Stich von Julius Näher von 1888 (links). Zwischen Bahn und Kinzigtalstraße stand das von Johannes Müller zum Abbruch und Wiederaufbau erworbene Betriebsgebäude. Oben: Das Flaschnerhaus im Oberdorf mit Johannes und Elisabeth Müller und Sohn Jakob. Die Fenster der Wohnstube dienten als Schaufenster für Kochtöpfe, Bettflaschen und Metalleimer. Foto/Repros: Schoch Foto: Schwarzwälder-Bote

Heimatgeschichte: Der Flaschner-Müller und sein Haus / Auf dem Lehen stand einst ein Gebäude

Auf dem Lehen zwischen der Schenkenburg und dem Dorf Schenkenzell stand Ende des 19. Jahrhundert ein Haus. Dies beweist eine alte Zeichnung.

Von Willy Schoch

Schenkenzell. Wie Recherchen ergaben, war es ein Bahnbetriebsgebäude. Später diente es dem Flaschnermeister Johannes Müller als Wohnhaus und Werkstatt im Oberdorf.

Kinzigtalbahn kommt

Was damals geschah: Das Stück der Kinzigtalbahn Schiltach-Freudenstadt ist fertig. Am 3. November 1886 passierte die erste Dampflock Schenkenzell. Gewaltige Baumaßnahmen wie Tunnel- und Brückenbau, Bach- und Straßenverlegungen, Dammauffüllungen bis hin zum Bau des Personen- und Güterbahnhofs Schenkenzell machten dies möglich. Übrig blieben entlang der Bahnlinie auf Schenkenzeller Gemarkung noch einige Zweckbauten. Dies waren einstöckige Gebäude mit Giebeldach im Bereich Lehen, Bahnhof und Stockhof. In diesen Baracken befanden sich während des Bahnbaus Werkstätten, Büros und Unterkünfte.

Käufer übernimmt sich

Ein Betriebsgebäude davon blieb erhalten. Es stand im Gewann Lehen zwischen der Kinzigtalstraße und der Bahnlinie. Der damals ledige Flaschner Johannes Müller kaufte von der Eisenbahnverwaltung das Gebäude, brach es ab und wollte es im Oberdorf an der Straße nach Kaltbrunn wieder aufbauen. Vermutlich hatte er sich da aber etwas zu viel zugemutet. Er war Flaschner und kein Maurer oder Zimmermann. Was lag näher, als das Baugrundstück mit den darauf liegenden Baumaterialien wieder zu verkaufen? Käufer war der örtliche Maurer Gallus Hauer. Innerhalb weniger Monate erstellte dieser das Gebäude, ein Wohnhaus mit Schopfanbau. Zwei Jahre später kam dann Flaschner Johannes Müller wieder ins Spiel. Zwischenzeitlich war er verheiratet. Er suchte eine Bleibe für seine Familie und kaufte sich das Grundstück samt Gebäuden wieder zurück. Die Kinder Jakob und Johannes kamen dort zur Welt. Beide ergriffen später ebenfalls den Flaschnerberuf. Nach rund 35 Jahren zog dann Flaschner-Müller näher ins Dorf. Das alte Haus wurde 1932 an August Herrmann verkauft. Die Brüder Johannes und Jakob erwarben von Zimmermeister Wilhelm Müller das Wohn- und Geschäftshaus Reinerzaustraße 10 neben dem Rathaus. Nachdem die "Chemie" damals zwischen den beiden Handwerkerfrauen nicht so stimmte, zog Johannes Müller 1943 auf die Spannstatt. Die Werkstatt betrieben die Brüder aber gemeinsam in der Reinerzaustraße weiter. Jakob Müller starb früh. Es blieb noch ein "Flaschner-Müller" übrig.

Flaschner Johannes Müller galt noch als Handwerker der alten Sorte – gefällig, gemütlich und zugänglich. Mancher Hausfrau half er aus der Patsche, als beim Kochen das Gas ausging. Ein Anruf genügte, und Johannes schwang sich auf sein Fahrrad mit einer neuen Gasflasche auf dem Gepäckträger. Dienst am Kunden war vor allem auch das Löten von Kochhäfen, Metalleimern und Bettflaschen.

Im "Adler" geht’s oft rund

Obwohl er 1967 den Installationsbetrieb an seinen Sohn Peter übergab, war er mit über 80 Jahren noch täglich in der Werkstatt zu finden. Der angesehen Bürger pflegte den Stammtisch nach Feierabend. Wenn dann der Spätschoppen im Gasthaus Adler etwas ausgedehnter als sonst ausfiel, kam immer wieder in lustiger Runde Johannes unvergesslicher Ausspruch: "Hoch auf Türmen, hoch auf Dächern, ist ein Blechdach auszubessern. Nicht mit Ziegeln, nicht mit Stein, nein es muss gelötet sein!" Johannes Müller starb 1977 im Alter von 84 Jahren.