und verstarb nach Kriegsende in der Pflegeanstalt. Ein Opfer war taubstumm, eine anderes galt als geisteskrank, bei den anderen darf auch Altersgebrechlichkeit oder Demenz angenommen werden, worauf das hohe Alter und die späte Heimeinweisung schließen lassen.

Die Tötungen in den "Euthanasie"-Anstalten ließen sich letztlich nicht verheimlichen und nach öffentlichen Protesten, insbesondere des Bischofs von Münster Clemens August Graf von Galen und anderen Geistlichen, wurde die "Euthanasie"-Aktion im Sommer 1941 nach außen hin eingestellt, jedoch in einigen der Heil- und Pflegeanstalten über Nahrungsentzug sowie Verabreichung von Luminal oder anderen Betäubungsmitteln insgeheim fortgesetzt.

Und bis heute in der Öffentlichkeit wenig bekannt: Das in den Tötungsanstalten freigewordene Personal fand eine andere Verwendung im Osten. Was an Zehntausenden von deutschen Behinderten an Tötungsverfahren in den Jahren 1939/40 ausprobiert worden war, erlangte in der millionenfachen Ermordung der europäischen Juden schreckliche Perfektion.